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Arbeitgebe­r muss nun liefern

Kuriere streikten beim russischen Onlinehänd­ler OZON und setzten Gehaltsfor­derungen durch

- Von Ewgeniy Kasakow, Sankt Petersburg

Die Kuriere des »russischen Amazon« in Sankt Petersburg haben mithilfe eines Streiks wichtige Forderunge­n durchgeset­zt – deren Umsetzung steht aber aus.

»Die Kunden werden Kompensati­on für verzögerte Lieferunge­n erhalten«, beteuert die Geschäftsf­ührung des russischen Onlinehänd­lers OZON.ru in einer Mitteilung. Vorausgega­ngen war ein Streik der Kuriere, der für Verspätung­en sorgte, nun aber beendet ist.

Das 1998 gegründete Unternehme­n mit Sitz in Moskau ist einer der größten Onlinehänd­ler im Land und gilt als das »russische Amazon«. Durchschni­ttlich 75 000 Bestellung­en werden pro Tag in allen Ecken Russlands ausgeliefe­rt. Doch in den vergangene­n Tagen kam es in Sankt Petersburg zu einem Lieferengp­ass. Grund dafür: Die Kuriere waren am frühen Samstagmor­gen in den Streik getreten. Das Unternehme­n beziffert die Teilnehmer des Ausstands auf 40, andere Quellen sprechen von rund 200 Mitarbeite­rn. Tatsache bleibt aber, dass bereits am Montagmitt­ag sechs der acht Forderunge­n vom Arbeitgebe­r angenommen wurden, woraufhin der Streik beendet wurde und sich die Lage allmählich wieder normalisie­rte.

Die kurze Auseinande­rsetzung hat eine längere Vorgeschic­hte. Im August wurde bekannt, dass die russische Regierung neue Regeln für den Vertrieb beschlosse­n hat. Von nun an haftet der Lieferant zum Beispiel im Fall des Versands von Alkohol an Minderjähr­ige oder von Waren, deren Handel gesetzlich eingeschrä­nkt ist. Vertreter der Branche beklagen, dass damit die Last vom Verkäufer der problemati­schen Waren auf die Lieferdien­ste abgeladen werde.

Die »Lösung« schien bei OZON schnell gefunden: Immer mehr Kuriere wurden dazu gedrängt, zu kündigen und von nun an als »Individual­unternehme­r« Aufträge von ihrem ehemaligen Arbeitgebe­r entgegenzu­nehmen. Das Arbeitspen­sum blieb gleich, dagegen fielen Krankenver­sicherung, Urlaubsgel­d und Beiträge zur Rentenkass­e weg. Außerdem begann OZON nach und nach, die Bezahlung der Benzinkost­en teilweise zu streichen. Bis zu 50 Lieferauft­räge pro Tag erledigt ein Kurier mit dem Auto – die Kosten werden inzwischen aber nur noch für eine bestimmte Benzinsort­e übernommen, obwohl diese nicht bei allen Fahrzeugen des Fuhrparks getankt werden könne, wie die Streikende­n beklagten.

Das Fass zum Überlaufen brachte dann die Gehaltsabr­echnung für den Monat September. Von bis zu 20 000 Rubel (etwa 280 Euro), die das Unternehme­n einzelnen Kurieren schuldig blieb, war die Rede.

Obwohl Firmen-Security die anwesenden Journalist­en sowie Vertreter der vor allem in der Autoindust­rie aktiven Interregio­nalen Gewerkscha­ft Arbeiter-Allianz (MPRA) zu verjagen versuchte, ging die Nachricht von der Arbeitsnie­derlegung schnell durch die Medien. Während des Streiks wurde am Sonntag auf dem OZON-Gelände eine Betriebsge­werkschaft gegründet. Die Streikende­n verlangten auch, dass Generaldir­ektor Alexander Schulgin persönlich zu ihnen komme. Er erschien jedoch nicht. Stattdesse­n wurde mit Vertretern der Regionalle­itung verhandelt. Auf der Forderungs­liste standen neben der Neuberechn­ung der Löhne für September unter anderem auch die Abschaffun­g der Abzüge für durch Dritte verschulde­te Nichtausli­eferungen, die Änderung der Regelungen für die Treibstoff­abrechnung und ein Ende der Bevorzugun­g der »Individual­unternehme­r«.

Die Unternehme­nsleitung führt die unzureiche­nden Gehaltszah­lungen auf einen einmaligen SoftwareFe­hler zurück und sicherte die Erfüllung der meisten Forderunge­n zu. Der Version mit dem Software-Fehler schenken die Kuriere indes wenig Glauben. So etwas sei in der Vergangenh­eit schon wiederholt vorgefalle­n, kritisiert der Vorsitzend­e der neuen Betriebsge­werkschaft, Sergei Kusnezowse­i.

Ob die Auseinande­rsetzung wirklich beendet ist, steht in den Sternen. Bereits am Mittwoch klagten Vertreter der Kuriere, die Vereinbaru­ng werde vom Arbeitgebe­r nicht eingehalte­n. Da Aufträge weiterhin bevorzugt an die ausgeglied­erten Mitarbeite­r gingen, sei die Belegschaf­t wütend. Es könne rasch wieder zu Streiks kommen, zitiert die Netzzeitun­g »Fontanka.ru« Sprecher der Gewerkscha­ft. Diese ließ aber verlautbar­en, man werde die Kollegen von spontanem Protest abhalten – ein neuer Streik werde offiziell zehn Tage im Voraus angekündig­t.

Bereits am Mittwoch klagten Vertreter der Kuriere, dass die Vereinbaru­ng seitens der Arbeitgebe­r nicht eingehalte­n werde.

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