Wohnungsbesichtigung der anderen Art
Mit einer Kunstaktion machen Anwohnende am Gleisdreieck auf Verdrängung aufmerksam
In Berlin ist Wohnraum knapp und wenn gebaut wird, dann oft Eigentumswohnungen. Mit einer 4-DFührung geben stadtpolitische Aktivist*innen einen Vorgeschmack auf die Zukunft des Wohnens.
Schon der Fragebogen, den Interessierte vor der Führung durch »ihr Zuhause von morgen« ausfüllen müssen, lässt erahnen, dass es sich hier nicht um eine normale Wohnungsbesichtigung handelt: »Was wird man in deiner Wohnung nicht finden?«, wird dort gefragt. Auswählen kann man unter den Antworten A: Blickdichte Samtvorhänge, B: Möbel aus bedrohten Holzarten oder C: eine funktionierende Heizung. Spätestens jetzt wird klar, die Aktion, die am Mittwochabend im Park am Gleisdreieck stattfindet, ist keine neue Masche windiger Immobilienmakler, sondern eine kritische Performance stadtpolitischer Aktivist*innen.
»Eine 4-D Führung durch die Zukunft des Wohnens« nennt das Kollektiv aus »Anonymen Anwohnenden« die Kunstaktion, mit der sie auf die Verdrängung in dem zwischen Kreuzberg und Schöneberg gelegenen Kiez aufmerksam machen wollen. »Die Katalogstadt wächst, doch die meisten bleiben draußen. Rund um den Gleisdreieckspark entsteht eine schöne neue Welt aus Eigentumswohnungen«, heißt es in der Einladung zur Performance. Da für alteingesessene Mieter in Zukunft ohnehin kein Platz mehr sein wird, haben sich die »Anonymen Anwohnenden« ein »avantgardistisches Konzept« ausgedacht: In den verbleibenden Freiräumen wollen sie ein »Home-Feeling ganz ohne Wohnung« erzeugen.
Dafür bekommen die Teilnehmer*innen eine »4-D-Maske« aufgesetzt. Ohne etwas zu sehen, werden sie daraufhin von einer Frau mit Warnweste und Bauhelm – dem ganz persönlichen »Feel-Guide« – durch den Park, beziehungsweise ihren »personalisierten Place to Call Home« geführt. »Treten Sie ein«, säuselt eine sanfte Stimme und wie aus dem Nichts erscheint eine Türklinke. Nachdem man auf einen Stuhl gedrückt und mit einer Decke, etwas zu trinken und zu naschen versorgt wurde, wird einem im schönsten Immobiliensprech das neue Zuhause angepriesen: »Wohlfühlambiente« bekommt man hier ebenso geboten wie »hochwertige Materialien«, davon können sich die Teilnehmer*innen mittels fühlen und hören selbst überzeugen. Am Ende der Führung glaubt man fast, das das Ganze tatsächlich so »technologisch innovativ, ökologisch bahnbrechend und städtebaulich revolutionär« ist, wie die Aktivist*innen es verkaufen.
So witzig die Aktion auch ist, so ernst ist ihr Hintergrund. »Wohnraum wird immer unerschwinglicher, also üben wir schon mal, wie es ist zu wohnen – ohne Raum«, sagt eine Aktivistin von den »Anonymen Anwohnenden«. Im Juni ist das Kollektiv zum ersten mal zusammengekommen, um sich gegen die städtebaulichen Pläne für ihren Kiez zur Wehr zu setzen. »Wir sind alle auf irgendeine Art und Weise von der Umwandlung in Eigentumswohnungen und den hohen Miet- und Grundstückspreisen betroffen«, so eine Anwohnerin. »Das City-Feeling wird hier mitverkauft, aber gleichzeitig umgewandelt. Das vibrierende Berliner Leben verschwindet und es gibt nur noch langweilige Mono-Bauten«, sagt sie und deutet auf die gleichförmigen Eigentumshäuser, die rund um den Park hochgezogen wurden.
Der Name der Kollektivs sei von den Anonymen Alkoholikern (AA) abgeleitet, erklärt ein junger Mann am Infopoint. Denn wie bei den AAs gehe es auch hier um Selbsthilfe: »Die ersten zwei Schritte sind die gleichen: Erkenne, dass Du ein Problem hast und dass du es nicht alleine lösen kannst.« Der Aktivist, der selbst gelernter Stadtplaner ist, informiert an seinem Stand über die Bebauungspläne für das Areal rund um den Gleisdreieckpark. »Hier werden Bürohochhäuser gebaut«, erklärt er. Als Anwohner stört er sich daran: »Wie alle anderen würde ich auch gerne am Park wohnen, aber statt Sozialwohnungen entstehen hier Büros.« In den Entscheidungsprozess seien sie allerdings nicht eingebunden worden. Dabei sei Partizipation in städtebaulichen Prozessen essenziell. »Es um die Frage: Für wen wird hier eigentlich gebaut?«, so der der Stadtplaner.