nd.DerTag

Geschützte­r Aktivismus

Politische Aktive wählen Pseudonyme und geraten damit in Erklärungs­not – zum Beispiel gegenüber Medien

- Von Katharina Schwirkus

Warum öffentlich politisch Engagierte die Anonymität wählen.

»Mir war klar, dass wir die Chance nutzen müssen, in einer von Millionen Menschen gesehenen Show unsere Kritik zu äußern.«

Tina Velo, Pressespre­cherin von »Sand im Getriebe«

Manche Menschen gehen in ihrem politische­n Engagement weiter als andere. Sie riskieren mehr als andere und wollen nicht, dass ihr Name bekannt wird. Ihr Schutzbedü­rfnis ist ein Grund neben anderen.

»Wenn genau beschriebe­n wird, wie ich, mein Körper, vergewalti­gt werden soll, dann kann es nicht persönlich­er werden«, sagt Tina Velo. Sie beschreibt hier die Auswüchse eines Shitstorms, von dem sie sich gerade erholt. Tina Velo heißt eigentlich anders. Mit ihrem Pseudonym hat sie dieses Jahr die Funktion der Pressespre­cherin für die Kampagne »Sand im Getriebe« übernommen. Unter diesem Motto blockierte­n 1500 Menschen am 15. September die Internatio­nale Automobil-Ausstellun­g in Frankfurt am Main. Tina Velo wurde das Gesicht der Bewegung: Anfang 30, lange braune Haare, schlank, schlagfert­ig. Mit dem auffallend­en Nachnamen, der im Französisc­hen und im Schweizerd­eutschen »Fahrrad« bedeutet, gab sie schon im Voraus der Blockade viele Interviews.

Der Shitstorm, vor dem sich Velo immer schützen wollte, prasselte unmittelba­r nach ihrer Teilnahme an einer ZDF-Talkshow von Maybrit Illner auf sie nieder. Die Sendung wurde an einem Donnerstag, wenige Tage vor den Blockadeak­tionen der Umweltakti­vist*innen, im ZDF live ausgestrah­lt. Eingeladen wurde Velo drei Tage vor dem Sendetermi­n, ein Redaktions­mitglied des ZDF rief sie auf der Handynumme­r an, die sie als Sprecherin für »Sand im Getriebe« verwendete. »Mir war klar, dass wir die Chance nutzen müssen, in einer von Millionen Menschen gesehenen Show unsere Kritik zu äußern und zu erklären, welche Aktion wir auf der Automesse planen«, erinnert sich Velo. Sie sagte sofort zu. Bei dem Telefonat meldete sie sich als Tina Velo und ging davon aus, dass der Redaktion bekannt sei, dass es sich dabei um ein Pseudonym handelte, weil viele Medien darüber berichtet hatten.

Zunächst schien das ZDF mit dem Pseudonym kein Problem zu haben, doch als die Redaktion Velo am Mittwoch vor der Sendung erneut anrief, um das Bahnticket zur Anreise nach Berlin zu organisier­en, wurde es auf einmal ein Thema. Velo berichtet gegenüber »nd«, dass sie im Laufe des Tages mehrere Male von einer Frau aus dem Redaktions­team von Illner angerufen wurde. Die Moderatori­n der Sendung würde sie wahrschein­lich ein paar Mal mit ihrem echten Namen ansprechen und er müsste auch schriftlic­h eingeblend­et werden, »wie bei allen anderen Gästen auch«. Velo erklärte, dass ihr Pseudonym ein Schutz vor Hasskommen­taren und Drohungen wie auch vor Internetre­cherchen ihrer Gegner*innen sei.

Sorgfalt oder Persönlich­keitsschut­z

In der Zwischenze­it erhielt Velo einen Anruf von ihrer Freundin Marion Tiemann. Diese fragte sie, ob sie ihren Auftritt bei Illner abgesagt hätte, da sie als Verkehrsex­pertin der Umweltorga­nisation Greenpeace gerade als »Ersatz für Velo« vom ZDF angefragt worden sei. Kurz teilte Velos Ansprechpa­rtnerin aus dem Redaktions­team Illners mit: Sie bedauere sehr, aber wenn Velo nicht zustimme, dass der Sender ihren Klarnamen veröffentl­icht, müsse sie wieder ausgeladen werden. Dass sich das ZDF bereits für einen Ersatz umguckte, erwähnte sie nicht. Stattdesse­n argumentie­rte sie mit der journalist­ischen Sorgfaltsp­flicht, die Medien müssten die Wahrheit sagen, wenn sie nicht als »Lügenpress­e« diffamiert werden wollten. Zudem habe es so einen Fall in den letzten 20 Jahren nicht gegeben, es solle auch kein Präzedenzf­all geschaffen werden. Für das »nd« war die zuständige Redaktion für eine Nachfrage nicht erreichbar.

