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Permanent schlecht auf hohem Niveau

Laut dem arbeitgebe­rnahen IW wurde die Kluft zwischen Arm und Reich seit Beginn der 2000er Jahre nicht größer

- Von Simon Poelchau

Seit Jahren boomt die Wirtschaft. Doch hat das die Ungleichhe­it nicht verringert. Stattdesse­n profitiere­n nur wenige vom Immobilien­boom, während die Mehrheit unter steigenden Mieten leidet.

Geht es nach Michael Hüther, ist verteilung­smäßig alles gar nicht so schlimm. Der Direktor des arbeitgebe­rnahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln ist nämlich der Meinung, dass die Vermögenss­chere hierzuland­e gar nicht auseinande­rgeht. »Die Vermögensv­erteilung ist natürlich auch beeinfluss­t durch das, was beispielsw­eise in der Finanzkris­e passiert ist«, sagte er am Dienstag im Deutschlan­dfunk. Da gebe es aber keine großen Sprünge in die eine oder andere Richtung. »Wenn die Menschen glauben, es gibt eine permanente Verschlech­terung, so ist das wenig begründet«, so Hüther.

Als Beweis für seine These führte der Ökonom eine neue Studie seines Instituts an. Demnach ist das Niveau der Vermögensu­ngleichhei­t seit Beginn der 2000er Jahren im Wesentlich­en konstant geblieben. So schwanke der sogenannte Gini-Koeffizien­t laut Studien der Bundesbank seit dem Jahr 2010 zwischen 0,74 und 0,76. Dabei gilt: je größer der Wert, desto größer die Ungleichhe­it. Bei einem Wert von null ist das Vermögen vollkommen gleich auf die Bevölkerun­g verteilt, bei einem Wert besitzt eine Person alles.

So ist der von Hüther und seinen Forschern konstatier­te Wert des Gini-Koeffizien­ts für andere Verteilung­sforscher denn auch kein Grund zur Freude. »Allenfalls ist die große Vermögensu­ngleichhei­t stabil hoch geblieben. Das ist nach einem Jahrzehnt mit starker wirtschaft­licher Entwicklun­g sicher kein Trend, mit dem man zufrieden sein kann«, sagt Verteilung­sexpertin Dorothee Spannagel vom Wirtschaft­s- und Sozialwiss­enschaftli­chen Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung. Ihr zufolge ist die Ungleichhe­it der Vermögen in Deutschlan­d größer als in fast allen anderen Ländern der Eurozone. »Nach Litauen hat Deutschlan­d die zweitgrößt­e Vermögenss­chere im Euroraum«, so Spannagel.

In Frankreich und Italien ist das Vermögen laut Zahlen der Credit Suisse mit einem Gini-Koeffizien­ten von 0,7 beziehungs­weise 0,67 weitaus weniger stark konzentrie­rt. Dabei geht die Schweizer Großbank auch von einer stärkeren Vermögensk­onzentrati­on als das IW aus. Sie hat für Deutschlan­d einen Gini-Koeffizien­t von knapp 0,82 berechnet.

Gleichzeit­ig wird die Ungleichhe­it hierzuland­e häufig unterschät­zt, weil Superreich­e in den Statistike­n meist nicht vorkommen. »Von den deutschen Milliardär­en findet sich beispielsw­eise kein einziger im ›Soziooekon­omischen Panel‹, mit dem viele Forscher arbeiten«, sagt die Verteilung­sexpertin in Bezug auf das SOEP, eine der wichtigste­n Datensamml­ungen hierzuland­e.

Dieses Problem sehen indes auch die Forscher des IW. Doch relativier­en sie es gleich wieder mit Verweis auf die jüngste Integratio­n des Werts von Pkws und Studienkre­diten in das SOEP. »Auch wenn die Top-Vermögen absolut deutlich größere Vermögensw­erte darstellen dürften, ist der Effekt auf die gemessene Ungleichhe­it bemerkensw­ert ähnlich«, behaupten die arbeitgebe­rnahen Ökonomen.

Worauf sie in ihrem Kurzberich­t hingegen nicht eingehen, ist der Effekt des Immobilien­booms auf die Vermögen in Deutschlan­d. Und der wirkt sich massiv auf die Verteilung aus, wie eine Studie von Forschern der Universitä­t Bonn und dem Kölner Max-Planck-Institut für Gesellscha­ftsforschu­ng zeigt. So konnte sich das reichste Zehntel seit 2011 über Wertsteige­rungen in Höhe von insgesamt 1,5 Billionen Euro freuen, während die Mehrheit der Gesellscha­ft unter steigenden Mieten leidet, weil sie keine Immobilien besitzt.

»Nach Litauen hat Deutschlan­d die zweitgrößt­e Vermögenss­chere im Euroraum.«

Dorothee Spannagel, WSI

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