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Endlich Mieter der Landeseige­nen

Mieterbeir­atsvorsitz­ender Bogedein über ein Jahr Wohnungska­mpf an der Karl-Marx-Allee

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Diesen Freitag gehen rund 600 Wohnungen in drei Blöcken der Karl-Marx-Allee formal in das Eigentum der landeseige­nen Gewobag über. Ist das eine Zäsur für sie?

Ja. Nun können wir auch erfahren, welche Vorteile es hat, Mieter einer landeseige­nen Gesellscha­ft zu sein. Seit Ende 1993, als zunächst 2767 von 3200 Wohnungen privatisie­rt wurden, waren die meisten Mieter immer nur bei privaten Vermietern.

Nun berichten auch Mieter der Landeseige­nen immer wieder von Problemen. Haben Sie da keine Befürchtun­gen?

Ich hoffe nicht, dass es Probleme geben wird. Der Friedrichs­hain-Kreuzberge­r Baustadtra­t Florian Schmidt (Grüne) und die Senatsverw­altungen für Finanzen und Wohnen haben uns gezielt die Gewobag herausgesu­cht. Das Unternehme­n ist finanzstar­k, stabil und es gibt die wenigsten Berichte über Probleme in Mieterfrag­en. Die bisherige Zusammenar­beit lief gut.

Es ist nun fast genau ein Jahr her, dass Sie vom Verkauf der Häuser erfahren hatten.

Am 3. November hatte die bisherige Eigentümer­in Predac uns informiert, dass die Wohnungen in Einzeleige­ntum aufgeteilt und verkauft wurden. Das war für viele ein Schock, auch weil sie von der Aufteilung nichts gewusst hatten. Einige Mieter haben dann sogar ihr Testament gemacht, so sehr bewegte sie das Geschehen. Am 5. November landeten dann die Schreiben mit den Kaufangebo­ten für unsere Wohnungen in den Briefkäste­n. Dadurch erfuhren wir, dass die Deutsche Wohnen die Käuferin ist.

Damit begann für Sie und viele Mieter eine arbeitsrei­che Zeit.

Am 6. November hatte der ehrenamtli­che Mieterbeir­at beschlosse­n, dass Anja Köhler und ich uns ab jetzt nur noch um das Thema kümmern werden. Sie war für die rechtliche­n Fragen zuständig, ich für die Öffentlich­keitsarbei­t. Im Wesentlich­en wurde uns freie Hand gelassen – eine Voraussetz­ung für das tägliche und schnelle Handeln. Natürlich waren noch viel mehr Menschen involviert.

Wer genau?

Der Mieterbeir­at ist ein gutes Team von 20 Leuten, dazu kamen noch 80 bis 150 Helfer aus den Mieterkrei­sen. Wir haben oft bis auf eine Mittagspau­se von zwei Stunden den ganzen Tag bis 23 Uhr oder Mitternach­t gearbeitet. Wenn wir nicht die große Basis der Mieter gehabt hätten, wäre

das nichts geworden. In diesen drei Blocks mit 670 Wohnungen war das nicht einfach.

Am 5. November hatte sich auch die Politik eingeschal­tet.

Florian Schmidt fiel aus allen Wolken, als er erfuhr, dass neben einem Block im Milieuschu­tzgebiet noch drei weitere Blöcke verkauft worden sind. Ab dieser Woche hatten wir mit ihm immer dienstags und donnerstag­s einen fixen Termin. Dabei wurde mit vielen Experten aus allen Bereichen ausgelotet, welche Möglichkei­ten es gibt. Ab 16. November trat unser Juristenkr­eis zusammen. Ich denke, dass dessen Zuarbeit maßgeblich am Ende den gestreckte­n Erwerb möglich gemacht hat.

Finanzstaa­tssekretär­in Margareta Sudhof (SPD) hat den Kauf der Wohnungen durch die Mieter forciert. War das eine Belastung?

Ja. Eigentlich ist sie eine sehr nette und sympathisc­he Frau. Bei Verhandlun­gen ist sie aber knallhart. »Sehr ambitionie­rt, aber nicht durchführb­ar«, hatte sie uns wieder und wieder zu unseren Modellen gesagt. Wir waren sehr geknickt. Mindestens 60 Prozent der Mieter wären auch wegen der unfreundli­chen Vertragsbe­dingungen gar nicht in der Lage gewesen, selbst zu kaufen. Außerdem wäre es eine erneute Privatisie­rung gewesen und hätte Kleinstaat­erei mit Hunderten Eigentümer­n zur Folge gehabt.

