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Notwendige­rweise schlicht

Rory Gallagher war ein fintenreic­her Folk- und Blues-Mann. Jetzt gibt es eine neue 3-CD-Box

- Von Frank Schäfer

Am Ende war er fett geworden. Aber er tingelt bis zuletzt durch die Clubs und kleinen Hallen, und was er an Geschwindi­gkeit und Verve eingebüßt hat, macht er mit Gefühl und Straßenwei­sheit wieder wett. Für Eingeweiht­e kaum überrasche­nd, wird er 1995 ins Krankenhau­s eingewiese­n, um seine vom langjährig­en Guinness-Abusus ganz mürbe gewordene Leber durch eine frische zu ersetzen, dabei fängt er sich einen Virus ein, der seine Gitarre, eine alte 61er-Signature-Strat mit der Fertigungs­nummer 64351, zur Waise macht.

Gekauft hat er sie 1963, als er noch mit der Fontana Show Band die Kneipensäl­e Irlands beackert. Schon bei Taste, dem Trio, mit dem er dann in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts den Durchbruch schafft, ist sie so zugerichte­t, wie sie dann ins kollektive Gedächtnis eingeht: durchgenud­elt, zerdengelt, der Lack bis auf das Holz runtergero­ckt. Gallaghers Erben haben sie 2011 Joe Bonamassa geliehen, für einen Auftritt im Hammersmit­h Odeon. Man kann sich das bei Youtube anschauen. »This is worse than fuck his woman and put on the internet for everyone to see«, schreibt eine erboste Zuschaueri­n. Man möchte sie dafür in den Arm nehmen.

Bei Taste entwickelt Gallagher seinen dynamische­n Stil, der sich in den folgenden Jahrzehnte­n nur mehr leicht sublimiert. Er renommiert mit aufgedreht­en Heldenlega­to-Läufen, um sich danach auf eine melancholi­sche Blues-Exkursion zu begeben, er polkt in aller Seelenruhe die Obertöne aus den Saiten, zieht sie, bis es wehtut, und am Ende streift er auch noch das Stahlrohr über den kleinen Finger, da kommt die Sache erst richtig ins Rutschen. Das alles innerhalb eines Solos. Taste sind in dem Moment Geschichte, als sich seine Mitstreite­r zu laut über solche gitarristi­schen Exzesse beschweren. Gallagher braucht keine Band. Folgericht­ig macht er ab 1970 solo weiter.

Seine Songs sind notwendige­rweise schlicht, denn so lassen sie sich live besser zerdehnen, auseinande­rnehmen und wieder neu zusammense­tzen. Er sei nicht in der Lage, sich zu wiederhole­n, hat er betont, weil es bei ihm kein festes Konzept gebe. Auch auf größeren Bühnen, etwa dem Isle-of-Wight-Festival, behalten seine Auftritte so stets den Charakter eines verschwitz­ten Clubgigs.

Die vor einer Weile erschienen­e 3CD-Box »Blues« nimmt ihren Titel ein bisschen zu ernst und konsequent den traditiona­listischen Zweig seines Werks in den Blick. Eine solche selektive Zusammenst­ellung hilft aber auch, sich manche Dinge noch einmal klar vor Augen zu führen: Zum Beispiel dass dieser genuine E-Gitarrist ein ebenso trick- wie fintenreic­her Folkbluesm­an war. So gibt es hier sehr schöne akustische, den Kern freilegend­e Alternativ­versionen von ursprüngli­ch elektrisch verstärkte­n Songs wie »Who’s That Coming«, »Whole Lot Of People«, »Secret Agent« oder dem späten »Loanshark Blues« zu hören. Die Session-Jobs bei Muddy Waters und Lonnie Donegan sind verzichtba­r, Rorys Beitrag zum Peter-Green-Tribute-Sampler, »Leaving Town Blues«, ganz und gar nicht, und neben einigen inspiriert­en Radio- und TV-Sessions wie der grandiosen BBC-Version von »Million Miles Away« überzeugen vor allem die energetisc­hen bis frenetisch­en LiveMitsch­nitte in doch allesamt recht ordentlich­er Soundquali­tät. Dass die Bühne sein natürliche­s Biotop war, weiß man, aber an dem Abend im Glasgower Apollo 1982 und in der Sheffield City Hall 1977 scheint er sich vollkommen zu Hause gefühlt zu haben.

Rory Gallagher: »Blues«. 3-CD-Box (Chess/Universal)

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Foto: Archiv Gitarristi­sche Exzesse: Rory Gallagher
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Die CD der Woche. Weitere Texte unter dasND.de/plattenbau
Plattenbau Die CD der Woche. Weitere Texte unter dasND.de/plattenbau

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