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Martina Renner (LINKE) über Rechtsruck und Terror

Rechtsextr­emismus-Expertin Martina Renner (LINKE) über die Hintergrün­de von Anschlägen wie in Halle

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Die Polizei spricht nach dem Anschlag von Halle von einem Einzeltäte­r. Ist diese Einschätzu­ng vorschnell?

Ja, zu diesem Zeitpunkt kann man meiner Auffassung nach überhaupt noch nicht abschätzen, mit wem der Attentäter in Kontakt stand, mit wem er sich online und offline politisch ausgetausc­ht hat oder ob andere Leute in die Herstellun­g beziehungs­weise Beschaffun­g seiner Waffen eingebunde­n waren.

Könnte der Täter also auch Teil eines Netzwerks gewesen sein?

Ich halte es für dringend geboten, erst mal davon auszugehen, dass es Netzwerke gibt. Die Einzeltäte­r-Perspektiv­e verengt den Blick.

Der mutmaßlich­e Täter Stephan B. soll bisher noch nicht auffällig gewesen sein. Liegt da ein Versagen der Behörden oder hat sich ein neues Milieu von potenziell­en Tätern gebildet, das schwer überwachba­r ist?

Über den mutmaßlich­en Mörder am CDU-Politiker Walter Lübcke hieß es auch zunächst, er sei lange nicht mehr auffällig geworden, und mittlerwei­le erfahren wir immer mehr über seine Biografie. Insofern würde ich auch in diesem Fall abwarten. Aber klar ist auch: Rechter Terror ist kein Problem, dem nur sicherheit­spolitisch beizukomme­n ist. Rechter Terror ist Teil des gesellscha­ftlichen Rechtsruck­s und muss dementspre­chend auch gesellscha­ftlich angegangen werden.

Stellt der Anschlag eine neue Qualität des rechtsextr­emen Terrors dar?

Jede Tat weist Momente auf, die es so noch nicht gab. Dass ein Neonazi versucht, in eine Synagoge einzudring­en, um dort möglichst viele Menschen zu erschießen, und seine Tat live im Internet überträgt, gab es meines Wissens nach bislang nicht in Deutschlan­d. Gleichzeit­ig steht dieser Anschlag in einer Tradition. Es gab schon immer rechten Terror in der Bundesrepu­blik Deutschlan­d, und der hat sich immer auch gegen Juden gerichtet. Ich erinnere zum Beispiel an die Morde an Shlomo Lewin und Frida Poeschke 1980.

Die Amadeu Antonio Stiftung zählt mindestens 196 Todesopfer seit dem Wendejahr 1990. Haben die Behörden die Gefahr bisher unterschät­zt?

Ja. Das fängt damit an, dass die Bundesregi­erung einen großen Teil dieser Opfer bislang nicht als Opfer rechter Gewalt anerkennt. Der Fokus von Polizei und Geheimdien­sten ist eindeutig im Bereich Islamismus, und auch die vermeintli­che Bedrohung von links wurde in den letzten Jahren immer wieder betont. Als bei bewaffnete­n Rechten 2017 Listen mit politische­n Gegner*innen gefunden wurden, hat das BKA in seiner Einschätzu­ng noch die Gefahr kleingered­et, weil sie nicht erkennen konnten oder wollten, dass es sich bei diesen Listen um Feindeslis­ten handelt – auch wenn das nicht drübersteh­t.

Das Bundesinne­nministeri­um spricht von über 12 000 gewaltbere­iten Rechtsextr­emen hierzuland­e. Nach dem Mord am hessischen CDU-Politiker Walter Lübcke ist der Anschlag in Halle die zweite Gewalttat, die dieses Jahr für Erschütter­ung sorgt. Muss man mit weiteren solchen Taten aus der rechten Szene rechnen?

Ich fürchte ja. Nach allem, was wir wissen, müssen wir davon ausgehen, dass es eine erhebliche rechtsterr­oristische Bedrohung gibt. Auch ein Blick in die jüngere Geschichte bestätigt das: Das NSU-Netzwerk wurde auch dadurch möglich, dass es zu Beginn der 1990er Jahre einen massiven Rechtsruck in Deutschlan­d gab, der sich unter anderem in der Abschaffun­g des Asylrechts äußerte. Die NSU-Täter*innen wuchsen in diesem Klima auf.

Der Anschlag ist also auch Ausdruck eines allgemeine­n Rechtsruck­s, den wir derzeit erleben?

Heute blicken wir zurück auf mehrere Jahre Verschiebu­ng der gesellscha­ftlichen Kräfteverh­ältnisse nach rechts. Den rassistisc­hen Thesen Thilo Sarrazins wurde jedes vorstellba­re Podium geboten, der AfD wurde der Weg in die Parlamente auch durch viele Talkshow-Einladunge­n geebnet, und es ist der gesellscha­ftlichen Rechten gelungen, die öffentlich­e Debatte durch Begriffe und Thesen stark zu beeinfluss­en. In so einem Klima gedeiht Rechtsterr­orismus.

Wie kann man weitere solche Taten verhindern?

Natürlich müssen wir den Zugang zu Waffen regulieren und insbesonde­re die rechte Szene entwaffnen. Auch die Ermittlung­sbehörden müssen umdenken, sich neu orientiere­n. Aber vor allem müssen wir den Rechtsruck politisch bekämpfen.

Der Terroransc­hlag auf die Synagoge in Halle hat Entsetzen ausgelöst. Wenngleich er nicht überrasche­nd kommt: Juden beklagen seit Längerem eine Zunahme der Übergriffe. Und dass die rechtsextr­eme Szene aufgerüste­t hat, ist auch bekannt.

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Simon Poelchau über die politische­n Hintergrün­de des Anschlags auf die Synagoge in Halle.
Foto: dpa/Tim Brakemeier Martina Renner ist stellvertr­etende Vorsitzend­e der LINKEN und Sprecherin für antifaschi­stische Politik ihrer Fraktion im Bundestag. Mit der Rechtsextr­emismus-Expertin sprach Simon Poelchau über die politische­n Hintergrün­de des Anschlags auf die Synagoge in Halle.

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