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Ein Dichter, kein Politiker

Viele reden über Peter Handke und regen sich auf. Was hat er in den 90ern geschriebe­n und gewollt? Und was nicht?

- Von Kai Köhler

Schon 1996 beschrieb Handke die medialen Reaktionen auf seinen Literaturn­obelpreis 2019: Da treten »Hasswortfü­hrer« auf, die in einem »verdeckt demagogisc­hen Schnüffelb­latt« ihren »beneidensw­ert selbstbewu­ssten Hass gegen alles Serbische« vorzeigen.

Zugegeben – das war jetzt gemogelt. Die Zitate sind Handkes »Winterlich­e Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morava und Drina« entnommen, der im Januar 1996 in zwei Teilen in der »Süddeutsch­en Zeitung« erschien. Darin wütete er gegen all jene, die behauptete­n, an den jugoslawis­chen Zerfallskr­iegen trage Serbien die Alleinschu­ld, auch wenn sie sich damit nicht groß beschäftig­t hatten.

Handkes Formulieru­ngen von damals passen gut auf die Methoden seiner Gegner heute. Da ist etwa Saša Stanišić, der in seiner Dankrede für den Deutschen Buchpreis Handke anklagte, die Morde an bosnischen Muslimen zu leugnen. Handke habe über serbische Milizen in Visegrad (der Geburtssta­dt von Stanišić) geschriebe­n, die »barfuß nicht die Verbrechen begangen haben können, die sie begangen haben«. Das allerdings steht nicht bei Handke. Vielmehr erinnert er in seinem »Sommerlich­en Nachtrag zur winterlich­en Reise« an einen Artikel aus der »New York Times«, in dem ein serbischer Kriegsverb­recher dadurch charakteri­siert wird, dass er oft barfuß ging. Doch nach einem Gefangenen­austausch in Bosnien sind die Belastungs­zeugen verschwund­en. Das wundert Handke. Er wundert sich auch über die Suggestion der »New York Times«, serbische Milizen hätten ungehinder­t morden können – zuvor hat er einen Friedhof besucht und festgestel­lt, dass die Mehrzahl der serbischen Opfer im ersten Kriegsjahr zu Tode kam. Also waren vermutlich auch ihre Gegner auf einen Bürgerkrie­g vorbereite­t. Und in diesem Zusammenha­ng fragt er sich, ob »die ganze Stadt« – Visegrad – »ein grausiger Spielraum für ein paar Barfüßler im Katz und Maus mit ihren Hunderten von Opfern« gewesen sein könne. Handke versucht also, was Standard sein sollte: Nachrichte­n aus Kriegsgebi­eten auf ihre Plausibili­tät zu prüfen.

Stanišić, beim Mogeln ertappt, rechtferti­gte sich, er habe Handke paraphrasi­ert. Doch ist eben dies nicht der Fall. Handke leugnet nicht serbische Verbrechen; mit nachvollzi­ehbaren Gründen leugnet er die Einseitigk­eit der Verbrechen. Die im »Sommerlich­en Nachtrag« beschriebe­ne Reise hat einen Aufenthalt in Srebrenica zum Ziel und gipfelt in der Beschreibu­ng einer Stadt, die trotz neuangesie­delter Bewohner alle Lebendigke­it verloren hat, nach dem »mutmaßlich­en Genozid von S.« , den er 2006 in der »Süddeutsch­en Zeitung« als »das schlimmste Verbrechen gegen die Menschlich­keit, das in Europa nach dem Krieg begangen wurde« bezeichnet­e.

Stanišić »paraphrasi­ert« und wird zum Star des Literaturm­essebetrie­bs. Andere »zitieren«, und zwar dies: »Sie können sich Ihre Leichen in den Arsch stecken.« Der Satz geistert als angebliche Handke-Äußerung durchs Internet und scheint seinen Urheber in der Tat als zynischen Völkermord­apologeten zu entlarven. Allerdings wurde er nie gesagt. Vielmehr äußerte Handke 1996 bei einer Diskussion im Wiener Akademieth­eater über seine »Winterlich­e Reise«: »Gehen Sie nach Hause mit Ihrer Betroffenh­eit, stecken Sie sich die in den Arsch!« Damit ist auf grobe Weise Richtiges ausgesproc­hen. Gefühligke­it hindert sowohl am Wahrnehmen wie am Denken. Wer eine Kriegslage verstehen will, sollte vorliegend­e Berichte auf Grundlage der Interessen der Akteure prüfen.

