Vorwurf: Illegale Waldrodung
Hausdurchsuchungen bei der Permer Organisation Memorial und ihrem Leiter Robert Latypow
Das Permer Gebiet im Ural galt lange als liberale Bastion in Russland. Nun verstärkt die Regierung die Repression gegen Memorial. Denn die Organisation ist zu unbequem.
Die Permer Organisation Memorial wird zur Zielscheibe staatlicher Repression: Donnerstag früh erschienen Polizeibeamte, Vertreter des Inlandsgeheimdienstes FSB und des Zentrums für Extremismus- und Terrorbekämpfung in den Büroräumen der Organisation. Die angekündigte Hausdurchsuchung musste zunächst um einige Stunden verschoben werden, denn der Durchsuchungsbefehl enthielt eine ganze Reihe von Adressen, die Büroanschrift von Memorial jedoch fehlte.
Seit August läuft in Perm ein Strafverfahren gegen Unbekannt wegen illegaler Waldrodung. Nun häufen sich die Indizien, dass der Staatsapparat Memorial und Leiter Robert Latypow zur Verantwortung ziehen will, dessen Wohnung ebenfalls durchsucht wurde. Hintergrund des Verfahrens ist eine Expedition gemeinsam mit litauischen Teilnehmern zum Ort Galjaschor. Wegen Erhaltungsarbeiten an einer privat errichteten Gedenktafel und einem Friedhof, wo unter Stalin repressierte Menschen begraben liegen, machten gleich mehrere Behörden mobil.
Im Beisein von Anwälten beschlagnahmten die Ermittler im Büro von Memorial Computertechnik und alle Festplatten. »Sie haben nach Sägen, Äxten und Unterlagen gesucht, die nahelegen, dass Memorial Perm die Fahrt nach Galjaschor organisiert hat«, sagte Dmitrij Okunzew, Mitarbeiter von Memorial, der während der Bürodurchsuchung anwesend war. »Aber sie haben nichts gefunden.« Stattdessen widmeten sie ihre Aufmerksamkeit Dingen, die formal mit dem laufenden Verfahren in keinem Zusammenhang stehen. So wollen die Ermittler verdächtige Software entdeckt haben und prüfen, ob es sich eventuell um Piratenversionen handele. Einer der Anwälte wollte von den Uniformierten wissen, welcher Zusammenhang zwischen der unterstellten Waldrodung und Terrorismus und Extremismus bestehe und weshalb sich der FSB damit befasse. Eine Antwort erhielt er nicht.
Unlängst stellte das Ministerium für Naturressourcen Memorial und Robert Latypow wegen unerlaubter Forstnutzung Bußbescheide über umgerechnet 2800 beziehungsweise 700 Euro aus. Auch die litauischen Teilnehmer sollen Geldstrafen von jeweils 280 Euro entrichten. Den entstandenen Gesamtschaden beziffert das Ministerium auf 1150 Euro. Dabei haben die Expeditionsteilnehmer nur herumliegende Hölzer genutzt. Wochen oder Monate zuvor wurde in der Gegend tatsächlich Holz geschlagen, die Täter sind unbekannt.
Womöglich steht der Zeitpunkt der Polizeiaktion in Verbindung zur jährlichen Gedenkaktion am Vortag. Am 30. Oktober wird in Russland den Opfern politischer Repressionen gedacht. Latypow kritisierte in seinem Kundgebungsbeitrag auch die Geldstrafen und die Arbeitsbehinderung. Das mag im Sicherheitsapparat aufgestoßen sein. »Das sind aber nur Vermutungen«, beteuert Okunzew. Als die Beamten in seinem Beisein wegen des zunächst fehlerhaften Durchsuchungsbefehls einen Vorgesetzten kontaktierten, habe er gehört, dass als Grund die Aufregung vom Vortag genannt worden sei.
Per Facebook teilte Latypows Frau Tatiana mit, dass die Ermittler zu Hause neben seinem Computer auch etliche Unterlagen von Memorial und eine alte Motorsäge beschlagnahmt hätten. Offen bleibt bislang, ob sich die Ermittlungen nun offiziell gegen Latypow als Verdächtigen richten.