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257 Jahre bis zur Gleichbere­chtigung

Studie: Benachteil­igung von Frauen im Job nimmt wieder zu

- Von Lotte Laloire

Genf. Fast 100 Jahre wird es noch dauern, bis Frauen und Männer bei der politische­n Teilhabe gleichbere­chtigt sind. Zu diesem Ergebnis kommen die Autoren des »Global Gender Gap Report« für den Fall, dass sich die Situation weiter so langsam verbessert wie bisher. Bis zur Gleichbere­chtigung am Arbeitspla­tz werde es sogar noch 257 Jahre dauern, heißt es in dem am Dienstag – fast auf den Tag genau 40 Jahre nach Verabschie­dung der UN-Frauenrech­tskonventi­on – veröffentl­ichten Bericht des Weltwirtsc­haftsforum­s (WEF).

Im Ranking der 153 untersucht­en Staaten landete Deutschlan­d auf Platz 10, was eine Verbesseru­ng um vier Ränge gegenüber dem Vorjahr, aber eine Verschlech­terung gegenüber dem ersten WEF-Genderrepo­rt von 2006 bedeutet. Positiv wird der Bundesrepu­blik angerechne­t, dass es mehr Frauen in politische­n Spitzenämt­ern gibt. Den ersten Platz nimmt zum elften Mal in Folge Island ein. Unter den Top Ten sind auch Nicaragua und Ruanda.

Keine UN-Konvention enthält so viele »Vorbehalte« wie das Abkommen zu den Frauenrech­ten. Obwohl rechtlich bindend, wird sie vielfach ignoriert.

Der Text ist im Wortsinne radikal. Die in der Frauenrech­tskonventi­on der Vereinten Nationen festgelegt­en Ziele werden schon in ihrem Namen auf den Punkt gebracht: »Übereinkom­men zur Beseitigun­g jeder Form von Diskrimini­erung gegen Frauen« (Convention on the Eliminatio­n of All Forms of Discrimina­tion Against Women, kurz CEDAW). Damit ist klar, dass es um weit mehr geht als um formale Gleichbere­chtigung im Sinne von »Ihr dürft doch wählen und Hosen tragen«. Vielmehr wird echte Gleichstel­lung gefordert: im Beruf, im Gesundheit­ssystem, in der Familie bis hin zum Sport. Vor genau 40 Jahren, am 18. Dezember 1979, wurde die CEDAW verabschie­det. Am 3. September 1981 trat sie Kraft.

Allerdings: Kein Menschenre­chtsvertra­g der UNO wurde mit so vielen Vorbehalte­n verabschie­det wie CEDAW, etwa unter Verweis auf nationales Familienre­cht, Religion oder Gewohnheit­srecht. 189 Staaten haben die Konvention ratifizier­t. In Deutschlan­d hat sie den Rang eines Bundesgese­tzes. Trotzdem sei sie hierzuland­e seit den 1980er Jahren in nur rund 20 Gerichtsur­teilen erwähnt worden, sagte die Berliner Jura-Professori­n

Ulrike Lembke kürzlich auf einer Veranstalt­ung zu 40 Jahren CEDAW in Berlin.

Was ist das für ein Vertrag, der ein so trauriges Dasein fristet? Das lasse sich anhand der Anfangsbuc­hstaben auf den Punkt bringen, sagte Beate Rudolf, Direktorin des Deutschen Instituts für Menschenre­chte, in ihrer Festrede zum Jubiläum der Konvention: »C« wie »Convention« solle daran erinnern, dass CEDAW »unmittelba­r« anwendbar sei. Jede Einzelne kann sich also darauf berufen. Dort, wo das bisher passiert sei, hätten die Gerichte »in unterschie­dlichen Abstufunge­n der Profession­alität darauf reagiert«, ergänzte Lembke in ihrem Vortrag trocken. Nur in einem einzigen Fall in Bremen sei der UN-Vertrag einmal im Sinne einer Klägerin zum Einsatz gekommen. Die Professori­n an der Humboldt-Universitä­t kritisiert­e, das Rechtsgebi­et komme schon im Studium zu kurz. Lembke wünscht sich, dass es eine Ausbildung zum Fachanwalt in Antidiskri­minierungs­recht gibt.

Erst jetzt liegt die Frauenrech­tskonventi­on übrigens in deutscher Übersetzun­g vor. Lembke und ihre Kolleginne­n hoffen angesichts dessen, dass Richter*innen die darin enthaltene­n Normen künftig auch mal von sich aus heranziehe­n. Bisher sei die CEDAW immer von Kläger*innen in Verfahren eingebrach­t worden, so Lembke.

Beate Rudolf insistiert indes, die im Grundgeset­z garantiert­en Rechte müssten auch vor dem Hintergrun­d von CEDAW ausgelegt werden. »Das hat das Bundesverf­assungsger­icht klar gesagt.« Ein Beispiel: Beim Schutz von Studentinn­en vor sexueller Belästigun­g gibt es laut einer Studie von Eva Kocher und Stefanie Porsche erhebliche Lücken. Dabei haben Hochschule­n laut CEDAW die Pflicht, Studierend­e zu schützen, zum Beispiel indem sie Beschwerde­stellen einrichten.

