Winzige Wohnung für sehr viel Geld
In Peking wird die Krise am Hongkonger Wohnungsmarkt für die andauernden Proteste in der Sonderverwaltungszone verantwortlich gemacht
Hongkongs Regierungschefin Carrie Lam hat ein Wohnungsbauprogramm angekündigt. Aus Peking wird Druck auf Bauunternehmen ausgeübt, die unbebautes Land besitzen.
Klein sind die Wohnungen, die Ivan Yeung vermittelt. Der Immobilienmakler hat sich auf Wohnungen in dem Distrikt Tuen Mun spezialisiert. Die dazugehörige Stadt liegt in den neuen Territorien der chinesischen Sonderverwaltungszone Hongkong, fast am weitesten vom Stadtzentrum entfernt. Doch auch hier sind die Mieten horrend: Yeung vermittelt zwölf Quadratmeter große Einzimmerwohnungen, die mit zusätzlicher Küchenspalte und zwei Quadratmetern für Dusche und Toilette 6000 Hongkong-Dollar Miete kosten, umgerechnet circa 685 Euro. »Zu meinen Kunden gehören vor allem Paare, die teilweise mit ihren Kindern einziehen«, erzählt Yeung bei einer Wohnungsbesichtigung. Um selbst gut leben zu können, muss er drei solcher Wohnungen im Monat zur Miete vermitteln und eine größere Wohnung zum Verkauf. Für 38 Quadratmeter inklusive Balkon werden in Tuen Mun mindestens fünf Millionen Hongkong Dollar verlangt, 571 000 Euro. Damit gilt Tuen Mun für Hongkong als günstig. »Das Wohnungsproblem liegt allen anderen Problemen in Hongkong zu Grunde«, sagt Yeung.
Mit dieser Einschätzung ist Yeung nicht allein. Auch in Peking wird die Krise auf dem Häusermarkt als Ursache für die Proteste angesehen, die Hongkong schon seit fünf Monaten erschüttern. In den Staatsmedien wurden Unternehmen, die Bauland ungenutzt liegen lassen, scharf angegriffen. »Wir sprechen über soziale Verantwortung. Es ist ein Fakt, dass Bauunternehmen Hauptakteure in Hongkong sind, aber ihre legitimen Rechte zu schützen und ihnen unangemessene Gefälligkeiten zu gewähren, sind zwei verschiedene Dinge«, wurde in der in Hongkong erscheinenden »South China Morning Post« ein Pekinger Spitzenkader zitiert, der für Hongkong zuständig ist und anonym bleiben wollte.
So soll Peking hinter dem Vorschlag der Demokratischen Allianz für die Verbesserung und den Fortschritt von Hongkong (DAP), einer Pro-Peking-Partei, stehen, mit Enteignungen zu drohen. Die Partei fordert von der Regierung ein Gesetz anzuwenden, um unbebautes an Bauunternehmen verpachtetes Land von denen zurücknimmt. In Hongkong gehört der Boden der Stadt, die ein Großteil ihrer Einnahmen aus Pachtverträgen erzielt. Diese erlauben es Unternehmen, das Land zeitweilig zu nutzen, bevor es nach 99 Jahren an die Regierung zurückfällt – ein Überbleibsel aus britischer Kolonialherrschaft, das so lukrativ war, dass Peking und die lokalen Eliten entschieden, es nahezu unverändert beizubehalten. Zuzüglich müssen die Pächter von Grundstücken einen jährlichen Pachtzins von drei Prozent des Immobilienwertes zahlen, was die Grundstückpreise extrem steigen lässt. Der aktuelle Haushalt der Sonderverwaltungszone speist sich zu 33 Prozent aus diesen Pachteinnahmen.
Hongkong gilt als eine der teuersten Städte der Welt, die Kosten für Wohnraum steigen weiter rasant an. Noch 2010 kostete eine durschnittliche Wohnung in der Sonderverwaltungszone zwölf Jahreshaushaltseinkommen. Inzwischen sind es 21. Durchschnittlich heißt: etwa 15 Quadratmeter pro Person.
Schon längst hält die Entwicklung der Stadt nicht mehr mit dem Bevölkerungswachstum mit. Der erste Regierungschef nach der Rückgabe der einstigen britischen Kolonie an China, Tung Che Hwa, hatte 1997 angekündigt, jedes Jahr 85 000 neue Wohnungen bauen zu lassen, 35 000 davon privatwirtschaftlich, 50 000 staatlich. Doch die Finanzkrise 1997 wütete so schwer auf dem Immobilienmarkt, dass das Ansinnen drei Jahre später fallengelassen wurde.
Hinzu kam, dass Tung ein Programm auslaufen ließ, welches Personen mit niedrigem mittleren Einkommen beim Wohnungskauf bezuschusste. Das Resultat: Während das Wohnungsprogramm eingestellt wurde, nahm gleichzeitig das Angebot an Wohnungen ab. Tungs Nachfolger Donald Tsang Yam Kuens nahm zwar das Wohnungsprogramm 2010 wieder auf, setzte aber ansonsten die investorenfreundliche Politik fort. So sank zwischen 2006 und 2016 das jährliche Angebot an privaten, bezuschussten und öffentlichen Mietwohnungen von 59 800 auf 25 700 – niedriges Angebot, hohe Nachfrage, ein boomender Markt.
Die derzeitige Regierungschefin Carrie Lam hat im Oktober bei ihrer jährlichen Grundsatzrede Schritte zur Lösung der Wohnungsprobleme in Hongkong angekündigt. So versprach sie mehr sozialen Wohnungsbau, bezahlbaren Wohnraum, Finanzhilfen zur Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs und eine bessere Gesundheitsversorgung.
Schon einmal hatte die Regierung mit Hilfe eines massiven Wohnungsbauprogramms nach Unruhen die Lage in Hongkong besänftigt. Damals reagierte die Kolonialregierung auf die 1967 aus China nach Hongkong geschwappte Kulturrevolution, die die britische Kolonialherrschaft in Frage stellte und bei der für bessere Arbeitsbedingungen gekämpft wurde. Bei den Unruhen starben mindestens 50 Personen, 5000 Hongkonger wurden verhaftet.
Doch ob die Wohnungsfrage tatsächlich das drängendste Problem ist, wie in Peking behauptet wird, ist zumindest zweifelhaft. Bei einer Umfrage der Universität Hongkong gaben im August 91 Prozent der Befragten 14- bis 29-Jährigen an, ihre Unzufriedenheit rühre daher, dass sie Peking nicht vertrauen würden. 84 Prozent sagten, sie würden Lam misstrauen und wollten mehr Demokratie. Nur 58 Prozent gaben an, dass ihr Protest aus der Unzufriedenheit über den Wohnungsmarkt resultiere.