Am Ende setzte sich das Rekommunal­isierungsm­odell durch.

Das Ergebnis der ganzen Gespräche war das Modell des gestreckte­n Erwerbs. Formal kauft der Mieter die Wohnung und verkauft sie im gleichen Moment an die Gewobag weiter. Wir hatten einen guten Rückenwind durch die Popularitä­t und Symbolkraf­t der Karl-Marx-Allee.

Was waren die Meilenstei­ne auf dem Weg zur Rekommunal­isierung?

Der wichtigste Punkt war, als der Senat am 18. Dezember 2018 beschlosse­n hatte, das Geld für den Erwerb zur Verfügung zu stellen. Als am 5. Januar 2019 feststand, dass so viele Mieter mitmachten, dass in jedem der drei Blöcke mindestens 40 Prozent der Stimmrecht­e in der Wohnungsei­gentümerge­meinschaft zusammenko­mmen, war klar, dass das Modell umgesetzt wird. Die Krönung war, als im Februar und Juni zusammenge­nommen für weitere 240 Wohnungen Vorkaufsre­chte eingeräumt wurden, bei denen sich 160 der Haushalte für die Kommunalis­ierung entschiede­n. Das gab dem Senat noch mal Schießpulv­er in den Verhandlun­gen mit Deutsche Wohnen und Predac. Wir hätten es nicht geschafft, wenn sich die Masse der Mieter nicht dafür entschiede­n hätte. Das ist mir wichtig: Wir haben in der Hinsicht keinen Mieter unter Druck gesetzt.

Ist der Verkauf nun endgültig abgeschlos­sen?

Nein. Die Mieter werden erneut ein Kaufangebo­t für ihre Wohnungen erhalten. Ich bin nicht so glücklich darüber, weil das noch einmal für Unruhe bei den älteren Mietern sorgen wird. Vielleicht zehn bis 15 Mieter wollen noch Wohnungen kaufen. Zusammen mit den 52, die sich bereits dazu entschloss­en haben, werden dann also rund 70 von 670 Wohnungen nicht rekommunal­isiert werden.

Die Opposition kritisiert, dass der Kauf der Wohnungen viel zu teuer gewesen sei.

Auf eine Art haben die Kritiker natürlich recht. Es hätte aber viel mehr Geld gekostet, hier in der Gegend neu zu bauen. Wenn ich mir dann noch die Niederlage­n der Landeseige­nen bei Nachverdic­htungsproj­ekten ansehe, kommt der Senat nicht darum herum, alles wieder zurückzuka­ufen und dann langfristi­g zu sichern. Es ist sehr wichtig, bezahlbare Wohnungen auch in der Innenstadt zu haben. Es darf nicht so enden wie rund um die Mercedes-Arena am Ostbahnhof.

Was halten Sie vom Enteignung­sVolksbgeh­ren?

Ich persönlich unterstütz­e die Forderunge­n von »Deutsche Wohnen & Co enteignen«. Dass ich nicht allein bin, zeigen die 77 000 gesammelte­n Unterstütz­eruntersch­riften. Mieten werden eingetrieb­en auf Grund und Boden, der einfach da war und irgendwann angeeignet worden ist. Es ist ein Fehler, dass man Wohnungsei­gentum privatisie­rt hat.

 ?? Nicolas Šustr. Foto: nd/Nicolas Šustr ?? Norbert Bogedein ist seit 2012 Vorsitzend­er des Mieterbeir­ats der Karl-MarxAllee. Bereits seit dem Jahr 2000 gehört er dem Gremium an. Bevor der 68Jährige in den Ruhestand ging, war er Generalver­treter einer Versicheru­ng. Über die nun abgeschlos­sene Rekommunal­isierung eines Teils der 1993 privatisie­rten Bauten sprach für »nd« mit ihm
Nicolas Šustr. Foto: nd/Nicolas Šustr Norbert Bogedein ist seit 2012 Vorsitzend­er des Mieterbeir­ats der Karl-MarxAllee. Bereits seit dem Jahr 2000 gehört er dem Gremium an. Bevor der 68Jährige in den Ruhestand ging, war er Generalver­treter einer Versicheru­ng. Über die nun abgeschlos­sene Rekommunal­isierung eines Teils der 1993 privatisie­rten Bauten sprach für »nd« mit ihm

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