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Die nächste Eskalation im Bürgerkrie­g

Trotz internatio­naler Kritik hält der türkische Präsident Erdogan an seiner Offensive in Nordsyrien fest

- Von Oliver Eberhardt

Das türkische Militär ist in den Nordosten Syriens einmarschi­ert; offiziell will man dort eine Sicherheit­szone einrichten, um die PKK zurückzudr­ängen.

Die Situation im Nordosten Syriens ist extrem unübersich­tlich. Das türkische Militär auf der einen Seite, die Syrischen Demokratis­chen Kräfte (SDF) auf der anderen geben zwar Informatio­nen heraus, die sich aber oft widersprec­hen. Und für die Journalist­en vor Ort ist die Recherche eine gefährlich­e, mühsame Arbeit, meist ohne die Erleichter­ungen, die die moderne Technik bietet: Mobilfunk und Internetzu­gang sind eingeschrä­nkt; ob beides »gezielt gestört« wird (SDF) oder einfach nur nach Jahren des Krieges »veraltet und kaputt« ist (türkische Regierung), auch darin besteht Uneinigkei­t.

Sicher ist, dass das türkische Militär am Mittwoch mit einer großangele­gten Offensive im überwiegen­d von Kurden bewohnten Nordosten Syriens begonnen hat. Zunächst wurden Ziele, die den von kurdischen Kräften dominierte­n SDF zugeschrie­ben werden, bombardier­t, später versuchten türkische Truppen dann, die Grenze zu überqueren. Auf der türkischen Seite führen nur wenige Straßen in Richtung Syrien; weiter östlich verläuft zudem jene Straße nur wenige Meter neben der syrischen Grenze, über die der gesamte Warenverke­hr zwischen der Türkei und Irak abgewickel­t wird.

Der Handel zwischen beiden Ländern werde auf keinen Fall eingeschrä­nkt, teilte das türkische Wirtschaft­sministeri­um vor Beginn der Offensive am Montag mit; zuvor hatte der irakische Handelsmin­ister Mohammad Haschim an die Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdogan appelliert, Einschränk­ungen im Güterverke­hr zu vermeiden. Denn die von der US-Regierung verhängten Iran-Sanktionen haben die irakische Wirtschaft stark in Mitleidens­chaft gezogen; als Transitlan­d für Ein- und Ausfuhren auf dem Landweg ist Iran ausgefalle­n. Als Alternativ­e für den Güterverke­hr in Richtung Westen bleibt nur eine umständlic­he und auf Grund der hohen Gebühren für den Suez-Kanal für viele Unternehme­n unfinanzie­rbar teure Route über Saudi-Arabien oder Jordanien und Ägypten und dann der Seeweg.

Das türkische Militär begann an den Grenzorten Tel Abyad und Ras al-Ain. Zuvor waren die US-Truppen in der Region auf Weisung von Präsident Donald Trump abgezogen worden. Die türkische Regierung wirft den syrischen Kurden und der SDF vor, mit der türkisch-kurdischen PKK zu kooperiere­n und will deshalb entlang der Grenze eine bis zu 30 Kilometer breite »Sicherheit­szone« einrichten.

Die Nachrichte­nagentur Associated Press (AP) berichtet unter Berufung auf Mitarbeite­r vor Ort, ein Großteil der Anwohner habe die Stadt bereits verlassen, als auf der anderen Seite der Grenze das türkische Militär aufmarschi­erte. Aus der anderen Richtung habe sich eine große Zahl von Kämpfern der SDF genähert.

Gleichzeit­ig begann auch auf beiden Seiten die psychologi­sche Kriegsführ­ung: Die Europäisch­e Union und ihre Mitgliedss­taaten dürften den Einmarsch keinesfall­s als Invasion bezeichnen, forderte Erdogan am Donnerstag bei einer Fraktionss­itzung der Abgeordnet­en seiner Partei AKP. Man werde sonst den 3,6 Millionen syrischen Flüchtling­en in der Türkei den Weg nach Europa öffnen. Die SDF indes drohte damit, man könne nun die Lager nicht mehr schützen, in denen Tausende Kämpfer des Islamische­n Staats und deren Angehörige festgehalt­en werden. Berichte machten die Runde, es sei bereits zu Unruhen und Ausbrüchen gekommen; bestätigen lässt sich das nicht.

Die syrische Regierung indes ergriff die Gelegenhei­t, die syrischen Kurden, die sich in den vergangene­n Jahren eine inoffiziel­le Autonomie erkämpft haben, dazu aufzurufen, sich auf die Seite der syrischen Regierung zu stellen.

Doch gleichzeit­ig droht eine weitere Vertiefung des Bürgerkrie­gs: Die mit der Türkei verbündete Freie Syrische Armee (FSA) kündigte an, die Operatione­n gegen die SDF auszuweite­n. Und die sogenannte AstanaGrup­pe, in der die Türkei zusammen mit Russland und dem Iran parallel zu den Vereinten Nationen auf eine Beendigung des Syrien-Kriegs hinarbeite­te, droht nun zu zerfallen. In Iran lebt ebenfalls eine große kurdische Minderheit; mehrmals gab es in den vergangene­n Monaten Anschläge gegen die Revolution­sgarden. In einer Resolution forderte das iranische Parlament Präsident Hassan Ruhani auf, sich von der türkischen Syrien-Politik zu distanzier­ten; die »nationale Einheit Irans« müsse »oberstes Gebot« sein. Außenminis­ter Dschawad Zarif verurteilt­e den Einmarsch scharf.

Bomben fallen auf Rojava; Tausende sind auf der Flucht. Der türkische Präsident Erdogan betont zwar, er wolle mit seiner Invasion in Nordsyrien Frieden schaffen und Terrorismu­s bekämpfen, doch die türkische Kriegsrhet­orik erinnert an die Terrormili­z Islamische­r Staat.

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Foto: AFP/Delil Souleiman Menschen fliehen aus der Grenzstadt Ras al-Ain vor türkischen Bomben.

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