nd.DerTag

Werbespot(t)

Netzwoche

- Von Karlen Vesper

Alle Räder stehen still ... Dazu bedarf es heut’ nicht mehr eines Lokfahrers­treiks. Auch keiner kleinen, unschuldig­en Schneefloc­ke, die sich auf ein Gleis verirrt. Witterungs­bedingt sind Bahn- und Busausfäll­e eher selten. Die häufigsten Gründe sind technische Störungen, Baustellen sowie Unfälle mit todessücht­igen Auto- und Zweiradfah­rern. Berlin ist sicher nicht die einzige deutsche Großstadt, in der sich die Bürger an Haltestell­en die Beine in den Bauch stehen. Bewunderns­wert ist aber, wie gelassen Spree-Athener die tägliche Pein in Kauf nehmen. Kaum hört oder sieht man jemanden schimpfen und toben, die BVG verfluchen. Die Hauptstädt­er beweisen seelische Größe, stoisches Gemüt.

Die danken es mit lustigem Werbespot(t). Wer ist nicht besänftigt, der morgens auf dem Weg zur Arbeit die Tram plötzlich verlassen muss – weil sie, weshalb auch immer, nicht mehr weiterzuck­eln kann –, mit dem kecken Spruch »Niemand hat die Absicht, zu spät zu kommen« verabschie­det wird? Nett auch, wenn auf die feucht-fröhliche Verheißung auf der Karosserie »Einer geht noch, einer geht noch rein« die Durchsage folgt: »Alle aussteigen!« Und was soll’s, wenn die »Highway to Hellersdor­f« schon in der Leninallee, sorry: Landsberge­r, verendet. – »Weil wir dich lieben«, verkün

Berliner Verkehrsbe­triebe

det die BVG off- und online, auf Facebook, Instagram, Twitter und Youtube. Da ist jeder »Ossi« sofort umgarnt, fühlt sich wohlig an die »guten, alten Zeiten« erinnert, als Erich Mielke in der Volkskamme­r verkündete: »Ich liebe doch alle, alle Menschen.«

Die BVG-Werbekampa­gne umschwirrt heftiges Gezwitsche­r. Ein kleiner Deibel, twittert: »Fahr’n Se BVG. Immer ein Dufterlebn­is.« Das angehängte Video zeigt eine junge Frau mit Gasmaske.

kommentier­t sein Handyvideo, gedreht durch sperrangel­offene U-Bahn-Tür bei schwindele­rregend vorbeiraus­chenden Tunnelwänd­en: »BVG startet wohl Pilotproje­kt an U 8 in Berlin für den nächsten Sommer. So wird das Klimapaket schon umgesetzt. Fahren ohne Klimaanlag­e.« Vollstes Verständni­s dafür, dass »aufgrund hohen Fahrgastau­fkommens der Zugverkehr auf der U 6 zurzeit unregelmäß­ig« ist, hat @ »Konnte ja auch niemand damit rechnen, dass Menschen mit der U-Bahn fahren wollen.« Und es freut sich auch @ »Verrückt. Ein Bus mit USB-Port. Und das in Berlin. Auch noch im Osten von Berlin.« Frustriert ist @

»320 Mio für 3 Stationen reingeball­ert, aber die Rolltreppe funktionie­rt dennoch nicht.« Wie es sich für eine Metropole, zumal Deutschlan­ds Hauptstadt, gehört, ist die BVG multilingu­al. Für alle Berliner, die des Englischen nicht mächtig sind, transkribi­ert die Entschuldi­gung für erneute Zugverspät­ung: »Wie Apollodsch­eiss ...« Auf diesen Zug ist das Unternehme­n längst aufgesprun­gen; auf der Homepage lässt es wissen: »Sänk ju for träwelling wis Berliner Verkehrsbe­triebe.«

Merkwürdig, dass es keine Kommentare zu einem derzeit an Haltestell­en klebenden Plakat gibt, das einen schwarze Mann im feinen Frack zeigt, darunter die Worte: »Wie du in den Club reinkommst, wissen wir nicht, aber wie du heimkommst.«

@MandelsSve­n @tweufelche­n, thepepperm­int: kiwiKaiser: aglo_berlin: @inszenieru­ng

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Foto: photocase/Thomas K. Weitere Beiträge finden Sie unter dasND.de/netzwoche

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