Notwendigerweise schlicht
Rory Gallagher war ein fintenreicher Folk- und Blues-Mann. Jetzt gibt es eine neue 3-CD-Box
Am Ende war er fett geworden. Aber er tingelt bis zuletzt durch die Clubs und kleinen Hallen, und was er an Geschwindigkeit und Verve eingebüßt hat, macht er mit Gefühl und Straßenweisheit wieder wett. Für Eingeweihte kaum überraschend, wird er 1995 ins Krankenhaus eingewiesen, um seine vom langjährigen Guinness-Abusus ganz mürbe gewordene Leber durch eine frische zu ersetzen, dabei fängt er sich einen Virus ein, der seine Gitarre, eine alte 61er-Signature-Strat mit der Fertigungsnummer 64351, zur Waise macht.
Gekauft hat er sie 1963, als er noch mit der Fontana Show Band die Kneipensäle Irlands beackert. Schon bei Taste, dem Trio, mit dem er dann in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts den Durchbruch schafft, ist sie so zugerichtet, wie sie dann ins kollektive Gedächtnis eingeht: durchgenudelt, zerdengelt, der Lack bis auf das Holz runtergerockt. Gallaghers Erben haben sie 2011 Joe Bonamassa geliehen, für einen Auftritt im Hammersmith Odeon. Man kann sich das bei Youtube anschauen. »This is worse than fuck his woman and put on the internet for everyone to see«, schreibt eine erboste Zuschauerin. Man möchte sie dafür in den Arm nehmen.
Bei Taste entwickelt Gallagher seinen dynamischen Stil, der sich in den folgenden Jahrzehnten nur mehr leicht sublimiert. Er renommiert mit aufgedrehten Heldenlegato-Läufen, um sich danach auf eine melancholische Blues-Exkursion zu begeben, er polkt in aller Seelenruhe die Obertöne aus den Saiten, zieht sie, bis es wehtut, und am Ende streift er auch noch das Stahlrohr über den kleinen Finger, da kommt die Sache erst richtig ins Rutschen. Das alles innerhalb eines Solos. Taste sind in dem Moment Geschichte, als sich seine Mitstreiter zu laut über solche gitarristischen Exzesse beschweren. Gallagher braucht keine Band. Folgerichtig macht er ab 1970 solo weiter.
Seine Songs sind notwendigerweise schlicht, denn so lassen sie sich live besser zerdehnen, auseinandernehmen und wieder neu zusammensetzen. Er sei nicht in der Lage, sich zu wiederholen, hat er betont, weil es bei ihm kein festes Konzept gebe. Auch auf größeren Bühnen, etwa dem Isle-of-Wight-Festival, behalten seine Auftritte so stets den Charakter eines verschwitzten Clubgigs.
Die vor einer Weile erschienene 3CD-Box »Blues« nimmt ihren Titel ein bisschen zu ernst und konsequent den traditionalistischen Zweig seines Werks in den Blick. Eine solche selektive Zusammenstellung hilft aber auch, sich manche Dinge noch einmal klar vor Augen zu führen: Zum Beispiel dass dieser genuine E-Gitarrist ein ebenso trick- wie fintenreicher Folkbluesman war. So gibt es hier sehr schöne akustische, den Kern freilegende Alternativversionen von ursprünglich elektrisch verstärkten Songs wie »Who’s That Coming«, »Whole Lot Of People«, »Secret Agent« oder dem späten »Loanshark Blues« zu hören. Die Session-Jobs bei Muddy Waters und Lonnie Donegan sind verzichtbar, Rorys Beitrag zum Peter-Green-Tribute-Sampler, »Leaving Town Blues«, ganz und gar nicht, und neben einigen inspirierten Radio- und TV-Sessions wie der grandiosen BBC-Version von »Million Miles Away« überzeugen vor allem die energetischen bis frenetischen LiveMitschnitte in doch allesamt recht ordentlicher Soundqualität. Dass die Bühne sein natürliches Biotop war, weiß man, aber an dem Abend im Glasgower Apollo 1982 und in der Sheffield City Hall 1977 scheint er sich vollkommen zu Hause gefühlt zu haben.
Rory Gallagher: »Blues«. 3-CD-Box (Chess/Universal)