Fotografieren verboten
Die Ausstellung »No Photos on the Dance Floor!« erinnert an die wilderen und poetischeren Zeiten der Berliner Clubkultur
Tabus laden das Verbotene auf. Der Westen wirkte für Menschen hinter der Mauer verlockender, als er vielleicht tatsächlich war. Sprayer suchen den Kitzel, wenn sie S-Bahn-Züge nachts bemalen, sind zum kunsthandwerklichen Verzieren von freiwillig zur Verfügung gestellten Wandelementen hingegen eher selten zu bewegen. Berlins Clubkultur schuf Reizflächen durch das mal weniger stark, dann wieder konsequenter durchgesetzte Fotoverbot in den heiligen Verausgabungshallen.
Das Verbot, die Ekstase zu knipsen, machte das Vergnügen exklusiver. Nur wer dabei war, wusste schließlich, was geschehen war – solange jedenfalls das Erinnerungsver
Verstörend ist die anmaßende Inbesitznahme der Anfänge der Clubgeschichte von Akteuren aus Deutschland (West).
mögen reichte. Wer nicht dabei war, konnte sich nicht einmal ein Bild machen. Hintergrund war auch die durchaus berechtigte Sorge der Veranstalter, dass Arbeitgeber und andere anweisungsberechtigte Autoritäten veröffentlichte Bilder einzelner Personen für eigene Disziplinierungsstrategien gebrauchen konnten. Es war damit eine Art Facebook-Vorsorge, bevor dessen CoGründer Mark Zuckerberg überhaupt die erste Zeile Code in den Rechner gehackt hatte.
Maßnahmen wie das Fotoverbot begünstigen zugleich die Mythenbildung. Diesen Zusammenhang macht sich jetzt auch die Ausstellung »No Photos on the Dance Floor!« im C/O Berlin zunutze. Denn natürlich wurde das Fotoverbot nicht zu 100 Prozent durchgesetzt. Privilegiertes Personal wie Berlins berühmtester Türsteher Sven Marquardt oder der in die Champions League des Kunstmarkts aufgestiegene Fotograf Wolfgang Tillmans machten Fotos. DJs posten sowieso andauernd – das Bild vom Gig ist elementarer Bestandteil der Berufsausübung. Das bedeutet: Das Quellenmaterial für die Ausstellung ist zwar begrenzt, was den Reiz erhöht. Es ist aber auch immer noch reichlich vorhanden.
Die Ausstellung selbst startet als Einübung in melancholisches Erinnern. Temporäre Orte wie das auch als Tanzort gebrauchte Stadtbad Oderberger Straße sind abgebildet, vagabundierende Clubs wie Heideglühen oder Ritter Butzke ebenfalls. Das gleichfalls abgebildete Umfeld der Abrissbrachen erinnert an Räume, die einmal vorhanden waren, an Entfaltungsmöglichkeiten, die einst als normal betrachtet wurden, aber im Rückblick kostbarer erscheinen, als dazumal erlebt. Berlins Clubs der 1990er Jahre waren auch, daran erinnert Einlasser und Fotograf Marquardt, so etwas wie das Wiedervereinigungslabor der Stadt. Hooligans und Skinheads, Punks und Normalos, Schwule, Queers und Heterosexuelle, Künstler und Angestellte, Wendegewinner und Wendeverlierer ließen sich Köpfe und Körper durchblasen. Und es war auch noch lange nicht ausdifferenziert, wer mit seinem Club reich werden würde, wer immer nur wandern und wer später in »ordentliche« Berufe wechseln sollte. In der Ausstellung ist manches von dieser Ekstase, von diesem Jenseits-des-Kapitalismus-Seins, zu erahnen, selbst wenn die Bilder nur statisch sind, ein Abglanz, Schattenrisse vom wahren Leben.
Einige konzeptuellere Serien gibt es auch. Und sie machen die Qualität der Ausstellung selbst aus. Martin Eberle fotografierte um die Jahrhundertwende temporäre Orte. Salvatore Di Gregorio nahm 2013 einige DJs nach der Arbeit auf – ein Gegenstück zu Eberles zweiter Serie »After Show« aus dem Jahr 2006. Die visuelle und soziale Ausdifferenzierung der Clubszene wird ganz gut an den Abbildungen von den queeren Fetisch-Partys erkennbar, die das PornceptualKollektiv seit einigen Jahren in der Stadt veranstaltet. Viel nackte Haut, bedeckt mit eindrucksvollen Tattoos, Verschnürungen und Masken sind Attribute dieser Bewegung.
Künstlerischer Höhepunkt ist die Serie »Stempelwald« von Erez Israeli. Der Installationskünstler und Bildhauer aus Tel Aviv besuchte im Jahr 2015 mehrere Wochen lang den Berliner Kultclub Berghain. Die Stempel, die er zum Einlass erhielt, wischte er nicht weg, sondern tätowierte sie sich in die Haut ein – damit die Erinnerung an die Tätowierungspraxis der Nationalsozialisten in den Konzentrationslagern aufrufend. Auch solche Assoziationen gehören zu Berlin. Erez Israelis Arbeit hebt sich sehr wirkungsvoll aus dem affirmierenden Sound der meisten anderen Positionen heraus. Informativ wiederum ist Romuald Karmakars Interview-Film mit Kirsten Krüger, der Patronin des KitKatClubs. Die Aufbruchstimmung in der Abbruchlandschaft Berlin-Mittes zeigen sehr schön die Schwarz-Weiß-Aufnahmen von Ben de Biel, ehemals Gründer des »Maria am Ostbahnhof«, später Pressesprecher der Piratenpartei.
Ein wenig zu kurz kommt in der Ausstellung allerdings der Hinweis darauf, welchen Einfluss die schwule, lesbische oder queere Szene auf das Entstehen der Clubkultur im Hort des einstigen Preußen hatte; der parallel erscheinende Katalog holt dies dann nach.
Verstörend hingegen ist die anmaßende Inbesitznahme der Anfänge der Clubgeschichte von Akteuren aus Deutschland (West). Rafael Horzon, Gründer der Galerie Berlintokyo, wird gleich im ersten Raum mit der Aussage zitiert: »Berlin-Mitte war damals noch ein großes Trümmerfeld. Die Bewohner hatten sich nach dem Krieg nicht damit aufgehalten, ihre zerbombten Häuser wieder aufzubauen. Sie hatten einfach die zerbrochenen Schaufenster ihrer Läden ganz herausgeschlagen und die Öffnungen zugemauert. Dahinter verkauften sie Rinde, die Scherben ihrer Fenster und Molkepulver. 45 Jahre lang. Dann kamen junge Menschen aus dem Westen, besetzten die leer gebliebenen Läden und Wohnungen und verkauften den anderen jungen Menschen, die nach Berlin kamen, Getränke.« Man darf annehmen, dass Horzon es noch ironisch meinte. Die Aussage einfach so in den Ausstellungsraum zu transferieren, bedeutet aber, all die Jahrzehnte zwischen 1945 und 1990 komplett zu negieren und eine rotzige Übernahmegeschichte als Standardnarration der Berliner Clubkultur etablieren zu wollen. Etwas mehr kuratorische Sorgfalt in diesem Aspekt hätte der Ausstellung gut zu Gesicht gestanden.
»No Photos on the Dance Floor! Berlin 1989 – Today«, bis 30.11., C/O Berlin Foundation, Amerika-Haus, Hardenbergstraße 22-24, Berlin.