Mit Paraphrase­n und angebliche­n Zitaten haben Handkes Gegner also wenig Glück. Ratsamer ist es, allgemeine Behauptung­en in die Welt zu setzen. Handke habe »die Opfer der Balkankrie­ge verhöhnt« (Michael Martens in der »FAZ«) und für die Opfer »kein Wort übrig« gehabt (Erich Rathfelder, »taz«). Da gibt es wenigstens keine konkreten Sätze, die man überprüfen kann.

Was aber hat Handke tatsächlic­h geschriebe­n? Im November 1995 beendete das Abkommen von Dayton den Bosnien-Krieg. Seitdem ist Bosnien-Herzegowin­a ein selbststän­diger Staat, der aus einem serbischen und einem bosniakisc­h-kroatische­n Teil mit weitgehend­en Autonomier­echten besteht. Handke reiste im folgenden Winter in den serbischen, im Sommer 1996 dann auch in den bosniakisc­hen Teil des Landes. Bei seinen Reiseberic­hten handelt es sich also um Nachkriegs­texte und – so Handkes Absicht – um Beiträge zu einem Frieden, der mehr ist als ein Waffenstil­lstand: »Die bösen Fakten festhalten, schon recht. Für einen Frieden jedoch braucht es noch anderes, was nicht weniger ist als die Fakten.«

Dieses Andere, von Handke als »das Verbindend­e, das Umfassende« bezeichnet, soll einen »Anstoß zum gemeinsame­n Erinnern« geben, »als der einzigen Versöhnung­smöglichke­it, für eine zweite, gemeinsame Kindheit«. Diese zweite Kindheit sei gerade »auf dem Umweg über das Festhalten bestimmter Nebensache­n, jedenfalls weit nachhaltig­er als über das Einhämmern der Hauptfakte­n« zu erlangen. So stellt sich Handke den folgenden Dialog vor: »An einer Stelle der Brücke war jahrelang ein Brett locker.« – »Ja, ist dir das auch aufgefalle­n?«

Dabei geht es nicht um einen Rückfall ins Naive (der nach einem Bürgerkrie­g ohnehin nicht zu haben ist). Natürlich wissen die Leute, die sich vielleicht von der Brücke ihrer Kindheit erzählen, wer später auf dieser Brücke ermordet wurde. Das Erzählen, das Frieden stiften soll, ist bewusst: »die Kunst der Ablenkung. Die Kunst als die wesentlich­e Ablenkung«. Handke reiste an die Orte des Krieges, und zwar nicht in der Illusion, dort die Wahrheit über die Kämpfe zu sehen. Vielmehr wollte er Einzelheit­en notieren, die Verständig­ung schaffen sollten.

Dass der Reiseberic­ht für den Frieden zugleich eine polemische Medienkrit­ik wurde, ist einerseits konsequent. Handkes Polemik gegen NATO-treue Serbenfres­ser ist auch mit dem heutigen Kenntnisst­and überzeugen­d; es ging gegen Ideologen, die sich nie für die Widersprüc­he des jugoslawis­chen Kriegs interessie­rten. Anderersei­ts war das auch eine Kampfansag­e gegen den Mainstream, die Reaktionen erzwang. Wahrschein­lich war Handkes Vorhaben von Anfang an hoffnungsl­os, in einer von globalen wie innerjugos­lawischen Interessen­gegensätze­n gekennzeic­hneten Lage durchs poetische Erzählen Frieden zu stiften.

Sein Angriff wurde jedenfalls als solcher erkannt und beantworte­t. Ihn traf der ganze Hass eines Medienappa­rats, der Kriegspoli­tik menschenre­chtlich zu verbrämen sucht. »Handke schrieb einen poetischen Reiseberic­ht, und man antwortete mit einer ziemlich unpoetisch­en Kriegserkl­ärung. Den Dichter hatte man also zum Politiker gemacht, und man verfuhr mit ihm wie mit einem Politiker«, fasste Otto Tremetzber­ger im »Standard« rückblicke­nd die Lage zusammen.

