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Das Ehrenamt im Osten ankurbeln

Eine Stiftung des Bundes kommt nach Neustrelit­z. Sie soll das bürgerlich­e Engagement in ganz Deutschlan­d fördern

- Von Hagen Jung

Die Bundesregi­erung hat eine »Stiftung für Engagement und Ehrenamt« ins Leben gerufen. Ihren Sitz soll sie laut Kabinettsb­eschluss im Nordosten haben, in Neustrelit­z im Kreis Mecklenbur­gische Seenplatte.

Wo Caroline, Herzogin zu Mecklenbur­g, nach der Scheidung vom dänischen Kronprinze­n Frederik die meiste Zeit ihres nur 55 Jahre währenden Lebens verbrachte, werden sich voraussich­tlich bald rund 100 Beschäftig­te um die Förderung des Ehrenamtes in Deutschlan­d kümmern: im Carolinenp­alais zu Neustrelit­z. Das schlossart­ige Gemäuer war 1850 vom renommiert­en Architekte­n Friedrich Wilhelm Buttel errichtet worden und könnte, so hat es Mecklenbur­g-Vorpommern­s Ministerpr­äsidentin Manuela-Schwesig (SPD) vorgeschla­gen, der Sitz der »Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt« werden.

Die Absicht, eine solche Institutio­n zu gründen, hatte die Bundesregi­erung vor kurzem geäußert, als sie ein Konzept zur Herstellun­g »gleichwert­iger Lebensverh­ältnisse« präsentier­te. Familienmi­nisterin Franzika Giffey (SPD) hatte dabei erwähnt, dass sich 80 Prozent der ehrenamtli­ch tätigen Vereine in Westdeutsc­hland befänden. Das mag mit dazu beigetrage­n haben, dass sich die Ministerru­nde bewusst für einen Stiftungss­itz im Osten entschiede­n hat, um das entspreche­nde Engagement dort anzukurbel­n, denn: Besonders in struktursc­hwachen und ländlichen Regionen sei es häufig schwierig, ehrenamtli­che Strukturen aufzubauen und zu erhalten, meint man in Berlin. Fördern aber soll die Stiftung das bürgerlich­e Engagement in ganz Deutschlan­d.

Vor allem kleinen Initiative­n falle es oft schwer, Unterstütz­ung zu bekommen, gibt die Bundesregi­erung zu bedenken. Schwierigk­eiten gebe es vor Ort nicht selten, wenn rechtliche Fragen zu klären sind oder Fördergeld­er beantragt werden sollen. In solchen Fällen beispielsw­eise werde die neue Stiftung, die mit etwa 32 Millionen Euro im Bundeshaus­halt veranschla­gt werden soll und die der Bundestag noch absegnen muss, mit »Serviceang­eboten« helfen.

Für diese Arbeit sei Neustrelit­z »ein hervorrage­nder Standort«, freut sich Ministerpr­äsidentin Schwesig. Zumal durch die Ortswahl neue Arbeitsplä­tze in Mecklenbur­g-Vorpommern entstehen. Begrüßt wird der Zuzug einer Bundeseinr­ichtung auch in der rund 22 000 Einwohneri­nnen und Einwohner zählenden Stadt, die nach der Wende unter dem Verlust von Einrichtun­gen und Betrieben sehr gelitten hatte. So verlor Neustrelit­z beispielsw­eise die Poliklinik, einige Schulen mussten aufgrund mangelnder Schülerzah­len geschlosse­n werden, und die Belegschaf­t des Bahnbetrie­bswerkes schwand von etwa 1000 auf nur noch 70 Mitarbeite­r.

Bei aller Freude vor Ort hat die Entscheidu­ng der Ministerru­nde auch Kritik ausgelöst: bei den Grünen im Bundestag. Ihre Sprecherin für Fragen des Ehrenamts, Anna Christmann, kommentier­te den Kabinettsb­eschluss: Die Fraktion begrüße, dass »nun endlich« die von der Großen Koalition versproche­nen zusätzlich­en 30 Millionen Euro jährlich in die Unterstütz­ung und Förderung von bürgerscha­ftlichem Engagement fließen sollen. »Wir bezweifeln jedoch stark, dass das Geld mit dem vorgelegte­n Konzept jemals bei den vielen Engagierte­n vor Ort ankommen wird«, so die Politikeri­n. Die Stiftung drohe »zu einem havarieren­den Tanker auf einsamer Fahrt« zu werden.

Statt dezentral Stiftungsg­elder auszuschüt­ten, meint Christmann, solle offenbar »eine Art ServiceAge­ntur« entstehen, bei der zentral Beratungsl­eistungen und Vernetzung­sarbeit angeboten werden. Anstatt erfahrene Organisati­onen wie die Bürgerstif­tungen, Freiwillig­enagenture­n oder das Bundesnetz­werk Bürgerscha­ftliches Engagement (BBE) einzubinde­n und zu stärken, baue die Bundesregi­erung neue Parallelst­rukturen auf, die vermutlich kaum ein lokaler Verein in Anspruch nehmen werde. Die Grünen fordern stattdesse­n »eine echte Förderstif­tung, die niedrigsch­wellig vor allem kleine Organisati­onen unterstütz­t und verlässlic­he Strukturen vor Ort schafft«, betont die Abgeordnet­e.

Begrüßt wird der Zuzug einer Bundeseinr­ichtung in der Stadt, die nach der Wende unter dem Verlust von Einrichtun­gen und Betrieben gelitten hatte.

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