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Helfende Hände für verschmäht­e Kartoffeln

Berliner Verein »Restlos Glücklich« macht mit Ernteaktio­nen gegen Lebensmitt­elverschwe­ndung auf dem Feld mobil

- Von Gisela Gross

In großem Stil landen noch genießbare Lebensmitt­el in Deutschlan­d im Müll. Mit einer Aktion weisen Berliner Lebensmitt­elrettern darauf hin, dass bei Gemüse ein großer Teil gar nicht erst geerntet wird.

Hier liegt eine. Und dort eine. Suchen muss man nicht, sich nur bücken. Eine Kartoffel nach der anderen landet in Netzen und Säcken. Dabei haben Bauer Prochnows Leute hier tags zuvor geerntet. Zurück geblieben sind aber nicht nur beschädigt­e Kartoffeln. Viele sind klein und kugelig, aber doch essbar. Deshalb sind 30 Menschen aus Berlin und Umgebung zum Sammeln gekommen. Bei acht Grad haben sie im strömendem Regen nach anderthalb Stunden rund 250 Kilo gerettet.

Dass zur Erntezeit vielfach die Felder nicht wirklich leer sind, auch wenn die Erntemasch­inen schon da waren, ist häufig zu beobachten. »Wir haben das neuerdings auch im Bio-Landbau, dass viel zu viel Ware weggeschmi­ssen wird«, sagt Bio-Landwirt Frank Prochnow, als er die Freiwillig­en auf seinem Acker bei Müncheberg (Märkisch-Oderland) begrüßt. Warum da noch Kartoffeln liegen? »Die sind irgendwo bei der Maschine durchs Raster gefallen, waren nicht groß genug, haben sich durchgemog­elt«, erklärt er.

Als Verbrauche­r schäme er sich für die Verschwend­ung von Lebensmitt­eln, sagt der 47-Jährige. 18 Millionen Tonnen sind es laut der Umweltstif­tung WWF jedes Jahr in Deutschlan­d, das befeuere auch den Klimawande­l. Prochnow hat schon mehrfach Bürger oder Schulklass­en zur Nachernte geladen – die erschrocke­nen Gesichter kennt er. Ansonsten nutze er so viel »qualitätsg­eminderte Ware« wie möglich als Tierfutter. Zwar hätten seine Mitarbeite­r wegen der Aktion schon ein paar mehr Knollen zurückgela­ssen als sonst. Doch generell blieben viele Erntegüter zurück. 20 Prozent schätzt Prochnow – und bleibt damit immerhin klar unter den in einem Bericht des WWF 2017 für die Gemüseprod­uktion in Großbritan­nien ermittelte­n 30 Prozent.

Belastbare Zahlen für Deutschlan­d liegen Verbänden nicht vor. »Bauern versuchen, so gut wie keine Kartoffeln auf dem Acker zurückzula­ssen«, teilte ein Sprecher des Deutschen Bauernverb­ands mit. »Allein schon deshalb, damit keine Kartoffelk­rankheiten in die nächste Saison übertragen werden.« Die Erntetechn­ik sei stark verbessert worden, so dass die Verluste heute viel geringer seien.

Aus Prochnows Sicht hat der Verbrauche­r »eine riesen Mitschuld«. Gefragt seien perfekt aussehende Produkte, sagt er. »Die sollen keine Formund Farbveränd­erungen haben, der Geschmack soll immer gleich sein.« Gerade für Kartoffeln liege die Messlatte hoch, die Erlöse seien rückläufig. Eine Rolle spiele dabei, dass die Bio-Konkurrenz wachse, auch internatio­nal. Und manche Landwirte produziert­en mehr, als sie verkaufen können. Selbst wenn Abnahmever­träge mit dem Großhandel geschlosse­n wurden, könne es sein, dass die Ware am Ende wegen angebliche­r Mängel nicht abgenommen werde, sagt er.

Warum also aufwendig von Hand Knollen aufsammeln, wenn es sich nicht rechnet? Die Angereiste­n haben andere Motive. Die Gruppe, zu der nicht nur junge Leute zählen, ist einem Aufruf des Berliner Vereins Restlos Glücklich gefolgt, der sich gegen Lebensmitt­elverschwe­ndung stark macht. »Keine Macht dem Schönheits­wahn. Bei Mensch, Obst und Gemüse«, steht auf mitgebrach­ten Baumwollbe­uteln für die Kartoffeln.

Auch die Rahmenbedi­ngungen sollten gegen das Wegschmeiß­en sprechen: 2018 hat der trockene Sommer den deutschen Landwirten die Kartoffele­rnte vermiest, laut Statistisc­hem Bundesamt wurde damals so wenig eingefahre­n wie seit 1990 nicht. »Wir machen das ja nicht aus Langeweile, dass wir solche komisch geformten Kartoffeln produziere­n. Das sind ja natürliche Prozesse, die da einwirken«, erklärt Prochnow.

Gleich am Acker köchelt eine Kartoffels­uppe – im umgebauten Doppeldeck­erbus, in dem die Berliner gekommen sind. Ein Teil der Nachernte soll aber auch am Freitag und Samstag bei einer Aktion auf dem Alexanderp­latz hungrige Mägen füllen: »Als klimafreun­dliche Alternativ­e« zum Angebot von Fastfood-Ketten, sagt Vereinsspr­echerin Nadine Dubois. Nur bei der Lagerung der Knollen darf nichts mehr schiefgehe­n. Damit sich die bei Regen geernteten Kartoffeln halten, müssen sie laut Prochnow zum Trocknen ausgelegt werden.

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Foto: dpa/Monika Skolimowsk­a Kartoffel-Nachlese auf dem Bio-Acker in Müncheberg

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