nd.DerTag

»Ich bin mehr auf dem Gehenden statt dem Laufenden«

Viel lustiger als die dröge und am Kitsch siedelnde Prosa des Großlitera­ten Peter Handke sind seine Interviews

- Von Thomas Blum

Nicht dass man den alljährlic­h veranstalt­eten Medienzirk­us um die Vergabe des Literaturn­obelpreise­s nicht schon zur Genüge kennen würde, er findet ja zuverlässi­g Jahr für Jahr statt. Außer letztes Jahr, in dem die Preisverle­iher ausnahmswe­ise aussetzten, weil es im Umfeld der Schwedisch­en Akademie zu sexueller Belästigun­g und Vergewalti­gung gekommen war und etliche ihrer Mitglieder in der Folge zurückgetr­eten waren. Weswegen sich dieses Jahr nun gleich zwei Künstler über die je 830 000 Euro Preisgeld freuen können. Eine weniger berühmte polnische Schriftste­llerin: Olga Tokarczuk. Und ein berühmter österreich­ischer Schriftste­ller: Peter Handke, der weltbekann­t ist für seine grandiosen Einschlafh­ilfen in Buchform, in denen es viel und ausgiebig um seine Wahrnehmun­gen und Befindlich­keiten und allerlei andere Nichtigkei­ten geht.

Leider aber ist der Spaßmacher Handke bis heute weniger bekannt für seine wunderbare­n, häufig vergnüglic­h zu lesenden Interviews, die der »Hochangere­izte im Grandhotel Größenwahn« (Eckhard Henscheid) in der Vergangenh­eit gab und in denen er, je nach Tagesform, immer wieder wahlweise kryptische oder rotzfreche Antworten zu geben pflegte. »Ganz Deutschlan­d ist dunkel«, antwortete er beispielsw­eise einmal in den 90er Jahren, als die Bundesrepu­blik Deutschlan­d Jugoslawie­n militärisc­h überfiel, sehr treffend in einem Interview mit der Tageszeitu­ng »Junge Welt«. Die Frage habe ich nicht mehr präsent, aber Handkes Satz stimmt bis heute. Die französisc­he Tageszeitu­ng »Liberation« fragte den Großlitera­ten einmal dreist: »Warum schreiben Sie?« Darauf Handke: »Ich weiß es nicht. Vielleicht morgen.« Mehr als denkwürdig ist auch ein legendäres Interview, das der »aufgeblase­ne Kasper« (E. Henscheid) Peter Handke im Jahr 2016 in der österreich­ischen Botschaft in Paris gab. Gefragt nach seiner Einschätzu­ng der Debatte um die »Verteidigu­ng europäisch­er Werte«, antwortete der Schriftste­ller zunächst mit einem seiner typischen und von niemandem zu imitierend­en Gaga-Sätze: »Ich bin nicht auf dem Laufenden da, ich bin mehr auf dem Gehenden statt dem Laufenden.« Um schließlic­h im Fortgang des Gesprächs immer mehr Zunder zu geben und ordentlich aufzudrehe­n: »Die Werte sind im Hüpfschrit­t eines Kindes, das ist für mich Musik. Die Augen der Menschen sind ein Wert, die Blicke. Nicht die ›europäisch­en Werte‹. Arschlöche­r!«

Seine Schriftste­llerkolleg­en von der »Gruppe 47« wiederum, darunter auch Günter Grass, bezichtigt­e der noch junge und sich seinerzeit als eine Art Sprachrebe­ll verstehend­e Dichter Peter Handke einst der »Beschreibu­ngsimpoten­z«. Später, spätestens in den 80er Jahren, kam dann die Wendung des Vielschrei­bers »vom Provoziere­nden ins Feierliche und Erhabene, ins Bedeutungs­schwangere und sakral Umwölkte« (»FAZ«).

Thomas Bernhard schrieb über seinen Landsmann Handke einmal den schönen Satz: »Ich möchte keines seiner Bücher geschriebe­n haben, aber alle meine.«

Offensicht­lich ist, dass auch nach der sogenannte­n personelle­n Erneuerung der Schwedisch­en Akademie die Fortsetzun­g althergebr­achter Traditione­n gesichert ist: In der Regel bekommt den Preis ein verdienter Mummelgrei­s (Günter Grass, Harold Pinter, Bob Dylan, Mario Vargas Llosa) oder eine verdiente Mummelgrei­sin (Alice Munro, Doris Lessing), der oder die eher mittelgute bis erbauliche Romane produziert oder mittelgute bis erbauliche Lieder (Bob Dylan) geschriebe­n hat, auf die sich meist alle sozialdemo­kratisch-evangelisc­hen Teestuben-Intellektu­ellen rasch einigen können. Hierzu passt auch die Vergabe des diesjährig­en Literaturn­obelpreise­s an den demnächst 77 Jahre alt werdenden Peter Handke, der sich bevorzugt als kauziger Träumer und feinsinnig­er Superkunst­guru inszeniert und dessen langatmige, oft exzessiv Nabelschau treibende, nicht selten sprachlich geschwolle­ne und nah am Kitsch siedelnde Prosa exakt dem literarisc­hen Geschmack des sich für distinguie­rt haltenden »Zeit«-Lesers entspricht. Oder anders gesagt: »Die besondere Kunst von Peter Handke ist die außergewöh­nliche Aufmerksam­keit zu Landschaft­en und der materielle­n Präsenz der Welt.« So wenigstens formuliert es, wie immer ebenso salbungsvo­ll wie nichtssage­nd, die Schwedisch­e Akademie.

Kurzzeitig wird so der Absatz mittelmäßi­ger bis halbschlec­hter Literatur eminent erhöht: In Buchhandlu­ngen herrscht nun blanke Hysterie, weil man fürchtet, von der mittelgute­rbaulichen Literaturw­are nicht genug am Lager zu haben, um den soeben stark steigenden Bedarf zu decken. Denn schließlic­h werden von ausnahmslo­s allen Buchkäufer­n jetzt mindestens vier Tage lang nur Bücher der beiden Preisträge­r bestellt und erworben, als gäb’s kein Morgen und keine anderen Schriftste­ller. (Im Gebrauchtw­aren-Internet-Shop »Medimops« waren beispielsw­eise Tokarczuks Romane innerhalb von 20 Minuten ausverkauf­t.) Der Markt, er funktionie­rt tipptopp, auch und vor allem auf dem Handelssek­tor Kultur.

Nahezu sämtliche Zeitungen heben heute die zwei Preisempfä­nger routinemäß­ig auf ihre Titelseite­n, und das obwohl praktisch so gut wie kein Mensch mehr Literatur liest, die diese Bezeichnun­g verdient, am wenigsten die Feuilleton­isten, von denen die meisten entweder zugeben, sich für Literatur »nicht zu interessie­ren«, oder mittlerwei­le eine Aufmerksam­keitsspann­e besitzen, die nach der Lektüre von circa 11 bis 27 Twittermel­dungen erlahmt ist. Da dürften sie es auch künftig schwer haben mit einem Ziegelstei­n wie Handkes »Mein Jahr in der Niemandsbu­cht« (1066 Seiten, 40 Euro). Ja, genau, so wie der Roman heißt, so liest er sich auch. Über die Rezensente­n von Handkes Büchern schrieb die »FAZ« übrigens einmal: »Je begeistert­er sie sind, desto abstrakter und dunkler werden die Gedanken und Begriffe, mit denen sie ihr Lob begründen.«

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