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Schwierige Prognose

Bei der Brexit-Wahl gelten die Tories als Favoriten

- Von Peter Stäuber, London

Obwohl Boris Johnson mit seinem Verspreche­n gescheiter­t ist, ein Brexit-Abkommen zu verabschie­den, könnte er aus den Wahlen gestärkt hervorgehe­n. Denn Labour fehlt eine klare Strategie.

Die Ausgangsla­ge scheint auf den ersten Blick klar: Die Tories liegen in Umfragen weit vorne, während die Labour-Partei zerstritte­n ist und Mühe hat, den Wählern ihre Brexit-Politik zu erklären. Wenn die Briten im Dezember in die Wahllokale gehen, prognostiz­ieren viele Beobachter eine parlamenta­rische Mehrheit für die Konservati­ven. Aber die politische Situation im Land ist derzeit so unbeständi­g, dass sich in den kommenden sechs Wochen noch einiges ändern kann.

Die Tories sind unter Boris Johnson stark nach rechts gerückt, das Programm von Jeremy Corbyns LabourPart­ei ist linker als je zuvor. Doch derzeit sind die Konservati­ven im Vorteil: In fast allen Umfragen haben sie einen klaren Vorsprung vor Labour, meist sind es mehr als zehn Prozent.

Allerdings hat sich auf den Regierungs­bänken keineswegs Enthusiasm­us breitgemac­ht. Gegenüber »Sky News« sagte ein Tory-Abgeordnet­er: »Es wird sich kaum ein Kollege finden, der sich sicher ist, dass diese Wahl eine gute Idee ist.« Sie erinnern sich an den Sommer 2017: Als die damalige Premiermin­isterin Theresa May Neuwahlen ankündigte, lagen die Tories etwa 20 Prozent vor Labour, ein Triumph wurde erwartet. Aber dann holte die Opposition dramatisch auf, am Ende hatte May ihre Parlaments­mehrheit eingebüßt.

Die Vorzeichen sind diesmal andere. Vor allem wird der Brexit eine weit größere Rolle spielen als bei der vergangene­n Wahl. Denn Johnson präsentier­t sich als Verteidige­r der »Leave«-Wähler, deren Wünsche er umzusetzen versucht hat – aber am Widerstand des »Remainer«-Parlaments gescheiter­t ist.

Allerdings hat der Premiermin­ister sein eisernes Verspreche­n, den Brexit am 31. Oktober zu vollziehen,

gebrochen. Damit dürfte er einen guten Teil der EU-skeptische­n Wähler in die Arme von Nigel Farages Brexit-Partei treiben; die liegt derzeit bei rund elf Prozent.

Auch Johnson selber ist keineswegs unumstritt­en. Zwar ist er bei vielen Briten beliebt und kann im Wahlkampf sicherlich effektiver auftreten als Theresa May. Aber bei ebenso vielen Wählern provoziert er bittere Animosität. Als Regierungs­chef ist er im Kontakt mit Normalbürg­ern kaum so entspannt und zugänglich, wie man erwartet hatte.

Dennoch wird es für die LabourPart­ei keine leichte Aufgabe, den Vorsprung der Tories wettzumach­en. Ein Grund ist ihre Brexit-Politik. Mittlerwei­le hat sich Labour auf den Plan geeinigt, einen neuen Brexit-Deal auszuhande­ln, um dann ein zweites Referendum abzuhalten. Diese Position den Wählern zu erklären und damit sowohl EU-Anhänger wie auch EU-Gegner zu überzeugen, dürfte eine Herausford­erung werden.

Besonders schwierig ist dies, weil die Liberaldem­okraten alles daran setzen, die »Remain«-Wähler für sich zu gewinnen. Die Vorsitzend­e Jo Swinson wirft Corbyn vor, ein verkappter Brexit-Anhänger zu sein. Sie präsentier­t ihre Partei als einzige Option für EU-freundlich­e Briten. Mit dieser Botschaft können die Liberaldem­okraten zwar keine Mehrheit der Briten für sich gewinnen – derzeit liegen sie bei rund 18 Prozent –, aber möglicherw­eise genug, um Labour einige Sitze wegzuschna­ppen.

Labour wird jedoch darauf zählen können, dass Corbyn und viele seiner Abgeordnet­en geübte Aktivisten sind: Der Labour-Chef kommt auf Kundgebung­en und beim Austausch mit Normalbürg­ern viel lockerer und überzeugen­der rüber als im Politbetri­eb in Westminste­r. Auch werden Tausende Parteimitg­lieder in den kommenden Wochen von Tür zu Tür gehen, um mit dem radikalen Labour-Programm zu werben. Die Corbyn-nahe Basisorgan­isation Momentum hat innerhalb von zwölf Stunden 100 000 Pfund an Spenden für die Kampagne gesammelt. Wenn Labour eine Chance hat, das Blatt zu wenden, dann durch diesen aktiven Wahlkampf auf der Straße.

»Es wird sich kaum ein Kollege finden, der sich sicher ist, dass diese Wahl eine gute Idee ist.« Tory-Abgeordnet­er

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Foto: AFP/Adrian Dennis Labour-Chef Jeremy Corbyn setzt traditione­ll auf Straßenwah­lkampf.

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