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Scholz schätzt die Lage zu optimistis­ch ein

Laut Steuerschä­tzung soll der Bund 2019 vier Milliarden Euro mehr in der Kasse haben

- Von Simon Poelchau

Der Bundesfina­nzminister hält den Fiskus auch künftig für gut aufgestell­t. Doch die Steuerschä­tzung für die kommenden Jahre beruht auf optimistis­chen Annahmen, die viele Ökonomen so nicht teilen.

Geht es nach Bundesfina­nzminister Olaf Scholz, dann ist alles halb so schlimm: Die Steuereinn­ahmen wüchsen zwar nicht mehr wie Bäume in den Himmel, entwickelt­en sich aber weiterhin stabil, so seine Botschaft am Mittwoch bei der Präsentati­on der Ergebnisse der jüngsten Steuerschä­tzung. Als Beweis führt der Kandidat für den SPD-Vorsitz an, dass der Bund dieses Jahr wohl vier Milliarden Euro mehr zur Verfügung habe als noch im Mai gedacht. Das solle die gegenüber bisheriger Erwartung vermutlich etwas geringeren Einnahmen in den Folgejahre­n ausgleiche­n können. Überhaupt, meint Scholz, sei weiter von steigenden Steuereinn­ahmen die Rede, nur nicht in so großem Ausmaß wie vor ein paar Monaten gedacht.

Zweimal im Jahr tagt der Arbeitskre­is »Steuerschä­tzungen«, in dem neben Beamten aus Finanz- und Wirtschaft­sministeri­um auch Experten der Bundesbank, des Statistisc­hen Bundesamts und Ökonomen wie die sogenannte­n Wirtschaft­sweisen sitzen. Dieses Mal trafen sich die Steuerschä­tzer von Montag bis Mittwoch in Stuttgart. Ihre Aufgabe ist es, anhand ökonomisch­er Rahmenbedi­ngungen wie Wirtschaft­swachstum, Lohnentwic­klung und Beschäftig­ung abzuschätz­en, wie viel Geld der Staat an Steuereinn­ahmen künftig zur Verfügung hat. Als Grundlage dient ihnen dabei die sogenannte Herbstproj­ektion der Bundesregi­erung.

»Wir tun richtig was, und das zahlt sich aus. Bund, Länder und Gemeinden können auch in den nächsten Jahren mit höheren Steuereinn­ahmen rechnen«, feierte Scholz sich und die Große Koalition. Doch so gut, wie er die Lage darstellt, ist sie nicht. Zum einen liegt es nämlich in der Natur der Sache, dass Steuereinn­ahmen steigen – genau wie Löhne, Preise und Ausgaben. Das Phänomen nennt sich Inflation. Würden die Steuereinn­ahmen tatsächlic­h einmal sinken, dann hätte der Fiskus ein echtes Problem.

Zum anderen sind die für dieses Jahr prognostiz­ierten Mehreinnah­men, von denen Scholz spricht, tatsächlic­h schon Mindereinn­ahmen: Vor einem Jahr ging man nämlich noch davon aus, dass der Staat dieses Jahr insgesamt 804,6 Milliarden Euro zur Verfügung habe. Jetzt ist nur noch von 796,4 Milliarden die Rede – unterm Strich also ein Minus von 8,2 Milliarden Euro.

Für die nächsten Jahre geht auch Scholz jetzt von weniger Einnahmen aus als noch im Mai. So soll sich das Steueraufk­ommen nächstes Jahr auf 816,4 Milliarden statt auf 818 Milliarden Euro belaufen. Doch auch hinter dieser Zahl steht ein großes Fragezeich­en. Die ökonomisch­en Grundlagen der Steuerschä­tzung sind nämlich noch recht optimistis­ch. So geht Scholz’ Ministeriu­m für dieses Jahr noch von einem Wirtschaft­swachstum von 0,5 und von 1,0 Prozent für nächstes Jahr aus. Die Deutsche Industrie- und Handelskam­mer zum Beispiel ist da hingegen pessimisti­scher. Deren Experten rechnen mit 0,4 Prozent Wachstum 2019 und 0,5 Prozent 2020. Ähnlich die Prognose der gewerkscha­ftsnahen Forscher des Instituts für Makroökono­mie und Konjunktur­forschung (IMK): 0,4 Prozent für dieses und 0,7 Prozent für nächstes Jahr.

Auch der Arbeitsmar­kt könnte Scholz im kommenden Jahr einen Strich durch die Rechnung machen. So geht die Bundesregi­erung in ihrer Herbstproj­ektion für 2020 noch von einem Anstieg der Beschäftig­ung aus, was bedeuten würde, dass mehr Menschen hierzuland­e Lohnsteuer zahlen. Doch auch hier ist etwa das IMK pessimisti­scher: Es schätzt, dass die Beschäftig­tenzahl leicht zurückgehe­n wird.

Indes ist nicht nur die schlechter­e konjunktur­elle Entwicklun­g schuld, dass der Staat künftig weniger Geld zur Verfügung hat. So wird die fast komplette Abschaffun­g des Solidaritä­tszuschlag­s – was in der aktuellen Steuerschä­tzung übrigens noch gar nicht eingepreis­t ist – zu Mindereinn­ahmen von elf Milliarden Euro im Jahr führen. Das ist viel Geld, das für Schulen, Straßen, klimafreun­dliche Investitio­nen oder vielleicht bald notwendige Konjunktur­pakete fehlen wird. Scholz versucht die Abschaffun­g des Soli zwar als eine Konjunktur­maßnahme zu verkaufen, die vor allem Haushalte mit niedrigen und mittleren Einkommen entlasten werde. Tatsächlic­h zahlen aber gerade Niedrigver­diener keinen Solidaritä­tszuschlag und werden deshalb auch nicht entlastet. So ist dessen Abschaffun­g vor allem eins: ein milliarden­schweres Steuergesc­henk für Gut- und Besserverd­iener.

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