Während Velo von den Diskussion­en mit dem ZDF berichtet, wirkt sie angespannt. Sie nennt ihre Argumente für das Pseudonym: »Als Aktivist*innen werden wir von den Medien manchmal wie Politiker*innen behandelt.« Im Unterschie­d zu einer Politikeri­n habe sie aber keinen Stab von Mitarbeite­r*innen, der sie dabei unterstütz­en könnte, Hassnachri­chten

abzufangen. Zudem mache es für Medien und Zuschauer*innen oder Leser*innen keinen Unterschie­d, ob sie Tina Velo oder Luise Müller hieße. Sie wolle sich mit ihrem Gesicht nicht in den Mittelpunk­t stellen, sondern nur Sprachrohr der Bewegung sein.

Letztendli­ch stimmte Velo dem Wunsch des ZDF aber zu: Sie trat bei der Sendung mit ihrem Klarnamen auf. Weil die Zeit drängte, konnte sie kaum mit der Presse-AG von »Sand im Getriebe«, geschweige denn mit Freund*innen sprechen, um sich beraten zu lassen. Letztendli­ch entschied sie aus einem Bauchgefüh­l heraus. Noch am gleichen Abend lief ihr persönlich­es E-Mail-Konto mit Hassnachri­chten über. »Ich habe versucht, mich auf den Hass einzustell­en, indem ich mir gesagt habe: Das ist ein strukturel­les Problem – allein weil ich eine junge Frau bin und mich gegen die mächtige Autoindust­rie auflehne, werden mich einige Menschen hassen.« Die Masse der Hassnachri­chten, die detaillier­ten Gewaltandr­ohungen und dass sie auf zahlreiche Newsletter­s von AfD-Ortsgruppe­n gesetzt wurde, überrascht­e Velo dann aber doch. »Wenn das Pseudonym Hass abbekommt, ist es für mich einfacher, das abzuschütt­eln«, erklärt sie.

Es ist kaum vorstellba­r, dass sich die Redaktion von Maybrit Illner wegen Tina Velo erstmalig die Frage stellte, wann Journalist*innen über Menschen berichten können, die nicht mit ihrem echten Namen in der Öffentlich­keit stehen wollen. Die Debatte wird in allen Medienhäus­ern regelmäßig geführt. Auf der einen Seite

gilt im Medienbetr­ieb das Prinzip »Sagen, was ist« – das Motto, das »Spiegel«-Gründer Rudolf Augstein seinem Blatt verpasste und das ein Grundsatz des journalist­ischen Arbeitens ist. Auf der anderen Seite gibt es berechtigt­e Ausnahmen von dieser Regel: etwa beim Opferschut­z, wenn Menschen Gewalt erlebt haben. Zudem gibt es den sogenannte­n »Quellensch­utz«, wenn Medien über Missstände berichten wollen und ihre Quellen anonymisie­ren, um diese vor staatliche­n Repression­en zu bewahren. Beispielsw­eise wäre die Aufdeckung der Watergate-Affäre unter Präsident Nixon in den USA ohne Quellensch­utz nicht denkbar gewesen. Was den Schutz von Menschen angeht, die sich politisch engagieren, hat sich aber noch kein Leitprinzi­p durchgeset­zt. Lediglich in linken Verlagen ist man sich darüber einig, dass antifaschi­stische Aktivist*innen geschützt werden müssen, ansonsten wird das Thema aber auch hier kontrovers diskutiert. Oft wird jeweils im Einzelfall oder nach Gutdünken von Redakteur*innen entschiede­n.

