Galina, die Tapfere
Als
die deutsche Wehrmacht am 22. Juni 1941 die Sowjetunion überfiel, studierte Galina Romanowa an der Medizinischen Fakultät der Universität Dnepropetrowsk. Die 22-Jährige stammte aus einem ukrainischen Dorf, ihr Vater war Schmied. 1937 waren die Eltern von Stalins Häschern wegen »konterrevolutionärer Tätigkeit« verhaftet, der Vater kurz darauf erschossen worden. Die Mutter kam nach siebenmonatiger Haft frei. Galina wurde als »Tochter eines Volksfeindes« aus dem Komsomol ausgeschlossen. Trotzdem konnte sie eine medizinische Fachschule absolvieren, bevor sie sich an der Uni immatrikulierte.
Nach der Besetzung der Ukraine durch die Wehrmacht erhielt Galina ihr Diplom als Ärztin. Sie wurde vom Fleck weg für die Arbeit in Deutschland »angeworben«, da dort Ärzte für die Zwangsarbeiterlager benötigt wurden. Am 1. Juli 1942 kam sie mit weiteren 108 Kollegen und Kolleginnen in Deutschland an. Nach einem Crashkurs an der Universität Jena, der sie mit »deutschen Verhältnissen« vertraut machen sollte, wurde sie zunächst für vier Monate in Wildau am Rand von Berlin in einem »Ostarbeiter«-Lager der Firma Schwartzkopf eingesetzt. Im Dezember 1942 schickte man sie nach Oranienburg, wo sie für mehrere Lager zuständig war.
Gegenüber ihren wie Sklaven gehaltenen Landsleuten war sie privilegiert, auch wenn sie nur etwa 120 Reichsmark im Monat verdiente. Zunächst lebte sie bei einer deutschen Familie, von der sie gut behandelt wurde. In Oranienburg war sie dann an ihrem Arbeitsplatz im Lager untergebracht. Das Elend der Zwangsarbeiter erschütterte sie. Sie befreundete sich mit einem sieben Jahre älteren Techniker, Nikolai Romanenko, über den sie später den Physiker Konstantin Shadkewitsch, einen Exilrussen, kennenlernte. Die beiden bezogen sie in die illegale Arbeit ein.
Shadkewitsch hatte Verbindung zu einigen deutschen Intellektuellen um den Chemiker Robert Havemann, die sich im Frühjahr 1943 unter dem Namen »Europäische Union« zusammenschlossen. Sie wollten möglichst viele Mitstreiter an sich binden. Galina versuchte mit wenig Erfolg, unter den Zwangsarbeitern dafür zu werben. Die Gruppe verbreitete Flugblätter und half jüdischen Verfolgten. Doch bald schlug die Gestapo zu. Shadkewitsch wurde am 4. Oktober 1943 verhaftet und legte ein umfassendes Geständnis ab. Zwei Tage später wurden Galina und die anderen Beteiligten inhaftiert.
Die junge Ärztin versuchte hartnäckig alles zu leugnen. Im Schlussbericht der Gestapo heißt es, sie sei neben Shadkewitsch »zweifellos als der intelligenteste und gefährlichste Kopf der russischen Gruppe der › Europäischen Union‹ anzusehen«; sie sei »verschlagen und listig«. Galina wurde ebenso wie Shadkewitsch, Romanenko und weitere Mitglieder der »Europäischen Union« vom »Volksgerichtshof« zum Tode verurteilt. Ihre letzten Tage verbrachte sie im Berliner Frauengefängnis in der Barnimstraße. Dort verfasste sie noch ein Gnadengesuch auf Russisch.
Ihre letzten bekannten Zeilen stammen vom 18. August 1944, geschrieben auf die Rückseite eines Fotos ihrer Familie: »Ich würde Euch gern noch einmal sehen ... und dann wäre ich glücklich.« Und: »Liebe Mamotschka, lebe wohl.« 1967 wurde ihr in der Sowjetunion posthum die Tapferkeitsmedaille verliehen. In Dneprodserschinsk wurde eine Straße im Zentrum nach ihr benannt und auf einem Schulhof ein Denkmal für sie errichtet. Die Stadt Oranienburg hat 2014 am Ort ihrer früheren Tätigkeit eine Gedenktafel angebracht.