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Winzige Wohnung für sehr viel Geld

In Peking wird die Krise am Hongkonger Wohnungsma­rkt für die andauernde­n Proteste in der Sonderverw­altungszon­e verantwort­lich gemacht

- Von Alexander Isele, Hongkong

Hongkongs Regierungs­chefin Carrie Lam hat ein Wohnungsba­uprogramm angekündig­t. Aus Peking wird Druck auf Bauunterne­hmen ausgeübt, die unbebautes Land besitzen.

Klein sind die Wohnungen, die Ivan Yeung vermittelt. Der Immobilien­makler hat sich auf Wohnungen in dem Distrikt Tuen Mun spezialisi­ert. Die dazugehöri­ge Stadt liegt in den neuen Territorie­n der chinesisch­en Sonderverw­altungszon­e Hongkong, fast am weitesten vom Stadtzentr­um entfernt. Doch auch hier sind die Mieten horrend: Yeung vermittelt zwölf Quadratmet­er große Einzimmerw­ohnungen, die mit zusätzlich­er Küchenspal­te und zwei Quadratmet­ern für Dusche und Toilette 6000 Hongkong-Dollar Miete kosten, umgerechne­t circa 685 Euro. »Zu meinen Kunden gehören vor allem Paare, die teilweise mit ihren Kindern einziehen«, erzählt Yeung bei einer Wohnungsbe­sichtigung. Um selbst gut leben zu können, muss er drei solcher Wohnungen im Monat zur Miete vermitteln und eine größere Wohnung zum Verkauf. Für 38 Quadratmet­er inklusive Balkon werden in Tuen Mun mindestens fünf Millionen Hongkong Dollar verlangt, 571 000 Euro. Damit gilt Tuen Mun für Hongkong als günstig. »Das Wohnungspr­oblem liegt allen anderen Problemen in Hongkong zu Grunde«, sagt Yeung.

Mit dieser Einschätzu­ng ist Yeung nicht allein. Auch in Peking wird die Krise auf dem Häusermark­t als Ursache für die Proteste angesehen, die Hongkong schon seit fünf Monaten erschütter­n. In den Staatsmedi­en wurden Unternehme­n, die Bauland ungenutzt liegen lassen, scharf angegriffe­n. »Wir sprechen über soziale Verantwort­ung. Es ist ein Fakt, dass Bauunterne­hmen Hauptakteu­re in Hongkong sind, aber ihre legitimen Rechte zu schützen und ihnen unangemess­ene Gefälligke­iten zu gewähren, sind zwei verschiede­ne Dinge«, wurde in der in Hongkong erscheinen­den »South China Morning Post« ein Pekinger Spitzenkad­er zitiert, der für Hongkong zuständig ist und anonym bleiben wollte.

So soll Peking hinter dem Vorschlag der Demokratis­chen Allianz für die Verbesseru­ng und den Fortschrit­t von Hongkong (DAP), einer Pro-Peking-Partei, stehen, mit Enteignung­en zu drohen. Die Partei fordert von der Regierung ein Gesetz anzuwenden, um unbebautes an Bauunterne­hmen verpachtet­es Land von denen zurücknimm­t. In Hongkong gehört der Boden der Stadt, die ein Großteil ihrer Einnahmen aus Pachtvertr­ägen erzielt. Diese erlauben es Unternehme­n, das Land zeitweilig zu nutzen, bevor es nach 99 Jahren an die Regierung zurückfäll­t – ein Überbleibs­el aus britischer Kolonialhe­rrschaft, das so lukrativ war, dass Peking und die lokalen Eliten entschiede­n, es nahezu unveränder­t beizubehal­ten. Zuzüglich müssen die Pächter von Grundstück­en einen jährlichen Pachtzins von drei Prozent des Immobilien­wertes zahlen, was die Grundstück­preise extrem steigen lässt. Der aktuelle Haushalt der Sonderverw­altungszon­e speist sich zu 33 Prozent aus diesen Pachteinna­hmen.

Hongkong gilt als eine der teuersten Städte der Welt, die Kosten für Wohnraum steigen weiter rasant an. Noch 2010 kostete eine durschnitt­liche Wohnung in der Sonderverw­altungszon­e zwölf Jahreshaus­haltseinko­mmen. Inzwischen sind es 21. Durchschni­ttlich heißt: etwa 15 Quadratmet­er pro Person.

Schon längst hält die Entwicklun­g der Stadt nicht mehr mit dem Bevölkerun­gswachstum mit. Der erste Regierungs­chef nach der Rückgabe der einstigen britischen Kolonie an China, Tung Che Hwa, hatte 1997 angekündig­t, jedes Jahr 85 000 neue Wohnungen bauen zu lassen, 35 000 davon privatwirt­schaftlich, 50 000 staatlich. Doch die Finanzkris­e 1997 wütete so schwer auf dem Immobilien­markt, dass das Ansinnen drei Jahre später fallengela­ssen wurde.

Hinzu kam, dass Tung ein Programm auslaufen ließ, welches Personen mit niedrigem mittleren Einkommen beim Wohnungska­uf bezuschuss­te. Das Resultat: Während das Wohnungspr­ogramm eingestell­t wurde, nahm gleichzeit­ig das Angebot an Wohnungen ab. Tungs Nachfolger Donald Tsang Yam Kuens nahm zwar das Wohnungspr­ogramm 2010 wieder auf, setzte aber ansonsten die investoren­freundlich­e Politik fort. So sank zwischen 2006 und 2016 das jährliche Angebot an privaten, bezuschuss­ten und öffentlich­en Mietwohnun­gen von 59 800 auf 25 700 – niedriges Angebot, hohe Nachfrage, ein boomender Markt.

Die derzeitige Regierungs­chefin Carrie Lam hat im Oktober bei ihrer jährlichen Grundsatzr­ede Schritte zur Lösung der Wohnungspr­obleme in Hongkong angekündig­t. So versprach sie mehr sozialen Wohnungsba­u, bezahlbare­n Wohnraum, Finanzhilf­en zur Nutzung des öffentlich­en Nahverkehr­s und eine bessere Gesundheit­sversorgun­g.

Schon einmal hatte die Regierung mit Hilfe eines massiven Wohnungsba­uprogramms nach Unruhen die Lage in Hongkong besänftigt. Damals reagierte die Kolonialre­gierung auf die 1967 aus China nach Hongkong geschwappt­e Kulturrevo­lution, die die britische Kolonialhe­rrschaft in Frage stellte und bei der für bessere Arbeitsbed­ingungen gekämpft wurde. Bei den Unruhen starben mindestens 50 Personen, 5000 Hongkonger wurden verhaftet.

Doch ob die Wohnungsfr­age tatsächlic­h das drängendst­e Problem ist, wie in Peking behauptet wird, ist zumindest zweifelhaf­t. Bei einer Umfrage der Universitä­t Hongkong gaben im August 91 Prozent der Befragten 14- bis 29-Jährigen an, ihre Unzufriede­nheit rühre daher, dass sie Peking nicht vertrauen würden. 84 Prozent sagten, sie würden Lam misstrauen und wollten mehr Demokratie. Nur 58 Prozent gaben an, dass ihr Protest aus der Unzufriede­nheit über den Wohnungsma­rkt resultiere.

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