Seehofer rüstet Verfassungsschutz auf
Bundesinnenminister verspricht verstärkten Kampf gegen gewaltbereite Rechtsradikale
Nach offiziellen Zahlen leben mehr als 12 000 gewaltbereite Rechtsradikale in Deutschland. Deswegen wird das Personal beim BKA und beim Verfassungsschutz aufgestockt.
Die Sicherheitsbehörden des Bundes werden voraussichtlich 600 zusätzliche Stellen zur Bekämpfung des Rechtsradikalismus bekommen. Das kündigte Bundesinnenminister Horst Seehofer am Dienstag in Berlin an. Die neuen Stellen sollen je zur Hälfte beim Bundeskriminalamt (BKA) und beim Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) eingerichtet werden.
Damit reagiert das Ministerium auf den rechten Terror der vergangenen Jahre. Mit Blick auf die Taten des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU), den Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU) und den Anschlag auf die
Synagoge in Halle sprach Seehofer von einer »hässlichen Blutspur«. Inzwischen gehe die Hälfte der politisch motivierten Körperverletzungen auf Rechtsextremisten zurück, sagte der CSU-Politiker. Der Bundestag hat die Finanzmittel für die zusätzlichen Stellen bewilligt.
Seehofer will offenbar auch den öffentlichen Dienst verstärkt auf mögliche Rechtsradikale überprüfen lassen. Er dringt auf einen raschen Aufbau der geplanten »Zentralstelle zur Aufklärung rechtsextremistischer Umtriebe im öffentlichen Dienst« beim Verfassungsschutz.
Bei der Vorstellung des Konzepts waren auch BKA-Präsident Holger Münch sowie Verfassungsschutzchef Thomas Haldenwang anwesend. Münch wies darauf hin, dass auch Gewalt und Propagandadelikte zunehmen würden. Neben Ausländern und politischen Gegnern stünden auch Mandatsträger und Befürworter einer liberalen Flüchtlingspolitik immer mehr im Fokus. »Bedrohungen im Netz und Gewalttaten schaffen zunehmend ein Klima der Angst, auf das es zu reagieren gilt«, so Münch.
Die Grünen zweifelten die Zahlen an, die von den Sicherheitsbehörden zu Rechtsradikalen vorgelegt wurden. »Ob es bei den mehr als 12 000 gewaltbereiten Rechtsextremen nach wie vor lediglich 48 Gefährder in Deutschland geben soll, ist sehr fragwürdig und bedarf einer neuen Überprüfung«, sagte die Grünen-Bundestagsabgeordnete Irene Mihalic der Nachrichtenagentur AFP. Die Zahl 48 war von den Sicherheitsbehörden der Länder genannt worden. Auch Holger Münch hatte angekündigt, die Angaben zu den Gefährdern, denen jederzeit eine Straftat zugetraut wird und die entsprechend überwacht werden, überprüfen zu wollen.
Dass der »Flügel« der AfD sowie die Junge Alternative nun vom Bundesamt für Verfassungsschutz und von den Landesämtern nicht mehr nur als Verdachtsfall behandelt, sondern als rechtsextrem erfasst werden, spiegele die Realität dieser Gruppierungen wider, erklärte Mihalic. Sie forderte außerdem eine Stärkung der wissenschaftlichen Analysefähigkeiten bei den Behörden, »damit man im Bereich Rechtsextremismus nicht weiter im Dunkeln tappt«.
Das Bundesinnenministerium hat Pläne zur Bekämpfung des Rechtsradikalismus vorgelegt. Doch Zweifel sind angebracht, dass diese Maßnahmen von Erfolg gekrönt sein werden.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) hat sich bei der Bekämpfung von rechtsradikalen Umtrieben keinen guten Namen gemacht. Nach Bekanntwerden der Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) wurden im November 2011 Akten zu V-Männern aus der rechtsradikalen Szene geschreddert. In der Folgezeit wurde bekannt, dass sich im Umfeld des NSU zahlreiche V-Männer und V-Frauen tummelten.
Nun soll nach den Plänen von Bundesinnenminister Horst Seehofer neben dem Bundeskriminalamt auch das BfV personell aufgerüstet werden, um verstärkt gegen gewaltbereite Rechtsradikale vorzugehen. Kein Wunder, dass angesichts dieser Pläne bei linken Experten Skepsis herrscht. Der stellvertretende Linksfraktionschef André Hahn nannte das BfV am Dienstag »nicht problemfrei«.
