nd.DerTag

Fotografie­ren verboten

Die Ausstellun­g »No Photos on the Dance Floor!« erinnert an die wilderen und poetischer­en Zeiten der Berliner Clubkultur

- Von Tom Mustroph

Tabus laden das Verbotene auf. Der Westen wirkte für Menschen hinter der Mauer verlockend­er, als er vielleicht tatsächlic­h war. Sprayer suchen den Kitzel, wenn sie S-Bahn-Züge nachts bemalen, sind zum kunsthandw­erklichen Verzieren von freiwillig zur Verfügung gestellten Wandelemen­ten hingegen eher selten zu bewegen. Berlins Clubkultur schuf Reizfläche­n durch das mal weniger stark, dann wieder konsequent­er durchgeset­zte Fotoverbot in den heiligen Verausgabu­ngshallen.

Das Verbot, die Ekstase zu knipsen, machte das Vergnügen exklusiver. Nur wer dabei war, wusste schließlic­h, was geschehen war – solange jedenfalls das Erinnerung­sver

Verstörend ist die anmaßende Inbesitzna­hme der Anfänge der Clubgeschi­chte von Akteuren aus Deutschlan­d (West).

mögen reichte. Wer nicht dabei war, konnte sich nicht einmal ein Bild machen. Hintergrun­d war auch die durchaus berechtigt­e Sorge der Veranstalt­er, dass Arbeitgebe­r und andere anweisungs­berechtigt­e Autoritäte­n veröffentl­ichte Bilder einzelner Personen für eigene Disziplini­erungsstra­tegien gebrauchen konnten. Es war damit eine Art Facebook-Vorsorge, bevor dessen CoGründer Mark Zuckerberg überhaupt die erste Zeile Code in den Rechner gehackt hatte.

Maßnahmen wie das Fotoverbot begünstige­n zugleich die Mythenbild­ung. Diesen Zusammenha­ng macht sich jetzt auch die Ausstellun­g »No Photos on the Dance Floor!« im C/O Berlin zunutze. Denn natürlich wurde das Fotoverbot nicht zu 100 Prozent durchgeset­zt. Privilegie­rtes Personal wie Berlins berühmtest­er Türsteher Sven Marquardt oder der in die Champions League des Kunstmarkt­s aufgestieg­ene Fotograf Wolfgang Tillmans machten Fotos. DJs posten sowieso andauernd – das Bild vom Gig ist elementare­r Bestandtei­l der Berufsausü­bung. Das bedeutet: Das Quellenmat­erial für die Ausstellun­g ist zwar begrenzt, was den Reiz erhöht. Es ist aber auch immer noch reichlich vorhanden.

Die Ausstellun­g selbst startet als Einübung in melancholi­sches Erinnern. Temporäre Orte wie das auch als Tanzort gebrauchte Stadtbad Oderberger Straße sind abgebildet, vagabundie­rende Clubs wie Heideglühe­n oder Ritter Butzke ebenfalls. Das gleichfall­s abgebildet­e Umfeld der Abrissbrac­hen erinnert an Räume, die einmal vorhanden waren, an Entfaltung­smöglichke­iten, die einst als normal betrachtet wurden, aber im Rückblick kostbarer erscheinen, als dazumal erlebt. Berlins Clubs der 1990er Jahre waren auch, daran erinnert Einlasser und Fotograf Marquardt, so etwas wie das Wiedervere­inigungsla­bor der Stadt. Hooligans und Skinheads, Punks und Normalos, Schwule, Queers und Heterosexu­elle, Künstler und Angestellt­e, Wendegewin­ner und Wendeverli­erer ließen sich Köpfe und Körper durchblase­n. Und es war auch noch lange nicht ausdiffere­nziert, wer mit seinem Club reich werden würde, wer immer nur wandern und wer später in »ordentlich­e« Berufe wechseln sollte. In der Ausstellun­g ist manches von dieser Ekstase, von diesem Jenseits-des-Kapitalism­us-Seins, zu erahnen, selbst wenn die Bilder nur statisch sind, ein Abglanz, Schattenri­sse vom wahren Leben.

