Berliner Verkehrskrise
Neue Bündnisse für mehr Angebot und stabilen Betrieb bei der Bahn
Mehr Schiene, weniger Auto: Der Senat steht in der Kritik.
Spätestens seit der Klimadiskussion ist die Eisenbahn kein Randthema mehr. Das bekommt auch die Berliner Verkehrssenatorin Regine Günther (Grüne) immer deutlicher zu spüren.
Verkehrssenatorin Regine Günther (Grüne) bekommt am Mittwoch Besuch. Um fünf vor 12 will ein Bündnis aus Umweltverbänden, Gewerkschaften und den »Students for Future«, studentischen Unterstützern der »Fridays for Future«, vor dem Verwaltungssitz der Senatorin am Köllnischen Park demonstrieren. Es geht um die vom Senat bereits beschlossene Ausschreibung der S-Bahn-Teilnetze Stadtbahn und Nord-Süd.
Der Gewerkschaftsbund DGB, die Umweltverbände BUND und Naturfreunde und auch die studentischen Klimaretter haben Sorge, dass durch die Kleinteiligkeit der Ausschreibung und die möglicherweise daraus resultierenden Schnittstellen kein sicherer und stabiler S-Bahnbetrieb möglich sein wird. Die Beteiligten sehen durchaus die schon jetzt vorhanden Schnittstellenprobleme durch die Aufteilung der Zuständigkeit auf verschiedene Unternehmen des BahnKonzerns. »Dieses Problem wird aber durch die Aufteilung auf mehrere Betreiber nicht kleiner, sondern größer – und damit auch die Störanfälligkeit«, heißt es im Aufruf.
Auch der verpflichtende Bau einer neuen S-Bahn-Werkstatt wird kritisiert. »Wir gehen nach Erfahrungswerten von etwa 350 Millionen Euro Kosten aus«, sagt Robert Seifert, Vorsitzender der Betriebsgruppe S-Bahn Berlin der Gewerkschaft EVG. Die Verkehrsverwaltung schätzt die Kosten derzeit auf etwa 80 Millionen Euro. Der Gewerkschafter freut sich, dass die Unterstützung für die EVG bereits in der Frühphase der Überlegungen zur Ausschreibung der S-Bahnteilnetze immer breiter geteilt wird. »Nachdem die Grünen nicht auf uns hören wollten, haben wir versucht mit ihren Umweltverbänden zu sprechen«, so Seifert. SPD und LINKE kritisieren die mögliche Zersplitterung bereits seit Längerem, haben sich in der Koalition mit den Grünen auf den
Kompromiss verständigt, dass weiterhin ein Angebot aus einer Hand möglich sein soll.
Bis spätestens diesen Mittwoch sollte nach dem Willen der Berliner Verkehrssenatorin auch die Brandenburger Landesregierung der S-Bahn-Ausschreibung zustimmen. Davon ist bisher nichts bekannt.
Mehr Tempo für den Schienenwegeund Angebotsausbau in der Region will das neue »Bündnis Schiene Berlin-Brandenburg« machen. Über 20 Verbände, darunter der Deutsche Bahnkundenverband, der ökologisch orientierte Verkehrsclub Deutschland, Bürgerinitiativen, aber auch die Industrie- und Handelskammer
Cottbus, die Fachgemeinschaft Bau sowie die Grünen und die LINKE in beiden Ländern gehören dazu. Für die SPD ist nur deren verkehrspolitischer Sprecher im Berliner Abgeordnetenhaus dabei.
»Die Mobilitätswende in der Region spürbar voranzubringen, ist eine große Aufgabe und erfordert die gegenseitige Unterstützung aller Akteure«, sagt Katina Schubert, Berliner Landesvorsitzende der LINKEN zur Gründung des Bündnisses. »Unser Ziel ist klar: eine deutliche Entlastung der vielen pendelnden Menschen in unserer Region«, so Schubert weiter.
Das Bündnis fordert eine Vervierfachung des Angebots im Regionalverkehr,
um die »erforderliche Verkehrswende« ernsthaft umsetzen zu können. »Linien im Stundentakt müssen damit zukünftig im 15-MinutenTakt bedient werden. Dies erfordert einen massiven Ausbau der Infrastruktur und Erhöhung der Zugbestellungen«, heißt es in einem Konzeptpapier, das zur Gründung im November erarbeitet worden ist. Die bisher vollzogenen Schritte der beiden Bundesländer im Regional- und S-Bahnverkehr »stellen zwar einen begrüßenswerten Anfang dar, bleiben aber weit hinter den Erfordernissen zurück«, heißt es im Papier.
Die Mitstreiter des Bündnisses haben ein Konzept für kurz- und mittelfristige Maßnahmen erarbeitet, um den Schienenverkehr deutlich auszuweiten. Sie fordern unter anderem, derzeit nicht genutztes Rollmaterial aus anderen Regionen zusammenzuziehen, um bereits im nächsten Jahr auf dem RE1 (Frankfurt (Oder) – Berlin – Magdeburg) Engpässe zu reduzieren. Immerhin wurde inzwischen, wie vom Bündnis gefordert, die Option für zusätzliche vierteilige Triebzüge für den RE1 gezogen, die ab der geplanten Betriebsübernahme durch die ODEG von der Deutschen Bahn im Dezember 2022 in der Hauptverkehrszeit fahren sollen.
»Wir brauchen mehr Transparenz bei i2030«, fordert Andreas Schaack von der IG Nahverkehr der Berliner LINKE. Hinter dem Kürzel verbirgt sich die Initiative, mit der Berlin und Brandenburg den Ausbau der Schieneninfrastruktur beschleunigen wollen. Spannend wird es, wie stark die neue Brandenburger Landesregierung den Ausbau forciert. Immerhin hat der zuständige CDU-Staatssekretär Rainer Genilke als verkehrspolitischer Sprecher seiner bis vor Kurzem noch oppositionellen Fraktion sich stark für die Schiene ins Zeug gelegt.
»Unser Ziel ist klar: eine deutliche Entlastung der vielen pendelnden Menschen in unserer Region.«
Katina Schubert, LINKE