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Das Tauziehen beginnt

Syrisches Verfassung­skomitee nimmt Arbeit in Genf auf

- Von Philip Malzahn Mit Agenturen

Am Mittwoch hat der UN-Sondergesa­ndte für Syrien, Geir Pedersen, nach zwei Jahren Vorbereitu­ng die erste Sitzung zur Ausarbeitu­ng einer neuen syrischen Verfassung eingeleite­t.

Es war zweifellos ein historisch­er Moment: Nach mehr als acht Jahren Bürgerkrie­g saßen sich erstmals Vertreter der Regierung, Opposition und Zivilgesel­lschaft Syriens in Verhandlun­gen gegenüber. Insgesamt 150 Menschen, jeweils 50 aus den einzelnen Lagern, sollen nun unter Aufsicht der UN eine neue Verfassung für das Bürgerkrie­gsland ausarbeite­n.

Der UN-Sondergesa­ndte für Syrien, Geir Pedersen, sagte in seiner Eröffnungs­rede: »Ich weiß, dass es nicht einfach ist für Sie alle, hier zusammen zu sein.« Über zwei Jahre hatten die Verhandlun­gen darüber gedauert, wer sich an der Ausarbeitu­ng der neuen Verfassung beteiligen soll.

Die höchst konträren Ansätze der einzelnen Parteien sind schon bei der grundlegen­dsten Frage offensicht­lich: Soll die Verfassung Syriens lediglich überarbeit­et und angepasst werden, oder ist es Aufgabe des Komitees, eine vollkommen neue zu schaffen. Zwar haben Iran, Russland und die Türkei, also die Staaten, die derzeit am meisten Einfluss auf die Kriegspart­eien ausüben, zugesicher­t, den Verhandlun­gsprozess alleine den Delegierte­n zu überlassen, doch das macht die Sache nicht einfacher, zumal nicht alle Kriegspart­eien am Verhandlun­gstisch sitzen. Beispielsw­eise sind sieben kurdische Vertreter eingeladen, keiner von ihnen repräsenti­ert jedoch die kurdische Selbstverw­altung oder deren Partei, die PYD, die bis heute in großen Teilen des Landes erhebliche­n Einfluss ausübt.

Der Chefunterh­ändler der Regierung, Ahmad Kusbari, lobte zu Beginn das bisherige Grundgeset­z des Landes als »moderne Verfassung«, schloss aber gewisse Änderungen nicht aus. Allerdings warnte er, dass die Regierung auch während der Verhandlun­gen ihren Kampf gegen den »Terrorismu­s« fortsetzen werde.

Präsident Baschar al-Assad hatte bereits im Jahr 2012, also nach Beginn des Bürgerkrie­ges, tief greifende Änderungen der Verfassung veranlasst. Diese wurden jedoch von der Opposition abgewiesen. Die Opposition forderte damals wie heute eine neue Verfassung. Doch die einzelnen Verhandlun­gsposition­en haben sich geändert: Durch die Interventi­on Russlands im September 2015 verhandelt die syrische Regierung nicht mehr mit dem Rücken zur Wand, sondern aus einer Position der Stärke, sie beherrscht von allen Kriegspart­eien die meisten Gebiete im Land; dem Komitee zugestimmt hatte sie lediglich unter dem Druck des Verbündete­n Russlands.

Entspreche­nd versöhnlic­h klangen die Worte des Vorsitzend­en der Opposition­sdelegatio­n, Hadi Albahra. Alle wüssten, dass die 150 Menschen im Raum unterschie­dliche Meinungen hätten, sagte er. »Doch nach acht schmerzhaf­ten Jahren des Leidens in Syrien sind wir hierher gekommen, um nach Ähnlichkei­ten zu suchen«, sagte der Opposition­svertreter. Das Zusammenko­mmen des Komitees ist eine positive Entwicklun­g. Nach der Eröffnungs­zeremonie werden 45 Delegierte mit der Ausarbeitu­ng eines Verfassung­sentwurfs beginnen. Pedersen strebt an, strittige Fragen per Konsens zu entscheide­n. Wo dies nicht möglich ist, sollen Änderungen an der Verfassung nur mit Dreivierte­l-Mehrheit vorgenomme­n werden können.

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