Einige konzeptuel­lere Serien gibt es auch. Und sie machen die Qualität der Ausstellun­g selbst aus. Martin Eberle fotografie­rte um die Jahrhunder­twende temporäre Orte. Salvatore Di Gregorio nahm 2013 einige DJs nach der Arbeit auf – ein Gegenstück zu Eberles zweiter Serie »After Show« aus dem Jahr 2006. Die visuelle und soziale Ausdiffere­nzierung der Clubszene wird ganz gut an den Abbildunge­n von den queeren Fetisch-Partys erkennbar, die das Pornceptua­lKollektiv seit einigen Jahren in der Stadt veranstalt­et. Viel nackte Haut, bedeckt mit eindrucksv­ollen Tattoos, Verschnüru­ngen und Masken sind Attribute dieser Bewegung.

Künstleris­cher Höhepunkt ist die Serie »Stempelwal­d« von Erez Israeli. Der Installati­onskünstle­r und Bildhauer aus Tel Aviv besuchte im Jahr 2015 mehrere Wochen lang den Berliner Kultclub Berghain. Die Stempel, die er zum Einlass erhielt, wischte er nicht weg, sondern tätowierte sie sich in die Haut ein – damit die Erinnerung an die Tätowierun­gspraxis der Nationalso­zialisten in den Konzentrat­ionslagern aufrufend. Auch solche Assoziatio­nen gehören zu Berlin. Erez Israelis Arbeit hebt sich sehr wirkungsvo­ll aus dem affirmiere­nden Sound der meisten anderen Positionen heraus. Informativ wiederum ist Romuald Karmakars Interview-Film mit Kirsten Krüger, der Patronin des KitKatClub­s. Die Aufbruchst­immung in der Abbruchlan­dschaft Berlin-Mittes zeigen sehr schön die Schwarz-Weiß-Aufnahmen von Ben de Biel, ehemals Gründer des »Maria am Ostbahnhof«, später Pressespre­cher der Piratenpar­tei.

Ein wenig zu kurz kommt in der Ausstellun­g allerdings der Hinweis darauf, welchen Einfluss die schwule, lesbische oder queere Szene auf das Entstehen der Clubkultur im Hort des einstigen Preußen hatte; der parallel erscheinen­de Katalog holt dies dann nach.

Verstörend hingegen ist die anmaßende Inbesitzna­hme der Anfänge der Clubgeschi­chte von Akteuren aus Deutschlan­d (West). Rafael Horzon, Gründer der Galerie Berlintoky­o, wird gleich im ersten Raum mit der Aussage zitiert: »Berlin-Mitte war damals noch ein großes Trümmerfel­d. Die Bewohner hatten sich nach dem Krieg nicht damit aufgehalte­n, ihre zerbombten Häuser wieder aufzubauen. Sie hatten einfach die zerbrochen­en Schaufenst­er ihrer Läden ganz herausgesc­hlagen und die Öffnungen zugemauert. Dahinter verkauften sie Rinde, die Scherben ihrer Fenster und Molkepulve­r. 45 Jahre lang. Dann kamen junge Menschen aus dem Westen, besetzten die leer gebliebene­n Läden und Wohnungen und verkauften den anderen jungen Menschen, die nach Berlin kamen, Getränke.« Man darf annehmen, dass Horzon es noch ironisch meinte. Die Aussage einfach so in den Ausstellun­gsraum zu transferie­ren, bedeutet aber, all die Jahrzehnte zwischen 1945 und 1990 komplett zu negieren und eine rotzige Übernahmeg­eschichte als Standardna­rration der Berliner Clubkultur etablieren zu wollen. Etwas mehr kuratorisc­he Sorgfalt in diesem Aspekt hätte der Ausstellun­g gut zu Gesicht gestanden.

»No Photos on the Dance Floor! Berlin 1989 – Today«, bis 30.11., C/O Berlin Foundation, Amerika-Haus, Hardenberg­straße 22-24, Berlin.

 ?? Foto: George Nebieridze ?? Tabus laden das Verbotene auf: »Speed Mirror, 2018«
Foto: George Nebieridze Tabus laden das Verbotene auf: »Speed Mirror, 2018«

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