Scholz schätzt die Lage zu optimistisch ein
Laut Steuerschätzung soll der Bund 2019 vier Milliarden Euro mehr in der Kasse haben
Der Bundesfinanzminister hält den Fiskus auch künftig für gut aufgestellt. Doch die Steuerschätzung für die kommenden Jahre beruht auf optimistischen Annahmen, die viele Ökonomen so nicht teilen.
Geht es nach Bundesfinanzminister Olaf Scholz, dann ist alles halb so schlimm: Die Steuereinnahmen wüchsen zwar nicht mehr wie Bäume in den Himmel, entwickelten sich aber weiterhin stabil, so seine Botschaft am Mittwoch bei der Präsentation der Ergebnisse der jüngsten Steuerschätzung. Als Beweis führt der Kandidat für den SPD-Vorsitz an, dass der Bund dieses Jahr wohl vier Milliarden Euro mehr zur Verfügung habe als noch im Mai gedacht. Das solle die gegenüber bisheriger Erwartung vermutlich etwas geringeren Einnahmen in den Folgejahren ausgleichen können. Überhaupt, meint Scholz, sei weiter von steigenden Steuereinnahmen die Rede, nur nicht in so großem Ausmaß wie vor ein paar Monaten gedacht.
Zweimal im Jahr tagt der Arbeitskreis »Steuerschätzungen«, in dem neben Beamten aus Finanz- und Wirtschaftsministerium auch Experten der Bundesbank, des Statistischen Bundesamts und Ökonomen wie die sogenannten Wirtschaftsweisen sitzen. Dieses Mal trafen sich die Steuerschätzer von Montag bis Mittwoch in Stuttgart. Ihre Aufgabe ist es, anhand ökonomischer Rahmenbedingungen wie Wirtschaftswachstum, Lohnentwicklung und Beschäftigung abzuschätzen, wie viel Geld der Staat an Steuereinnahmen künftig zur Verfügung hat. Als Grundlage dient ihnen dabei die sogenannte Herbstprojektion der Bundesregierung.
»Wir tun richtig was, und das zahlt sich aus. Bund, Länder und Gemeinden können auch in den nächsten Jahren mit höheren Steuereinnahmen rechnen«, feierte Scholz sich und die Große Koalition. Doch so gut, wie er die Lage darstellt, ist sie nicht. Zum einen liegt es nämlich in der Natur der Sache, dass Steuereinnahmen steigen – genau wie Löhne, Preise und Ausgaben. Das Phänomen nennt sich Inflation. Würden die Steuereinnahmen tatsächlich einmal sinken, dann hätte der Fiskus ein echtes Problem.
Zum anderen sind die für dieses Jahr prognostizierten Mehreinnahmen, von denen Scholz spricht, tatsächlich schon Mindereinnahmen: Vor einem Jahr ging man nämlich noch davon aus, dass der Staat dieses Jahr insgesamt 804,6 Milliarden Euro zur Verfügung habe. Jetzt ist nur noch von 796,4 Milliarden die Rede – unterm Strich also ein Minus von 8,2 Milliarden Euro.
Für die nächsten Jahre geht auch Scholz jetzt von weniger Einnahmen aus als noch im Mai. So soll sich das Steueraufkommen nächstes Jahr auf 816,4 Milliarden statt auf 818 Milliarden Euro belaufen. Doch auch hinter dieser Zahl steht ein großes Fragezeichen. Die ökonomischen Grundlagen der Steuerschätzung sind nämlich noch recht optimistisch. So geht Scholz’ Ministerium für dieses Jahr noch von einem Wirtschaftswachstum von 0,5 und von 1,0 Prozent für nächstes Jahr aus. Die Deutsche Industrie- und Handelskammer zum Beispiel ist da hingegen pessimistischer. Deren Experten rechnen mit 0,4 Prozent Wachstum 2019 und 0,5 Prozent 2020. Ähnlich die Prognose der gewerkschaftsnahen Forscher des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK): 0,4 Prozent für dieses und 0,7 Prozent für nächstes Jahr.
Auch der Arbeitsmarkt könnte Scholz im kommenden Jahr einen Strich durch die Rechnung machen. So geht die Bundesregierung in ihrer Herbstprojektion für 2020 noch von einem Anstieg der Beschäftigung aus, was bedeuten würde, dass mehr Menschen hierzulande Lohnsteuer zahlen. Doch auch hier ist etwa das IMK pessimistischer: Es schätzt, dass die Beschäftigtenzahl leicht zurückgehen wird.
Indes ist nicht nur die schlechtere konjunkturelle Entwicklung schuld, dass der Staat künftig weniger Geld zur Verfügung hat. So wird die fast komplette Abschaffung des Solidaritätszuschlags – was in der aktuellen Steuerschätzung übrigens noch gar nicht eingepreist ist – zu Mindereinnahmen von elf Milliarden Euro im Jahr führen. Das ist viel Geld, das für Schulen, Straßen, klimafreundliche Investitionen oder vielleicht bald notwendige Konjunkturpakete fehlen wird. Scholz versucht die Abschaffung des Soli zwar als eine Konjunkturmaßnahme zu verkaufen, die vor allem Haushalte mit niedrigen und mittleren Einkommen entlasten werde. Tatsächlich zahlen aber gerade Niedrigverdiener keinen Solidaritätszuschlag und werden deshalb auch nicht entlastet. So ist dessen Abschaffung vor allem eins: ein milliardenschweres Steuergeschenk für Gut- und Besserverdiener.