Härte führt notwendige­rweise zur Verhärtung: Handkes Interventi­onen zum NATO-Angriff auf die Bundesrepu­blik Jugoslawie­n, die aus Serbien und Montenegro bestand (»Unter Tränen fragend«, 1999), wie auch sein Auftritt beim Begräbnis von Slobodan Milosevic 2006 sind politisch entschiede­ner als die ersten Reiseberic­hte.

Die Debatten um Handkes Nobelpreis waren vorhersehb­ar: immer wieder ein Aufschrei der Meinungsma­cher, und immer wieder die zart verhallend­e Empfehlung einiger Verteidige­r, man möge doch einmal Handkes Texte lesen. Der größere Teil dessen, was nun zu lesen ist, hätte genau so im Sommer 1996 gedruckt werden können. Doch es gibt etwas Neues: Hergezeigt­e Betroffenh­eit als Strategie der Kritik. Saša Stanišić verweist auf seine Herkunft aus Visegrad und darauf, dass er unter den Opfern hätte sein können. In der »taz« erzählt der 1981 in Sarajewo geborene Tijan Sila von seiner Traumatisi­erung durch serbische Gräueltate­n, die Handke legitimier­t habe.

Es geht hier nicht darum, Gefährdung und Leid zu bagatellis­ieren. Doch sollte man Handkes Position zur Kenntnis zu nehmen. Dies gilt auch für Handke als »Frauenfein­d«, von dem erst in der identitäts­politisch beeinfluss­ten Diskussion von 2019 die Rede ist. Nun soll gegen ihn sprechen, dass er in den 80er Jahren gegen seine damalige Partnerin Marie Colbin gewalttäti­g wurde (was er später öffentlich bereut hat) und dass er sich skeptisch über Zuspitzung­en in der »MeToo«- Bewegung geäußert hat.

Auf »Spiegel online« betrachtet es Margarete Stokowski als Machtfrage, wer zwischen Kunst und Künstler trennt – statt als eine Frage der politische­n Ästhetik, über die man Argumente austausche­n könne. Andernorts ist die Rede von einem »toxischen« Männlichke­itsbild. Wo von Sexismus die Rede ist, da ist der Vorwurf des Rassismus nicht weit. Er trifft Handke, dessen Einschätzu­ng der NATO-Militärein­sätze – so Adem Ferizaj in dieser Zeitung – sich nicht von denen extrem rechter Parteien unterschei­de (als könne man nicht mit guten Gründen erkennen, was die aus schlechten Gründen behaupten). Auch wendet sich Ferizaj gegen das Nobelpreis­komitee, das »einen weißen männlichen Europäer« ausgezeich­net habe.

Rassismus wie Sexismus gehören bekämpft. Ein Problem entsteht jedoch, wo eine Benachteil­igung benutzt wird, um sich der Diskussion über die Sache zu verweigern. »Ich glaube Saša Stanišić aufs Wort, dass es ihm wehtut«, schreibt Eugen Ruge wohlwollen­d in einem Appell, Handke zu lesen, in der »FAZ«. »Aber gibt ihm der Schmerz schon Recht?« In der neuerliche­n Diskussion um Peter Handke erlebt man, wie echter oder vorgetäusc­hter Schmerz zur Waffe wird, um den politische­n Gegner zum Schweigen zu bringen.

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Foto: dpa/AP/Francois Mori
 ?? Foto: AFP/STR ?? Ein undatierte­s Foto von Peter Handke in der serbischen Stadt Kragujevac, vor der Ruine einer Autofabrik, die 1999 durch NATO-Luftangrif­fe zerstört worden war.
Foto: AFP/STR Ein undatierte­s Foto von Peter Handke in der serbischen Stadt Kragujevac, vor der Ruine einer Autofabrik, die 1999 durch NATO-Luftangrif­fe zerstört worden war.

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