Das Tauziehen beginnt
Syrisches Verfassungskomitee nimmt Arbeit in Genf auf
Am Mittwoch hat der UN-Sondergesandte für Syrien, Geir Pedersen, nach zwei Jahren Vorbereitung die erste Sitzung zur Ausarbeitung einer neuen syrischen Verfassung eingeleitet.
Es war zweifellos ein historischer Moment: Nach mehr als acht Jahren Bürgerkrieg saßen sich erstmals Vertreter der Regierung, Opposition und Zivilgesellschaft Syriens in Verhandlungen gegenüber. Insgesamt 150 Menschen, jeweils 50 aus den einzelnen Lagern, sollen nun unter Aufsicht der UN eine neue Verfassung für das Bürgerkriegsland ausarbeiten.
Der UN-Sondergesandte für Syrien, Geir Pedersen, sagte in seiner Eröffnungsrede: »Ich weiß, dass es nicht einfach ist für Sie alle, hier zusammen zu sein.« Über zwei Jahre hatten die Verhandlungen darüber gedauert, wer sich an der Ausarbeitung der neuen Verfassung beteiligen soll.
Die höchst konträren Ansätze der einzelnen Parteien sind schon bei der grundlegendsten Frage offensichtlich: Soll die Verfassung Syriens lediglich überarbeitet und angepasst werden, oder ist es Aufgabe des Komitees, eine vollkommen neue zu schaffen. Zwar haben Iran, Russland und die Türkei, also die Staaten, die derzeit am meisten Einfluss auf die Kriegsparteien ausüben, zugesichert, den Verhandlungsprozess alleine den Delegierten zu überlassen, doch das macht die Sache nicht einfacher, zumal nicht alle Kriegsparteien am Verhandlungstisch sitzen. Beispielsweise sind sieben kurdische Vertreter eingeladen, keiner von ihnen repräsentiert jedoch die kurdische Selbstverwaltung oder deren Partei, die PYD, die bis heute in großen Teilen des Landes erheblichen Einfluss ausübt.
Der Chefunterhändler der Regierung, Ahmad Kusbari, lobte zu Beginn das bisherige Grundgesetz des Landes als »moderne Verfassung«, schloss aber gewisse Änderungen nicht aus. Allerdings warnte er, dass die Regierung auch während der Verhandlungen ihren Kampf gegen den »Terrorismus« fortsetzen werde.
Präsident Baschar al-Assad hatte bereits im Jahr 2012, also nach Beginn des Bürgerkrieges, tief greifende Änderungen der Verfassung veranlasst. Diese wurden jedoch von der Opposition abgewiesen. Die Opposition forderte damals wie heute eine neue Verfassung. Doch die einzelnen Verhandlungspositionen haben sich geändert: Durch die Intervention Russlands im September 2015 verhandelt die syrische Regierung nicht mehr mit dem Rücken zur Wand, sondern aus einer Position der Stärke, sie beherrscht von allen Kriegsparteien die meisten Gebiete im Land; dem Komitee zugestimmt hatte sie lediglich unter dem Druck des Verbündeten Russlands.
Entsprechend versöhnlich klangen die Worte des Vorsitzenden der Oppositionsdelegation, Hadi Albahra. Alle wüssten, dass die 150 Menschen im Raum unterschiedliche Meinungen hätten, sagte er. »Doch nach acht schmerzhaften Jahren des Leidens in Syrien sind wir hierher gekommen, um nach Ähnlichkeiten zu suchen«, sagte der Oppositionsvertreter. Das Zusammenkommen des Komitees ist eine positive Entwicklung. Nach der Eröffnungszeremonie werden 45 Delegierte mit der Ausarbeitung eines Verfassungsentwurfs beginnen. Pedersen strebt an, strittige Fragen per Konsens zu entscheiden. Wo dies nicht möglich ist, sollen Änderungen an der Verfassung nur mit Dreiviertel-Mehrheit vorgenommen werden können.