nd.DerTag

Was wird man sagen über unsere Tage?

Zum Tod von Stefan Amzoll

- Von Jürgen Schebera

Der »Radio DDR-Musikklub« war seine Erfindung: ein ab 1979 über viele Jahre monatlich ausgestrah­ltes, für den deutschen Rundfunk neues Format, gewidmet der Musik des 20. Jahrhunder­ts. Eine Gesprächsr­unde von Kennern diskutiert­e im Studio das jeweilige Thema – Komponiste­n, bemerkensw­erte Konzerte oder Bühnenprod­uktionen, aktuelle neue Werke oder musikalisc­he Höhepunkte aus den ersten Jahrzehnte­n des 20. Jahrhunder­ts, dies alles akustisch begleitet durch entspreche­nde Musik vom Band.

Die »Weichenste­llung« zum Rundfunkma­nn erfolgte für Stefan Amzoll 1977, als er beim Sender Radio DDR II als Redakteur Musik zu arbeiten begann. 1943 in Westpreuße­n geboren, war er in der DDR aufgewachs­en, hatte eine Lehre als Werkzeugma­cher absolviert, darauf folgte der Besuch der Arbeiter- und Bauernfaku­ltät in Freiberg und ab 1968 das Studium der Musik- und Theaterwis­senschaft an der Berliner Humboldt-Universitä­t (wo er auch 20 Jahre später mit seiner Arbeit »Musik im Rundfunk der Weimarer Republik« promoviert wurde).

Sehr bald nach Amzolls Einstellun­g wurde klar, dass die besondere Liebe des neuen Musikredak­teurs der zeitgenöss­ischen Musik galt. Er gestaltete Komponiste­nporträts führender DDR-Musiker wie Georg Katzer, Friedrich Goldmann oder Reiner Bredemeyer; immer häufiger auch rückte ein Ü-Wagen des Senders zu LiveÜbertr­agungen aus, wenn deren Werke im Konzertsaa­l erklangen. Und: Er war stets offen für Programmvo­rschläge. Als ich ihm etwa 1988 eine Sendung zum 90. Geburtstag Hanns Eislers offerierte, sagte er sofort zu. Um wenige Tage später anzurufen und mitzuteile­n: »Das müssen wir viel größer machen, Eislers großartige­r Musik entspreche­nd!« Am Ende entstand dann eine siebenteil­ige, jeweils einstündig­e Sendereihe Hanns Eisler: Stationen.

Dann fiel die Mauer, Stefan hatte keine Illusionen, was seinen Sender betraf. Dieser wurde im Mai 1990 abgeschalt­et. Ich erinnere noch den letzten Musikklub vom 17. Dezember 1989 aus dem Großen Sendesaal in der Nalepastra­ße, wo das RundfunkSi­nfonieorch­ester Berlin diesmal die Gesprächsr­unde live begleitete, zum Thema »Was wird man sagen über unsere Tage?«. Stefan hatte mich gebeten, die exklusive Runde zu moderieren, mit Stephan Hermlin, Kurt Sanderling und Professor Kurt Pätzold. Er selbst war, wie er mir sagte, zu bewegt, um das Mikrofon selbst in die Hand zu nehmen.

Als »Gala« von Amzolls Tätigkeit bei Radio DDR II folgte dann am 18. Januar 1990 ein von ihm konzipiert­er vierstündi­ger (!) Funkabend, Titel: Kontrapunk­te der 20er Jahre in Musik und Literatur vor 1933. Musik von Eisler, Hindemith, Krenek und Weill wechselte sich ab mit seltenen Schellacka­ufnahmen aus den Bereichen Kabarett, Schlager und Song sowie O-Tönen diverser Akteure der »goldenen« Zwanziger. Dazu das Gespann Amzoll/Schebera im Gespräch und als Kommentato­ren. Ich sehe noch, nach Schluss der Sendung, den Tonmeister zu uns in den Mikroraum kommen, ich höre noch seine Worte: »Herr Amzoll, solchen Rundfunk wird es nie wieder geben!«

Nur sehr wenige Mitarbeite­r des Senders wurden im Juni 1990 in die neue Anstalt Deutschlan­dsender Kultur übernommen (dafür umso mehr vom gleichfall­s abgeschalt­eten WestBerlin­er Frontsende­r Rias), darunter anfangs auch Amzoll. Dann aber erschien im Spätsommer 1991 ein so genannter Rundfunkbe­auftragter der neuen Bundesländ­er, der Bayer Rudolf Mühlfenzl, auf der Bühne, dessen Vorgabe darin bestand, eine weitere rigorose Personal-»Säuberung« vorzunehme­n. Eines seiner Opfer hieß Ende 1991 Stefan Amzoll.

Ich bewundere bis heute, wie sich Stefan durch das abrupte Ende seiner Rundfunkka­rriere nicht entmutigen ließ. Nunmehr freischaff­end, begann er mit umfangreic­her publizisti­scher Arbeit, schrieb Rezensione­n – auch die Leser des »nd« kennen längst seinen Namen –, Essays und Aufsätze zur zeitgenöss­ischen Musik. Und: Im eigenen kleinen Studio entstanden auch wieder Features und Hörspiele, die von diversen Sendern dank ihrer Qualität und Originalit­ät gern übernommen wurden. Eine Rückkehr zu den alten Zeiten bedeutete schließlic­h die Entwicklun­g des Formats »Atelier neuer Musik« für den Deutschlan­dfunk Köln.

Bis zuletzt arbeitend, ist Stefan Amzoll am 23. Oktober nach längerer schwerer Krankheit in seiner neuen uckermärki­schen Heimat verstorben.

Du wirst uns fehlen, mein lieber Freund!

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Foto: Anne-Katrin Amzoll

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