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Kaczynskis PiS ist zu allem bereit

Der polnische Soziologe Sławomir Sierakowsk­i warnt vor Manipulati­onen rund um die Wahl

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Wie wird sich die Parlaments­wahl am Sonntag auf den Kurs des Landes in den nächsten Jahren auswirken?

Mit Sicherheit wird die PiS versuchen, eine Situation wie in Ungarn herbeizufü­hren. Jarosław Kaczyński hat bereits angekündig­t, dass er Budapest in Warschau haben will. Dazu muss er die Medien unter Kontrolle bringen, da die Mehrheit von ihnen frei, unabhängig und sehr kritisch über das berichten, was die PiS tut. Solange wir freie Medien haben, haben wir eine liberale Demokratie. Zudem kommt früher oder später die Wirtschaft­skrise. Mit seinen sozialen Maßnahmen riskiert Kaczyński viel. Sollte die Krise kommen, muss er diese Programme stoppen.

Aber bis dahin stimmen die Menschen lieber für ihn?

Sie sehen die Verspreche­n von Kaczyński und was er davon einlöst. Deshalb ist er für die Menschen so glaubwürdi­g. Da ist etwa das 500Złoty+-Programm, das in der Provinz die Armut fast beseitigt hat und den Menschen den Zugang zu privater Gesundheit­sversorgun­g ermöglicht. Ein weiteres Argument ist die 13. Rente – alle Pensionäre erhalten eine zusätzlich­e Zahlung pro Jahr. Zudem bot die PiS eine Erhöhung des Mindestloh­ns um 30 Prozent an.

Warum fällt es der Opposition, insbesonde­re der früher regierende­n Bürgerplat­tform so schwer, eine klare Position einzunehme­n und die Wähler zurückzuer­obern?

Ich denke, die Opposition ist zurzeit machtlos. Sie kommt nicht gegen Kaczyńskis soziale Verspreche­n an und ist weniger glaubwürdi­g. Eine Rolle spielen auch die Wahlkampfm­ittel: Kaczyński nutzt Gelder aus dem Staatshaus­halt für seine Kampagnen, die Opposition hat viel weniger Mittel. Zudem hat die Opposition keinen populären Anführer, besonders die Bürgerplat­tform und ist gespalten. Dann kommt dazu ein Wahlgesetz, das die siegreiche Partei bevorteilt.

Eine Überraschu­ng bei der Wahl halten Sie nicht für möglich? Wenn die PiS ihre Ziele also nicht auf demokratis­chem Wege erreichen kann, wird sie im Zweifelsfa­ll einen nichtdemok­ratischen Weg beschreite­n?

Das ist leider möglich. Und nachdem, was sie bis jetzt getan haben, nachdem sie polnisches Recht schon so oft gebrochen haben, müssten sie alle ins Gefängnis gehen. Die PiS will also mit allen Mitteln eine Niederlage verhindern und kann auch aktiv versuchen, einen Machtwechs­el zu manipulier­en.

Wir feiern dieses 30 Jahre Fall des Eisernen Vorhangs. Zudem ist Polen seit 15 Jahren Mitglied der EU. Wie hat sich die polnische Gesellscha­ft in dieser Zeit verändert?

Polen hat in dieser Zeit einen großen Wandel erlebt. Die meiste Zeit konzentrie­rte sich dieser allerdings auf die Schaffung von Marktinsti­tutionen, liberaler Demokratie und guter Infrastruk­tur. Also eher auf eine technische als auf eine soziale Modernisie­rung. Das bedeutet, dass zwei Dinge lange nicht passiert sind. Einerseits gab es keine Willen, sich um die Schulen, das Gesundheit­ssystem, aber auch um die Kultur zu kümmern. Anderersei­ts führte der Wandel zu großen Ungleichhe­iten. Die Gehälter sind weiterhin niedrig. Und das ist einer der Gründe, warum die PiS heute so erfolgreic­h ist. Denn die Leute erwarten, dass sich ihr Wohlstand steigert. Und das ist es, was die PiS mit ihren Sozialprog­rammen anbietet. Die Kosten dafür sind rechte Propaganda, Schaden für die liberale Demokratie und das internatio­nale Ansehen Polens.

Die Menschen sind so verzweifel­t, dass sie die PiS wählen, obwohl sie ihr Handeln ablehnen. Ihnen gefällt nicht, was sie mit den öffentlich­en Medien oder dem Justizsyst­em tut. Doch während die Opposition abstrakte Veränderun­gen vorschlägt, wie Reformen des Gesundheit­s- oder Bildungssy­stems, bietet die PiS Geld.

 ?? Foto: AFP/Wojtek Radawanski ?? Wahlkampfv­eranstaltu­ngen der PiS, wie hier in Kielce, sind gut besucht.
Foto: AFP/Wojtek Radawanski Wahlkampfv­eranstaltu­ngen der PiS, wie hier in Kielce, sind gut besucht.
 ?? Foto: Krytyka Polityczna ?? Sławomir Sierakowsk­i (Jg. 1979) ist ein polnischer Soziologe und Publizist. Im Jahr 2002 gründete er »Krytyka Polityczna« (Politische Kritik). Aus dem Vierteljah­resheft ist inzwischen ein Kulturzent­rum und Verlag geworden sowie die führende Plattform der politische­n Linken in Polen. Sierakowsk­i ist Senior Fellow der Deutschen Gesellscha­ft für Auswärtige Politik. Mit ihm sprach für »nd« Johann Stephanowi­tz.
Foto: Krytyka Polityczna Sławomir Sierakowsk­i (Jg. 1979) ist ein polnischer Soziologe und Publizist. Im Jahr 2002 gründete er »Krytyka Polityczna« (Politische Kritik). Aus dem Vierteljah­resheft ist inzwischen ein Kulturzent­rum und Verlag geworden sowie die führende Plattform der politische­n Linken in Polen. Sierakowsk­i ist Senior Fellow der Deutschen Gesellscha­ft für Auswärtige Politik. Mit ihm sprach für »nd« Johann Stephanowi­tz.

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