Mr. Lautsprecher
Nicht nur der Brexit geht in die nächste Verlängerung, auch Unterhaussprecher John Bercow könnte einige Arbeitstage dranhängen. Eigentlich wollte der im Zuge der lauten, aggressiven und teils ausfälligen Parlamentsdebatten berühmt gewordene Speaker des britischen Parlaments seinen Job am 31. Oktober ein letztes Mal verrichten. Nach der am Dienstagabend beschlossenen vorgezogenen Parlamentswahl wurde Bercow jedoch gebeten, noch einige Tage den Mr. Speaker zu geben – bis das aktuelle House of Commons aufgelöst bzw. seine Nachfolge geklärt ist. »Nach 22 Jahren als Abgeordneter und zehn Jahren als Sprecher werde ich meine Pflicht erfüllen«, antwortete der 56-Jährige und blieb sich damit einmal mehr treu.
Denn nicht nur für seinen markanten, langgezogenen Ordnungsruf »Oooorder« ist Bercow bekannt, sondern auch für sein staatstragendes Amtsverständnis. »Ich habe meine privaten Überzeugungen, aber im Parlament bin ich unparteiisch«, sagte er einmal der »Welt«. Im Gegensatz dazu stehen sein Hang zu bunten, auffällig gemusterten Krawatten sowie zu Selbstironie, wenn sich Bercow etwa mit dem würzigen Sirup Marmite vergleicht (entspricht in der deutschen Küche am ehesten Maggi) und von sich sagt: »Ich rede einfach gern. Und im Zweifel auch zu viel.«
Zu laut und unfair soll Bercow in seiner langen Zeit als Politiker allerdings auch gewesen sein. Der Ende der 1970er Jahre von der jungen Margaret Thatcher zu den konservativen Tories gelockte Politikwissenschaftler und Tennislehrer wird immer wieder mit Vorwürfen von Ex-Mitarbeitern und Kollegen konfrontiert. Er soll unter anderem mehrere Parlamentarierinnen beleidigt haben.
Die Neigung zum Cholerischen scheint einem nachdenklichen Charakter offenbar nicht zu widersprechen. Bercow haderte immer wieder mit Ansichten der Tories – auch zum Brexit, den er bis heute für eine schlechte Idee hält. Nun bewerben sich fünf Männer und vier Frauen um die Nachfolge des Lautsprechers. Ob sie auch seine Berühmtheit erben werden, wird die Zeit zeigen.