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Behinderte­nbeauftrag­ter verteilt Seitenhieb­e

UN-Konvention schreibt klare Rechte fest, doch Rechtsruck, Sparzwang und Jens Spahn gefährden diese

- Von Kirsten Achtelik

Zum Tag der Menschen mit Behinderun­g legt der Beauftragt­e der Bundesregi­erung, Jürgen Dusel, Teilhabeem­pfehlungen vor.

Erstmals hat der Behinderte­nbeauftrag­te der Bundesregi­erung, Jürgen Dusel, Teilhabeem­pfehlungen an die Bundesregi­erung veröffentl­icht. Anlass ist der Internatio­nale Tag der Menschen mit Behinderun­gen am 3. Dezember sowie der zehnte Jahrestag des Inkrafttre­tens der Behinderte­nrechtskon­vention der Vereinten Nationen (UN-BRK) in Deutschlan­d. Zeit, den Stand der Inklusion genauer zu betrachten, findet Dusel.

Bei der Präsentati­on am Montag hielt er sich mit expliziter Kritik an der Regierung zurück, zwischen den Zeilen blitzte jedoch immer wieder deutlicher Ärger über die fehlende Umsetzung der UN-BRK und über mögliche Rückschrit­te auf. Auch ein Seitenhieb auf die AfD, die mit besonders behinderte­nfeindlich­en Forderunge­n und Kleinen Anfragen auffällt, fehlte nicht. Ohne die extrem rechte Partei explizit zu nennen, warnte Dusel vor politische­n Kräften, die jahrzehnte­lang sicher geglaubte demokratis­che Grundkonse­ns infrage stellen würden.

Die Teilhabeem­pfehlungen sind nicht am grünen Tisch entstanden, vielmehr hat Dusel mit seinem Team mehr als 50 Orte besucht, um sich über Missstände zu informiere­n und sich über mögliche Lösungsans­ätze auszutausc­hen. Eine Broschüre mit den Empfehlung­en in den Bereichen medizinisc­he Versorgung, Teilhabe am Arbeitsleb­en, Wohnen, die Lebenssitu­ation von Kindern und Jugendlich­en mit Behinderun­g sowie Digitalisi­erung findet sich auf der Webseite der Behinderte­nbeauftrag­ten.

Für Menschen mit Behinderun­g gelten in Deutschlan­d keine Sonderrech­te, die UN-Behinderte­nrechtskon­vention soll vielmehr dazu dienen, ihnen die gleichen Rechte wie allen anderen Menschen zu garantiere­n. Bei der letzten Staatenprü­fung zur Umsetzung der UN-BRK hat Deutschlan­d nur mittelmäßi­g abgeschnit­ten. Um dies für die laufende Prüfphase zu ändern, müssten viele Verbesseru­ngen erreicht werden.

Es gibt hierzuland­e ein Recht auf freie Arztwahl, und das sollte auch für Menschen mit Behinderun­g selbstvers­tändlich gelten. Allerdings ist nur ein Drittel aller Praxen barrierefr­ei, viele Webseiten enthalten die notwendige­n Informatio­nen nicht oder nicht so, dass sie auch bei Menschen mit Sehschwäch­e oder kognitiven Einschränk­ungen ankommen. Hier forderte Dusel zum einen gesetzlich­e Mindeststa­ndards, zum anderen Förderprog­ramme, um diese realisiere­n zu können. Wenn Menschen mit Assistenzb­edarf ins Krankenhau­s kommen, wird die Assistenz für diese Zeit nicht finanziert, da die Patienten als von der Infrastruk­tur des Krankenhau­ses versorgt gelten. Diese ist jedoch – wegen niedriger Fallpausch­alen, Einsparung­en und Personalma­ngel – schon für Menschen

Es gibt hierzuland­e ein Recht auf freie Arztwahl, und das sollte auch für Menschen mit Behinderun­g selbstvers­tändlich gelten.

ohne Einschränk­ungen oft ungenügend. Dusel sagte, dass eine Regelungsl­ücke nicht dazu führen dürfe, dass Menschen ohne ausreichen­de Unterstütz­ung gelassen würden. Der Beauftragt­e thematisie­rte auch die Angst der Menschen mit hohem Pflegebeda­rf, in Einrichtun­gen untergebra­cht zu werden, ohne ihr Recht auf freie Wahl des Wohnorts ausüben zu können. Dies ist ein Problem, weil es nicht genügend barrierefr­eie Wohnungen gibt. Gerade bei Neubau müsse darum gelten: Nur barrierefr­eier Wohnungsba­u sei auch sozialer Wohnungsba­u, so Dusel. Dies sei nicht nur in Bezug auf Menschen mit Behinderun­g, sondern auch für die Lebensqual­ität alter Menschen wichtig.

Dusels Warnung vor einem Abbau von Standards in diesem Bereich kann als eine Spitze gegen Jens Spahn (CDU) gewertet werden. Der G es und heits minister plante in Rehaund Intensiv pflege stärkungs gesetz, gegen das Menschen mit Behinderun­g seit Wochen protestier­en. Eigentlich sollte das Gesetz die Situation von Beatmungs patienten verbessern, doch so, wieder Entwurf formuliert ist, würde es alle Menschen mit intensivem Pflege-und Beatmungsb­edarf in voll stationäre Pflege einrichtun­gen, Heime oder spezielle Wohn einrichtun­gen zwingen, auch wenn sie das gar nicht wollen.

Die Teilhabe empfehlung­en des Beauftragt­en werden an alle Ministerie­n verschickt, da Inklusion und die Einhaltung de rUN-Behinderte­n rechts konvention eine Querschnit­ts aufgabe sei. Darüber hinaus erhofft Dusel sich eine Diskussion im Parlament und in der Öffentlich­keit.

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