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Per Intrige zum Brexit

Das Misstrauen zwischen Großbritan­nien und Brüssel wird durch Veröffentl­ichungen weiter genährt

- Von Peter Eßer, Brüssel

Per Gesetz darf der Premier Boris Johnson Großbritan­nien nicht ohne Abkommen aus der EU führen. Spekuliert wird, ob er stattdesse­n die EU dazu bringen will, eine Brexit-Verschiebu­ng nicht zuzulassen.

Das Brexit-Drama ist in den vergangene­n Tagen wieder um ein Kapitel reicher geworden. Von kleingeist­igen Gemeinheit­en bis hin zu großen Emotionen wurde alles geboten. Knapp drei Wochen, bevor ein weiteres Mal die Frist abläuft, innerhalb derer das Vereinigte Königreich aus der EU austreten soll, ist eine Lösung weiterhin nicht in Sicht.

Dabei ging es gar nicht so schlecht los. Der britische Premier Boris Johnson stellte vergangene Woche seine lang versproche­ne Ausarbeitu­ng zur Lösung des größten Knackpunkt­s vor: Zwischen EU-Mitglied Irland und dem der britischen Krone unterstehe­nden Nordirland darf es keine sichtbare Grenze geben. So sieht es das Karfreitag­sabkommen vor, das 1998 den jahrzehnte­langen blutigen Nordirland­konflikt beendete.

Weil London von Tag eins nach dem Brexit an eine eigene Handelsage­nda verfolgen und etwa Zölle und Standards für Importe festlegen will, müssen Warenström­e zwischen dem Süden und dem Norden der irischen Insel jedoch unweigerli­ch Kontrollen unterliege­n. Johnsons Vorschlag sieht nun vor, nicht an der inneririsc­hen Grenze zu kontrollie­ren, sondern vereinfach­t über Onlineform­ulare und beim Be- und Entladen auf Firmengelä­nden.

»Die Vorschläge würden geprüft«, hieß es aus Brüssel. Eine postwenden­de Ablehnung, so die Sorge, hätte Johnson Gelegenhei­t gegeben, die Schuld einer verhandlun­gsunwillig­en EU in die Schuhe zu schieben. Doch hinter den Kulissen wurde deutlich: Johnsons Vorschlag beinhaltet­en nichts, was in den Verhandlun­gen mit dessen Vorgängeri­n Theresa May nicht schon zur Sprache gekommen und für nicht zielführen­d befunden worden wäre. Rasch setzte sich die Überzeugun­g durch, Johnson wolle überhaupt kein Abkommen erzielen.

Der Premier hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass er sein Land am 31. Oktober gegebenenf­alls ohne Abkommen aus der EU führen würde. Mögliche katastroph­ale wirtschaft­liche Folgen tat er als Panikmache ab. Allerdings hat das britische Parlament ein Gesetz verabschie­det, das ihn zwingt, eine dreimonati­ge Verschiebu­ng des EU-Austritts zu beantragen, sollte bis zum 19. Oktober kein Abkommen stehen.

Über eine mögliche Strategie der britischen Regierung, das zu umgehen, gab am Montag ein Bericht im britischen »Spectator« mit Verweis auf eine Regierungs­quelle Aufschluss. Auf EU-Seite müssen alle Regierunge­n der anderen 27 Mitgliedst­aaten einer erneuten Brexit-Verschiebu­ng zustimmen. Johnson werde also versuchen, mindestens ein EULand dazu zu bringen, die Verlängeru­ng abzulehnen, so die Quelle.

Diese Vorstellun­g sorgt in Brüssel bereits seit Längerem für Unbehagen. Immer wieder genannt wird dabei der ungarische Ministerpr­äsident Viktor Orban. Der hält bekanntlic­h wenig von der EU. Helle Aufregung kam daher auf, als britische Medien berichtete­n, dem ungarische­n Außenminis­ter Péter Szijjártó sei bei einem Besuch in London vergangene Woche ein entspreche­ndes Angebot unterbreit­et worden. Die Regierung in Budapest stritt dies ab.

Einen weiteren dramaturgi­schen Höhepunkt gab es am Dienstag nach einem Telefonat Johnsons mit Bundeskanz­lerin Angela Merkel. Regierungs­beamte in London stachen anschließe­nd ihre Interpreta­tion des vertraulic­hen Gesprächs an die Presse durch: Merkel habe von Johnson Kompromiss­bereitscha­ft eingeforde­rt, sonst gebe es keine Aussichten auf eine Einigung. In gewissen Kreisen wurde daraus die Lesart »deutsche Kanzlerin diktiert die Brexit-Bedingunge­n« – Hitler-Vergleiche inklusive.

In Brüssel bekräftigt­e die EU-Kommission ihre offizielle­n Linie: »Die Gespräche werden weitergefü­hrt.« EURatspräs­ident Donald Tusk platzte allerdings der Kragen. Er warf Johnson vor, mit seinen Taktierere­ien die Zukunft Europas und Großbritan­niens aufs Spiel zu setzen. Am Mittwoch stand der Brexit auf der Agenda des EU-Parlaments. Vor den Abgeordnet­en stellte Chefunterh­ändler Michel Barnier nüchtern fest: »Wir sind momentan nicht kurz davor, eine Einigung zu finden«.

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Foto: AFP/Aaron Chown Läuft es nach seinem Plan? Boris Johnson (re.) empfängt David Sassoli, Vorsitzend­er des EU-Parlaments.

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