Zwar werde es höchste Zeit, dass die Bundesregierung die wirksame Bekämpfung von Rechtsextremismus in den Sicherheitsbehörden und ebenso von Hasskriminalität im Internet aufnehme. Doch Hahn kritisierte zugleich, dass Seehofer weit über das Ziel hinausschieße, »wenn er das Bundesamt für Verfassungsschutz in einen Staatsschutz für den öffentlichen Dienst verwandelt und das Bundeskriminalamt mit der Überwachung des Internets beauftragt«.
Geplant ist nämlich eine »Zentralstelle zur Aufklärung rechtsextremistischer Umtriebe im öffentlichen Dienst«, getragen durch den Inlandsgeheimdienst. Diese sei ebenso unsinnig und gefährlich wie eine »Zentralstelle für Hasskriminalität«, mit der das BKA die Befugnis zur Überwachung der Internetkommunikation der Bürgerinnen und Bürger erhält, indem Diensteanbieter vermeintlich oder tatsächlich problematische Kommunikationsinhalte automatisiert weiterleiten müssen, monierte Hahn.
Doch nicht nur die Methoden und das Personal der Behörden stehen in der Kritik. Fraglich ist auch, ob die geplanten Maßnahmen dem Bewusstsein vom wahren Ausmaß der rechtsradikalen Gefahr geschuldet sind. Inzwischen ordnet der Verfassungsschutz in Bund und Ländern mehr als 32 200 Bürger dem rechtsextremen Spektrum zu. Das ist mehr als ein Drittel im Vergleich mit dem Jahr 2018. Das bedeutet aber nicht, dass die Szene auf einmal gewachsen ist. Nach einem Bericht des »Tagesspiegels« heißt es in Sicherheitskreisen, der Hauptgrund für die gestiegene Zahl sei, dass der Verfassungsschutz erstmals die Mitglieder der AfD-Vereinigungen »Der Flügel« und »Junge Alternative (JA)« dem rechtsextremen Spektrum zurechnet. Beim »Flügel« komme der Geheimdienst
auf 7000 Personen, bei der JA auf mehr als 1000. Wichtige Vertreter des »Flügels« sind der Brandenburger AfD-Chef Andreas Kalbitz und der Thüringer Frontmann Björn Höcke.
Merkwürdig ist, dass in Sicherheitskreisen zwar von 12 000 gewaltbereiten Rechtsradikalen die Rede ist, aber von lediglich 48 sogenannten Gefährdern, die von der Polizei überwacht werden. Zum Vergleich: Im
September dieses Jahres hatte die Polizei bundesweit 688 Personen als islamistische »Gefährder« registriert.
Auch in den Sicherheitsbehörden hatte es immer wieder Verdachtsfälle wegen Rechtsradikalismus gegeben. Sowohl der Verfassungsschutz als auch der Bundesnachrichtendienst hatten nach eigenen Angaben in Einzelfällen disziplinarische Ermittlungen eingeleitet. Bei der Bundespolizei wurden im Jahr 2018 gegen acht Beamte Disziplinarverfahren im Zusammenhang mit einer möglichen Zuordnung zur »Reichsbürgerszene« eröffnet. Der Militärische Abschirmdienst hat nach eigenen Angaben Erkenntnisse über 30 Personen bei der Bundeswehr, denen er» fehlende Verfassung streue« zuschreibt. Der Verfassungsschutz will zu Beginn des nächsten Jahres ein Lagebild zu rechter Gesinnung im Staatsdienst vorlegen.
In den vergangenen Monaten war auch wegen möglicher rechtsradikaler Netzwerke in der Bundeswehr ermittelt worden. Der Verein Uniter, den der im September aus der Bundeswehr ausgeschiedene André S. mit gegründet hatte, wurden ach eigenen Angaben 2010 aus zwei Netzwerken für Kommando einheiten der Bundeswehr und Polizei sowie einer Gruppe aus dem europäischen NATO-Kommando Shape gegründet. Der Vereinst ehtnachdi versen Medien recherchen unter Rechtsradikalismus verdacht. Die Union hatte bisher nicht geplant, gegen Uniter vorzugehen. Vielmehr konnte etwa der sachsen-an haltischeC DU-Kommunalpolitiker RobertMöritz lange Mitglied des Vereins sein. Erteilte erst kürzlich und auf öffentlichen Druck seinen Austritt mit.
»Seehofer schießt weit über das Ziel hinaus, wenn er das Bundesamt für Verfassungsschutz in einen Staatsschutz für den öffentlichen Dienst verwandelt.«
André Hahn, LINKE