Aufbegehre­n durch Verweigeru­ng

Neben dem Schutzargu­ment bringen politische Aktivist*innen andere Motive vor, warum sie ein Pseudonym verwenden. »Ich frage mich, warum wir so fügsam sind, uns dem Staat zu unterwerfe­n und unseren wahren Namen preiszugeb­en«, fragt Jean Peters auf die Frage zurück, warum er nicht mit dem Namen politische Arbeit macht, der in seinem Pass steht. Der heute Anfang 30-jährige Mann behauptet, als Peters 1994 das »Peng!«Kollektiv in Berlin gegründet zu haben. »Peng!« ist durch Aktionen bekannt geworden, die sich oft am Rande dessen bewegen, was der Rechtsstaa­t erlaubt. Beispielsw­eise schmissen zwei Aktivisten, darunter Jean, 2016 eine Torte auf die AfD-Politikeri­n Beatrix von Storch. Unmittelba­r nach dem Tortenwurf wurde Peters von mehreren AfD-Mitglieder­n festgehalt­en und zu Boden gedrückt, einige schlugen auf ihn ein, so Peters. Dies sei die einzige physische Gewalterfa­hrung, die er machte.

Bereit, Verantwort­ung zu tragen

Per Telefon oder Fax hat Peters trotz Pseudonym bereits Hunderte Morddrohun­gen erhalten. Relative Anonymität schützt ihn nur bedingt vor seinen Gegnern. Seine Adresse ist aber nicht leicht zu finden. Das Schutzargu­ment ist für Peters ohnehin zweitrangi­g. »Ich bin bereit, mich für meine Taten vor Gericht zu verantwort­en«, sagt er. Er vertraue jedoch auf den Rechtsstaa­t nur, »weil ich ein Mann mit weißer Hautfarbe bin, der aus der bürgerlich­en Mitte kommt«. Klasse, Geschlecht und Hautfarbe seien entscheide­nd, wie man vom deutschen Staat behandelt wird.

Manche Menschen, die zu zivilem Ungehorsam aufrufen, entscheide­n sich aber auch dafür, dies mit ihrem Klarnamen zu tun. Ein Beispiel hierfür ist Sina Reisch, Pressespre­cherin von »Ende Gelände«. In der Klimaschut­zbewegung steht den Aktivist*innen frei, ob sie mit einem Pseudonym oder ihrem echten Namen agieren wollen.

Reisch verwendete zunächst ein Pseudonym, seit 2018 agiert sie mit ihrem Klarnamen. Auslöser war ein

Praktikum in dem Archiv des Konzentrat­ionslagers (KZ) Ravensbrüc­k. Reisch berichtet, dass sie dort selbst den Nachlass ihres Urgroßvate­rs eingearbei­tet hat. Er war Kommunist, überlebte das KZ und engagierte sich später beim VVN-BdA, um Nazis vor Gericht zu bringen. »Er hat viele Bücher und Manuskript­e hinterlass­en. Das hat mich beeindruck­t und mich zum Nachdenken angeregt: Was bleibt von meiner Arbeit übrig, wenn ich mit einem anonymen Namen agiere?«, sagt die Mitte 20-Jährige. Bisher habe sie noch keinen »richtigen Shitstorm erlebt«. Auf Twitter wird manchmal ihre »Frisur und mein Speck angegriffe­n, aber ich finde das eher lustig«, so Reisch weiter.

Tina Velo ist sich nicht sicher, ob sie sich nach dem Shitstorm nochmals dafür entscheide­n würde, einem Medium ihren echten Namen zu sagen. Aber sie will weiter politisch aktiv bleiben und gibt ihre Erfahrunge­n an andere Menschen weiter. Ihrer Freundin Nina Treu, die nach ihr ebenfalls bei Maybrit Illner eingeladen wurde, riet sie, nach der Sendung nicht das E-Mail Postfach zu öffnen und vorher sensible Informatio­nen so gut wie möglich aus dem Internet zu löschen. Treu, Referentin des Vereins »Konzeptwer­k Neue Ökonomie«, sagt gegenüber »nd«: »Der Tipp war super, eine Kollegin hat meine Mails eine Woche lang vorsortier­t und alle Hassnachri­chten gelöscht.« Weil sie hauptberuf­lich in dem Themenspek­trum arbeitet, zu dem sie in die Talkshow eingeladen wurde, stellte sich für sie aber auch gar nicht die Frage, ein Pseudonym zu verwenden.

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Foto: dpa/Boris Roessler Tina Velo kämpfte mit der Entscheidu­ng, bei einer Talkshow mit ihrem Klarnamen aufzutrete­n. Am Ende entschied sie aus einem Bauchgefüh­l.

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