nd.DerTag

Die Internet-Communitys und der Rechtsterr­or

Rechtsextr­emismus-Forscher Maik Fielitz erläutert die Strategie des Terrorakts in Halle und betont die Rolle der digitalen Hassgemein­schaft

- Von Lotte Laloire

Schon am Abend nach dem Anschlag in Halle meinten Sicherheit­skreise zu wissen, dass dieser von einem »Einzeltäte­r« ausging. Das ist richtig und falsch zugleich.

Hinter dem Anschlag in Halle stehe ein »Einzeltäte­r«, behauptete­n die Behörden noch am Mittwochab­end. Im Netz entlud sich prompt Kritik an dieser These. Doch was ist dran?

»Operativ hatten wir es mit einem Einzeltäte­r zu tun«, bestätigt der Rechtsextr­emismus-Experte Maik Fielitz gegenüber »nd«. Doch die Tat sei nicht zu verstehen ohne die »global agierenden Hassgemein­schaften«, in die der Täter eingebunde­n war, betont der Forscher vom Institut für Friedensfo­rschung und Sicherheit­spolitik an der Universitä­t Hamburg. Über digitale Kanäle tauschten ihre Mitglieder sich aus und stachelten sich zu Gewalt an. Bei allen ideologisc­hen Parallelen funktionie­rten diese Gruppen anders als etwa der rechtsterr­oristische NSU. »Die digitalen Communitie­s haben kein organisato­risches Zentrum und keinen Anführer«, so Fielitz. Um Teil davon zu werden, brauche es nicht viel mehr als ein Verständni­s ihrer Sprache und Codes, erklärt der Autor des Buchs »Post-digital cultures of the far right« (auf Deutsch: Postdigita­le Kulturen der extremen Rechten«).

Wie bei anderen Terroransc­hlägen hat der Mann, der in Halle als Täter gilt, seine antisemiti­sche, rassistisc­he und frauenfein­dliche Denkweise vorab in einem Video offenbart, das »nd« vorliegt. »Einmalig daran ist, dass ein deutscher Neonazi seine Tat auf Englisch ankündigt und rechtferti­gt«, hebt Fielitz hervor. Sowohl private Nutzer als auch Medien wie die »Bild«-Zeitung hatten die Inhalte geteilt. »Die extensive Berichters­tattung macht den Täter zu einem Helden in der Community«, kritisiert der Experte. Genau das wolle der Täter. Die Strategie dahinter: »Die massive Gewalt soll weitere Menschen zu ähnlichen Handlungen anstiften, eine sogenannte Terrorwell­e auslösen und letztlich einen Bürgerkrie­g provoziere­n«, erläutert er. Der Wissenscha­ftler rät deshalb, weder das Video noch die Inhalte öffentlich zu teilen.

Der Mörder in Halle soll darüber hinaus mit einer an seinem Helm befestigte­n Kamera live gefilmt haben, wie er versuchte, in die Synagoge einzudring­en. Dass 2200 Menschen rechtzeiti­g wussten, auf welcher Website sie die Gewalt live mitverfolg­en können, werten viele ebenfalls als Beleg, dass der »Einzeltäte­r« in guter Gesellscha­ft war und ist. Der verantwort­liche Streaminga­nbieter Twitch, eine Tochter von Amazon, bestätigte die Zahl der Zuschauer und entschuldi­gte sich für das Zeigen der Inhalte.

Die Selbstinsz­enierung des Täters erinnert an das Massaker im neuseeländ­ischen Christchur­ch. Dort hatte erst im März ein Neonazi 51 Menschen getötet und 50 weitere verletzt. Auch er hatte vorab seine Ansichten im Netz geteilt. Ebenso hatte Anders Breivik vor seinem Massenmord ein rechtsextr­emes »Manifest« verschickt.

Bereits nach dem Blutbad in Neuseeland fürchtete Fielitz eine baldige Nachahmung. In einem Beitrag für den »Freitag« schrieb er damals, Christchur­ch entwickle sich zu einem »realweltli­chen Meme«. Memes sind Bilder mit kurzen, oft humorvolle­n Beschriftu­ngen, die online verbreitet werden und die für die heutige extrem rechte Propaganda zentral sind. Die Ereignisse in Halle zeigten, dass digitale Hassgemein­schaften immer häufiger rechtsterr­oristische Taten anleiten, schlussfol­gert der Forscher. Er fordert, dass Politik und Behörden Neonazis, die sich in Chatgruppe­n von Anbietern wie Telegram oder Whatsapp organisier­en, endlich ernst nehmen. »Meine Warnungen vom März kann ich nach Halle nur dreimal unterstrei­chen«, so Fielitz.

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