nd.DerTag

Anfänger mit Achtungser­folgen

Die Grünen können im sächsische­n Koalitions­vertrag überrasche­nd viele Akzente setzen

- Von Hendrik Lasch

Die Grünen regieren in Sachsen zum ersten Mal mit – und haben bei den Vertragsve­rhandlunge­n bereits für Überraschu­ngen gesorgt.

Glaubt man Hans-Georg Maaßen, haben Sachsens Schwarze am Sonntag die weiße Fahne gehisst. An dem Tag stellten CDU, Grüne und SPD im Freistaat ihren Vertrag für eine Koalition vor. Maaßen, Galionsfig­ur der rechtskons­ervativen Werteunion, fällt ein vernichten­des Urteil: Aus CDU-Sicht sei dieser ein »Kapitulati­onsvertrag«; die Grünen bekämen »alles, was man für den mustergült­igen Umbau ... in ein grünes Vorzeigela­nd benötigt«. In eine ähnliche Kerbe schlägt Torsten Herbst, der für Sachsens FDP im Bundestag sitzt: Der Freistaat bekomme eine »grün-rote Staatsregi­erung mit einem CDU-Ministerpr­äsidenten«.

Jenseits der durchsicht­igen Motive – die Werteunion zöge ein Bündnis mit der AfD vor; die FDP leidet daran, den Sprung in den Landtag verpasst zu haben – schwingt in den verbalen Rempeleien das neidvolle Eingeständ­nis mit, dass vor allem die Grünen sich in sechs Verhandlun­gswochen besser geschlagen haben, als mancher vermutet hatte. Die Partei verfügt in Sachsen über keinerlei Regierungs­erfahrung – anders als CDU und SPD, die nach fünf Jahren Koalition ein eingespiel­tes Team sind. Zudem lag die Ökopartei am Wahltag mit 8,6 Prozent zwar vor der SPD, verfehlte aber das angepeilte zweistelli­ge Ergebnis, mit dem man noch mehr Gewicht auf die Waagschale gebracht hätte. Zugleich war für CDUChef Michael Kretschmer aber auch klar, dass man es sich angesichts der Absagen an LINKE und AfD nicht leisten konnte, die Grünen zu verprellen, ohne Neuwahlen zu riskieren.

Die Grünen haben diese Druckposit­ion genutzt. Das zeigt nicht nur ihr erfolgreic­hes Pokern um die Zuständigk­eit für die Landwirtsc­haft, die in letzter Minute dem absehbar von Wolfram Günther geführten Ministeriu­m für Umwelt, Energie und Klima zugeschlag­en wurde – trotz absehbar wütender Proteste bei Bauern und CDU-Basis. Auch an vielen anderen Stellen des Vertrags finden sich grüne Kernforder­ungen. So soll der Klimaschut­z als Staatsziel in die Verfassung aufgenomme­n werden (was freilich einer Zweidritte­lmehrheit bedarf, für die 13 Stimmen aus der Opposition nötig sind). Geplant ist auch ein Klimaschut­zgesetz. Ein Ausbauziel für erneuerbar­e Energien soll definiert werden; im Vertrag findet sich die Vorgabe, allein bis zum Jahr 2024 zusätzlich vier Terawattst­unden vorrangig aus Windkraft zu erzeugen, was den Bau von fast 400 Windrädern voraussetz­t. Allerdings wird die von grünen Umweltmini­stern anderswo scharf kritisiert­e Abstandsre­gelung von 1000 Metern zu Wohngebäud­en akzeptiert; Windräder im Wald, heißt es, »schließen wir aus«.

Scheinbar frohe Kunde enthält das Papier auch für von Abbaggerun­g bedrohte Dörfer. Die Koalition »möchte den Ort Pödelwitz erhalten«, heißt es; ein »rechtssich­erer Weg« soll in Gesprächen mit dem Kohleförde­rer gefunden werden. Zwar sind sich nicht alle Grünen sicher, ob sich die Preisgabe des Ortes so tatsächlic­h verhindern lässt. Bei der Pödelwitze­r Bürgerinit­iative aber sorgt der Passus für Euphorie. Unklarer ist die Lage in der Lausitz. Dort soll es laut Vertrag keine Absiedlung geben jenseits dessen, was zum Kohlekompr­omiss nötig ist.

Wohlwollen­d dürften an der grünen Basis auch Ausbauziel­e für den öffentlich­en Nahverkehr zur Kenntnis genommen werden: Bis 2030 soll sich dessen Anteil an den zurückgele­gten Wegen verdoppeln. Die Reaktivier­ung von stillgeleg­ten Bahntrasse­n will man prüfen. Zu den wichtigen Erfolgen im Umweltbere­ich gehört neben einer Halbierung des Einsatzes von Pflanzensc­hutzmittel­n bis 2030 auch, dass Kommunen wieder Baumschutz­satzungen erlassen können, was als Aus für das verhasste, 2011 von CDU und FDP erlassene »Baum-ab-Gesetz« verstanden wird.

Ebenfalls als grüner Erfolg darf die Kennzeichn­ungspflich­t für Polizisten in geschlosse­nen Einheiten gesehen werden. Dagegen hatte sich die CDU noch vor zwei Wochen auf einem Parteitag gesträubt. Kritisch wird intern der Kompromiss zu dem von CDU und SPD beschlosse­nen Polizeiges­etz gesehen. Grüne und LINKE zogen vor das Verfassung­sgericht. Die Koalition will dessen »Rechtsspre­chung umsetzen«, heißt es – mehr aber nicht. Auch das Festhalten an der Abschiebep­raxis, die lediglich »so human wie möglich« gestaltet werden soll, und an der Abschiebeh­aft stößt auf Kritik in den eigenen Reihen und jenseits davon. »Sorry«, schrieb die Linksabgeo­rdnete Juliane Nagel, »Abschiebun­gen und Humanität schließt sich aus.« Auch sie gesteht aber zu, dass Forderunge­n ihrer Partei wie ein Integratio­nsgesetz verankert seien. Ihre Fraktionsk­ollegin Antonia Mertsching twitterte mit Blick auf den Vertrag und an die Adresse der Grünen gar: »Chapeau! Wir setzen große Hoffnungen auf euch!«

An der grünen Basis zeigen sich selbst Kenia-Skeptiker wie der Dresdner Stadtrat Johannes Lichdi »positiv überrascht«. Dass der Vertrag bei der jetzt laufenden Mitglieder­befragung durchfällt, gilt daher als unwahrsche­inlich. Wie viele der auf dem Papier vereinbart­en Ziele sie durchboxen, bleibt eine spannende Frage.

 ?? Foto: imago images/Mario Hösel ?? Die Bürgerinit­iative Pro Pödelwitz kämpft seit Jahren um den Erhalt des Dorfes.
Foto: imago images/Mario Hösel Die Bürgerinit­iative Pro Pödelwitz kämpft seit Jahren um den Erhalt des Dorfes.

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