Visegrad-Hauptstädte stellen sich gegen ihre Regierungen
Mit dem »Pakt freier Städte« setzen Bratislava, Budapest, Prag und Warschau auf EU-Integration statt auf Ausgrenzung
Die liberal geführten Hauptstädte der Visegrad-Staaten wollen sich gegen den Populismus und die EUFeindlichkeit in ihren Ländern und für mehr Demokratie und kulturelle Freiheit engagieren.
»Wir, die Bürgermeister von Bratislava, Budapest, Prag und Warschau, schützen und fördern unsere gemeinsamen Werte der Freiheit, Menschenwürde, Demokratie, Recht und soziale Gerechtigkeit, Toleranz und kulturelle Vielfalt.« Dies vereinbarten am Montag die Bürgermeister der Hauptstädte der Visegrad-Staaten, des informellen Bündnisses der vier osteuropäischen Staaten Slowakei, Ungarn, Tschechien und Polen, in Budapest. Die Erklärung, die auch ein deutliches Bekenntnis zur EU und deren Institutionen enthält, steht in offenkundigem Gegensatz zur Politik der Regierungen der Länder. Weder der rechtspopulistische Kurs der Regierungen Viktor Orbáns in Ungarn und der PiS in Polen noch die national-pragmatisch ausgerichtete Politik von Andrej Babiš in Tschechien oder von Peter Pellegrini in der Slowakei lassen sich mit den Forderungen der Bürgermeister vereinbaren.
Sie alle eint, dass sie in ihren Heimatländern in Opposition zu ihrer jeweiligen Regierung stehen. Sie erkennen an, dass die Probleme der Europäischen Union nur gemeinsam zu lösen sind. Nachhaltiges Wirtschaften, die Lösung sozialer Fragen und aktuell vor allem der Klimaschutz, so betont die Erklärung von Budapest, könnten nur mit und nicht gegen die EU gelöst und gestaltet werden.
Natürlich versprechen sich die vier Hauptstädte mit ihrem Engagement auch direkte Zuwendungen aus EUFördermitteln. Bislang werden diese Gelder zur Städteförderung auf nationaler Ebene verteilt. Mit ihrer Initiative wollen die vier osteuropäischen Hauptstädte nun direkt mit den Verantwortlichen in Brüssel verhandeln.
Doch nach ihren Verabredungen geht es vor allem um die Lebensbedingungen der Bürger, die in den Metropolen leben. So wollen die Städte ihre Erfahrungen, Vorstellungen und Pläne bei nachhaltiger Stadtplanung, sozialverträglicher Wohnungspolitik, Verkehrsplanung und Klimaschutz austauschen.
Die Politik der nationalen Regierungen hindere sie oft bei der Umsetzung solcher Ziele. Besonders Polen und Ungarn stehen wiederholt in der Kritik der EU-Behörden wegen mangelnder Einhaltung der internationalen Rechtsnormen. Dies wirke sich zum Nachteil auch auf die Entwicklungspolitik aus, sind die Bürgermeister überzeugt. Warschaus Stadtpräsident Rafał Trzaskowski nennt konkrete Nachteile für seine
Kommune: »Wir bekommen immer weniger Mittel aus den Steuergeldern, werden aber mit zusätzlichen Kosten belastet, zum Beispiel für die Reform des Schulwesens. Hinzu kommen Versuche, unsere Fähigkeiten, eine eigene Politik zu betreiben, zu begrenzen.« Trzaskowski, der frühere EU-Abgeordnete und Kandidat einer liberalen Bürgerplattform, hatte sich im November 2018 klar gegen den PiS-Kandidaten durchsetzen können, eine deutliche Schlappe für die Zentralregierung in Warschau.
Ähnlich siegte Gergely Karácsony in Budapest. Als Vertreter eines breiten Bündnisses von Sozialdemokraten bis hin zur rechts eingeordneten Jobbik-Partei setzte sich der Politikwissenschaftler und Angehörige der grünen »Dialog«-Partei deutlich gegen den von Viktor Orbán präferierten Fidesz-Kandidaten durch.
In Prag siegte der Arzt und »Pirat« Zdeněk Hřib gegen ANO, die Bewegung
des Regierungschefs Andrej Babiš. »Populismus ist eine irregeleitete und vereinfachende Antwort auf die Probleme«, sagte der 38-jährige Bürgermeister der Moldaumetropole.
Dies sieht auch der Architekt und Städteplaner Matúš Vallo so, der als unabhängiger Kandidat in das Amt des Ersten Bürgermeisters von Bratislava gewählt wurde. Hier in der Slowakei hatte der Populismus allerdings schon eine starke Schlappe erlitten. Zwar blieb die Partei Smer nach dem Rücktritt Robert Ficos als Premier – nach dem Mordanschlag auf den Enthüllungsjournalisten Ján Kuciak – unter Peter Pellegrini Regierungspartei, doch in den ebenfalls nach der Politkrise folgenden Präsidentenwahlen setzte sich die EU-freundliche Bürgerrechtlerin Susanna Čaputová durch. Zeichen, dass die Bürger der vier Städte nicht länger gewillt sind, die nationalistische Abgrenzungspolitik ihrer Regierungen mitzutragen.