Permanent schlecht auf hohem Niveau
Laut dem arbeitgebernahen IW wurde die Kluft zwischen Arm und Reich seit Beginn der 2000er Jahre nicht größer
Seit Jahren boomt die Wirtschaft. Doch hat das die Ungleichheit nicht verringert. Stattdessen profitieren nur wenige vom Immobilienboom, während die Mehrheit unter steigenden Mieten leidet.
Geht es nach Michael Hüther, ist verteilungsmäßig alles gar nicht so schlimm. Der Direktor des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln ist nämlich der Meinung, dass die Vermögensschere hierzulande gar nicht auseinandergeht. »Die Vermögensverteilung ist natürlich auch beeinflusst durch das, was beispielsweise in der Finanzkrise passiert ist«, sagte er am Dienstag im Deutschlandfunk. Da gebe es aber keine großen Sprünge in die eine oder andere Richtung. »Wenn die Menschen glauben, es gibt eine permanente Verschlechterung, so ist das wenig begründet«, so Hüther.
Als Beweis für seine These führte der Ökonom eine neue Studie seines Instituts an. Demnach ist das Niveau der Vermögensungleichheit seit Beginn der 2000er Jahren im Wesentlichen konstant geblieben. So schwanke der sogenannte Gini-Koeffizient laut Studien der Bundesbank seit dem Jahr 2010 zwischen 0,74 und 0,76. Dabei gilt: je größer der Wert, desto größer die Ungleichheit. Bei einem Wert von null ist das Vermögen vollkommen gleich auf die Bevölkerung verteilt, bei einem Wert besitzt eine Person alles.
So ist der von Hüther und seinen Forschern konstatierte Wert des Gini-Koeffizients für andere Verteilungsforscher denn auch kein Grund zur Freude. »Allenfalls ist die große Vermögensungleichheit stabil hoch geblieben. Das ist nach einem Jahrzehnt mit starker wirtschaftlicher Entwicklung sicher kein Trend, mit dem man zufrieden sein kann«, sagt Verteilungsexpertin Dorothee Spannagel vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung. Ihr zufolge ist die Ungleichheit der Vermögen in Deutschland größer als in fast allen anderen Ländern der Eurozone. »Nach Litauen hat Deutschland die zweitgrößte Vermögensschere im Euroraum«, so Spannagel.
In Frankreich und Italien ist das Vermögen laut Zahlen der Credit Suisse mit einem Gini-Koeffizienten von 0,7 beziehungsweise 0,67 weitaus weniger stark konzentriert. Dabei geht die Schweizer Großbank auch von einer stärkeren Vermögenskonzentration als das IW aus. Sie hat für Deutschland einen Gini-Koeffizient von knapp 0,82 berechnet.
Gleichzeitig wird die Ungleichheit hierzulande häufig unterschätzt, weil Superreiche in den Statistiken meist nicht vorkommen. »Von den deutschen Milliardären findet sich beispielsweise kein einziger im ›Soziooekonomischen Panel‹, mit dem viele Forscher arbeiten«, sagt die Verteilungsexpertin in Bezug auf das SOEP, eine der wichtigsten Datensammlungen hierzulande.
Dieses Problem sehen indes auch die Forscher des IW. Doch relativieren sie es gleich wieder mit Verweis auf die jüngste Integration des Werts von Pkws und Studienkrediten in das SOEP. »Auch wenn die Top-Vermögen absolut deutlich größere Vermögenswerte darstellen dürften, ist der Effekt auf die gemessene Ungleichheit bemerkenswert ähnlich«, behaupten die arbeitgebernahen Ökonomen.
Worauf sie in ihrem Kurzbericht hingegen nicht eingehen, ist der Effekt des Immobilienbooms auf die Vermögen in Deutschland. Und der wirkt sich massiv auf die Verteilung aus, wie eine Studie von Forschern der Universität Bonn und dem Kölner Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung zeigt. So konnte sich das reichste Zehntel seit 2011 über Wertsteigerungen in Höhe von insgesamt 1,5 Billionen Euro freuen, während die Mehrheit der Gesellschaft unter steigenden Mieten leidet, weil sie keine Immobilien besitzt.
»Nach Litauen hat Deutschland die zweitgrößte Vermögensschere im Euroraum.«
Dorothee Spannagel, WSI