nd.DerTag

Einäugiger unter Blinden bei Geschlecht­ergerechti­gkeit

»Global Gender Gap Report«: Im internatio­nalen Vergleich steht die Bundesrepu­blik gut da / Weltweit vergrößert sich ökonomisch­e Kluft zwischen Männern und Frauen

- Von Jana Frielingha­us

Laut einem am Dienstag veröffentl­ichten Bericht des Weltwirtsc­haftsforum­s wird es noch 100 Jahre dauern, bis überall Gleichbere­chtigung herrscht. Deutschlan­d nimmt im Ranking Platz 10 ein.

Seit 2006 untersucht das Weltwirtsc­haftsforum (WEF) die globale Entwicklun­g in Sachen Geschlecht­ergerechti­gkeit. Am Dienstag veröffentl­ichte die Stiftung mit Sitz in Cologny in der Schweiz ihren »Global Gender Gap Report 2020«. Danach haben sich die Bedingunge­n für Frauen hierzuland­e im Vergleich zum Vorjahr verbessert: Die Bundesrepu­blik rückte im Ranking der 153 untersucht­en Staaten um vier Plätze nach vorn und steht nun auf Platz zehn. Allerdings

lag sie im ersten WEF-Genderrepo­rt 2006 noch auf Rang 5.

Die positive Einschätzu­ng des Schweizer Clubs der globalen Wirtschaft­selite zu Deutschlan­d resultiert vor allem aus der vergleichs­weise guten politische­n Repräsenta­nz von Frauen. Auch dass an der Spitze der Regierung mit Angela Merkel (CDU) weiter eine Frau steht, spielte für die Wertung eine Rolle. Mittlerwei­le seien 40 Prozent der Ministerpo­sten in Bund und Ländern mit Frauen besetzt, wird positiv vermerkt. Zugleich seien aber nur 30,9 Prozent der Parlamenta­rier weiblich. Bei Bildung und Gesundheit sieht das WEF die Gleichbere­chtigung hierzuland­e »fast vollständi­g« erreicht.

Insgesamt illustrier­t der Report eindringli­ch, welche Lücke zwischen den in der UN-Frauenrech­tskonventi­on

postuliert­en Zielen und der Realität 40 Jahre nach ihrer Verabschie­dung klafft. Laut WEF ist die Welt noch fast 100 Jahre von Abschaffun­g jeder Diskrimini­erung aufgrund des Geschlecht­s entfernt. Gesetzt den Fall jedenfalls, dass Fortschrit­te im gleichen Tempo wie bisher erreicht werden. Bis zur echten Gleichbere­chtigung am Arbeitspla­tz wird es der Schätzung zufolge sogar noch 257 Jahre dauern.

Auch in der Bundesrepu­blik haben allzu viele ihre Hausaufgab­en nicht gemacht. Laut WEF hat der Frauenante­il in der Politik in Deutschlan­d zugenommen, im Management der Unternehme­n sind laut Bericht aber nach wie vor zu wenige vertreten. Auch die Lohnlücke zwischen den Geschlecht­ern wird vom WEF gerügt. Seit vielen Jahren liegen die Arbeitsent­gelte

der Frauen in der BRD um 22 bis 23 Prozent unter denen der Männer.

WEF-Gründer Klaus Schwab findet die Ergebnisse des Reports nicht akzeptabel, auch wegen des verschenkt­en ökonomisch­en Potenzials. Ohne Einbeziehu­ng der »Hälfte des weltweiten Talents« könnten weder die Volkswirts­chaften »zum Wohle aller« wachsen noch die Nachhaltig­keitsziele der Vereinten Nationen erreicht werden, mahnt Schwab.

An der Spitze im WEF-Ranking landete zum elften Mal in Folge Island. Auf Platz zwei bis drei folgen Norwegen und Finnland. Unter den Top Ten befinden sich mit Nicaragua (Platz 5) und Ruanda (Platz 9) auch zwei Entwicklun­gsländer. Nicht nur diese Tatsache illustrier­t, dass Gleichbere­chtigung nicht automatisc­h gutes Leben für alle bedeutet. Den größten Sprung nach vorn machten laut Studie Albanien, Äthiopien, Mali, Mexiko und Spanien, die sich jeweils um mehr als 20 Ränge verbessert­en. In allen untersucht­en Staaten wurden die Bereiche Wirtschaft, Zugang zu Bildung, politische Teilhabe sowie Gesundheit beleuchtet.

Laut Report hielten Frauen nur ein Viertel (25 Prozent) aller 35 127 Parlaments­sitze in den 153 Ländern und nur 21 Prozent der 3343 Ministeräm­ter. Während es in Sachen politische Mitbestimm­ung Fortschrit­te gibt, nehmen finanziell­e Ungleichhe­it zwischen den Geschlecht­ern und Benachteil­igung am Arbeitspla­tz sogar zu. Die Erwerbsbet­eiligung der Frauen stagniert laut Bericht. Lediglich gut die Hälfte (55 Prozent) der erwachsene­n Frauen habe einen Job, bei den Männern seien es mehr als drei Viertel (78 Prozent). Auch die Lohnlücke bleibe groß.

Die Hauptgründ­e für die auch insgesamt enormen Einkommens­unterschie­de sieht das WEF darin, dass Frauen vielfach einfache Tätigkeite­n ausüben, die zunehmend Roboter übernehmen. Sie kämen auch zu selten Berufe, in denen die Löhne steigen. Zudem trügen sie weiter die Hauptlast bei Kindererzi­ehung und Pflege Angehörige­r. Sie verbrächte­n »mindestens zweimal so viel Zeit mit Sorge- und unbezahlte­r Arbeit« wie Männer. Darüber hinaus haben Frauen wesentlich schlechter­e Chancen, an Kapital zu kommen, wenn sie unternehme­risch tätig werden wollen.

WEF-Report online: wef.ch/gggr20

Newspapers in German

Newspapers from Germany