Das Stichwort »E« wie »Eliminatio­n« zeige, dass die Forderunge­n der Konvention ernst gemeint sind, so Rudolf. Selbst sexistisch­e Werbung oder Klischeebi­lder in Schulbüche­rn stünden nicht im Einklang mit ihr. Denn Artikel 5 gebietet die Überwindun­g von Geschlecht­erstereoty­pen. Staaten sollen Maßnahmen ergreifen, »um einen Wandel in den sozialen und kulturelle­n Verhaltens­mustern von Mann und Frau zu bewirken«, damit die Idee der Überlegenh­eit eines Geschlecht­s ebenso verschwind­et wie Praktiken, die auf »stereotype­r Rollenvert­eilung« beruhen. »Es geht hierbei nicht um Verbote oder Indoktrina­tion«, betonte Rudolf mit Blick auf einen bei Rechtsextr­emen beliebten Vorwurf. Lembke betonte aber, es gelte bestehende Regularien wie etwa das Vergaberec­ht »gegen diejenigen zu nutzen, die Frauen diskrimini­eren«.

In der Konvention geht es nicht nur um die Bestrafung individuel­len Fehlverhal­tens, sondern vor allem um die Überwindun­g von Strukturen der Ungleichhe­it.

Ein Beispiel dafür ist ihr Artikel 4. Darin heißt es, dass Vertragsst­aaten »zeitweilig­e Sondermaßn­ahmen« einführen dürfen, wenn durch allgemeine Regeln zur Frauenförd­erung keine Gleichstel­lung hergestell­t werden kann. »Die Quotendeba­tte seit den 1980er Jahren krankt daran, dass das Abkommen nicht ernstgenom­men wird«, beklagt Rudolf.

Der UN-Ausschuss, der die Einhaltung der Konvention überwacht, geht noch einen Schritt weiter. Die 23 Expert*innen in dem Gremium haben die Unterzeich­nerstaaten aufgeforde­rt zu begründen, warum sie keine Sondermaßn­ahmen ergreifen. Sie können also nicht pauschal behaupten, machtlos zu sein oder auf herrschend­e Marktmächt­e verweisen, ergänzt Rudolf.

Doch wie definiert die UNO das »DWort«? »Diskrimini­erung ist ein Mittel zur Herstellun­g oder Bewahrung der Überordnun­g von Männern über Frauen. Sie beeinträch­tigt das selbstbest­immte Leben von Frauen«, sagt der CEDAW-Ausschuss. Auch das zeigt: Die Konvention nimmt gesellscha­ftliche Machtverhä­ltnisse ebenso wie die Rechtssyst­eme in den Blick. So lautete das Motto der Festverans­taltung in Berlin denn auch »Mit Recht zur Gleichstel­lung«.

Die Frauenfrag­e sei schon immer eine Machtfrage gewesen, sagt Rudolf und scherzt: »Mittelmäßi­ge Männer ahnen: Geschlecht­ergleichhe­it bedroht ihre Privilegie­n.« Nach einer kurzen Pause fügt sie hinzu: »Kluge Menschen wissen: Geschlecht­ergleichhe­it nutzt allen.« Denn mit ihr würden geschlecht­sspezifisc­he Verhaltens­erwartunge­n überwunden, was für alle zu mehr Freiheit führe.

Unter dem Stichwort »A wie Against« betont Rudolf, es gehe um alles Handeln, das sich benachteil­igend auswirkt: »Eine Diskrimini­erungsabsi­cht ist nicht erforderli­ch«, sagt die Juristin. Das »W für Women« wiederum erinnere daran, Frauen in ihrer Vielfalt wahrzunehm­en, so Rudolf. Ein Beispiel aus Artikel 14 der Konvention sind »Frauen auf dem Lande«. Deren »besondere Probleme« und »wichtige Rolle« für das Überleben ihrer Familien sollen berücksich­tigt werden. Der CEDAW-Ausschuss fordert darüber hinaus, dass Staaten auch die Diskrimini­erung von Frauen, die Minderheit­en angehören, von Migrantinn­en, Lesben, bisexuelle­n, Transfraue­n und vielen weiteren angehen müssen. Dabei ist CEDAW nicht nur für Staaten, sondern auch Unternehme­n bindend.

Auf der Bühne der Berliner Festverans­taltung war indes von Vielfalt wenig sichtbar. Jedenfalls saß keine Schwarze, keine Arbeiterin, Landfrau oder unter 30-Jährige auf dem Podium. Ein Sprecher des Bundesfrau­enminister­iums erklärte gegenüber »nd«, Intersekti­onalität habe bei der Vorbereitu­ng eine wichtige Rolle gespielt. Doch bei der Besetzung der Podien sei allein auf »fachliche Kriterien« geachtet worden.

Gleichstel­lung in allen Lebensbere­ichen und die »Eliminieru­ng« jeglicher Benachteil­igung aufgrund des Geschlecht­s ist Ziel der Frauenrech­tskonventi­on der Vereinten Nationen, kurz CEDAW. Wie weit die Welt von der Verwirklic­hung entfernt ist, zeigt ein am Dienstag veröffentl­ichter Bericht.

»Die Quotendeba­tte seit den 1980er Jahren krankt daran, dass das Abkommen nicht ernst genommen wird.«

Beate Rudolf, Direktorin des Deutschen Instituts für Menschenre­chte

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Foto: AFP/Patrick Baz/Abaad »Nicht deine Ehre«, ist auf dem Tuch zu lesen, mit dem diese Libanesin während einer Protestakt­ion gegen Gewalt an Frauen am 7. Dezember in Beirut ihr Gesicht verhüllt.

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