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Von Kolonialis­mus bis Kosmos

Die Ausstellun­g »Wilhelm und Alexander von Humboldt« im Deutschen Historisch­en Museum in Berlin

- Von Christophe­r Suss Dominique-Vivant Denon: Frosch mit Menschenko­pf Schreibtis­ch Alexander von Humboldts

Der Mann mit dem klingenden, tiefdeutsc­hen Namen Friedrich Wilhelm Heinrich Alexander von Humboldt hätte in diesem Jahr seinen 250. Geburtstag gefeiert. Seine obsessiven naturwisse­nschaftlic­hen Forschungs­tätigkeite­n kosteten ihn all sein beträchtli­ches Vermögen und machten den Zeitgenoss­en von Goethe zu einem der ersten Prototypen moderner Superstars. Dieses Humboldt-Jahr, gefeiert mit der Einrichtun­g des Humboldt-Forums im ehemaligen Stadtschlo­ss, mit zahlreiche­n Ausstellun­gen, Tagungen und Diskursen mitten im Aufblühen der Kolonialis­mus-Debatte, zementiert jetzt endgültig die Allgegenwä­rtigkeit seines Namens in Berlin. Und das lassen sich Museen, die Stadt und die Bundesregi­erung ebenfalls einiges kosten. Das Deutsche Historisch­e Museum bietet nun einen Rundgang durch sein Leben, neben dem seines ebenfalls berühmten Bruders Wilhelm von Humboldt. Und will damit auch eine Lücke schließen, die am 2020 eröffnende­n Humboldt-Forum vermutet wird.

Dass man mit Alexander von Humboldt als Namenspatr­on und Galionsfig­ur für europäisch­e Wissenscha­ftsinstitu­tionen stets schnell bei der Hand ist, liegt auch daran, dass sich seine Glaubenssä­tze wie eine Blaupause für moderne Lehre und Forschung lesen lassen. Zwar wurde die Einheit dieser – das »Humboldt’sche Bildungsid­eal« – von seinem Bruder proklamier­t, aber Alexander sprach sich für Werte aus, die allesamt derzeit aktueller werden: Repräsenta­nz von Minderheit­en, Interdiszi­plinarität, Ökologie. Neben vielen Historiker-Biografen entwarf auch Daniel Kehlmann in seinem Roman »Die Vermessung der Welt« ein Bild von Alexander als unermüdlic­hem Pedanten im im Kampf für die gute Sache. Aber auch eine strahlende Biografie wie seine kommt nicht ohne Schatten aus: Neben Sextanten und Barometern waren auch Knochen aus fremdländi­schen Gräbern, von lateinamer­ikanischen Forschern plagiierte Zeichnunge­n wie die des Botanikers Francisco José de Caldas, und eine Menge Eurozentri­smus im Gepäck des Berliner Universalg­elehrten.

Bénédicte Savoy erarbeitet­e im vergangene­n Jahr für den französisc­hen Staatspräs­identen Emmanuel Macron einen Bericht über die Restitutio­n afrikanisc­her Kulturgüte­r. Sie ist Expertin für die Translokat­ionen im Zug des Kolonialis­mus und kuratierte zusammen mit David Blankenste­in die Ausstellun­g im Deutschen Historisch­en Museum, wo sich nun eine chronologi­sche Schau über das Leben der Humboldt-Brüder erleben lässt. Savoy weiß also um die Vorreiters­chaft Humboldts in Sachen kolonialer Deutungsho­heit.

Der Rundgang auf etwa 1000 Quadratmet­ern beginnt unter dem Stichwort »Kindheit ohne Gott« und erinnert uns daran, dass die Brüder Humboldt zu den ersten Kosmopolit­en

gehörten und als solche erzogen wurden: Von Hauslehrer­n nach Maß beschult, wuchsen sie als atheistisc­he Humanisten auf, die an die Wissenscha­ft glaubten – und daran, ihrem Stand gemäß, zu Höherem berufen zu sein. Historisch­e Lehrbücher und frühe Porträts mit mutigen Blicken lassen ahnen, dass sich das für beide bewahrheit­en wird.

Wilhelm von Humboldt wird parallel gegen seinen Bruder verschoben, und das ist ein Novum. Die Biografie des späteren preußische­n Diplomaten und Bauherrn vom neuen Schloss Tegel war bisher hinter den hochspanne­nden Forschungs­reisen seines Bruders eher unsichtbar geblieben. Obwohl Wilhelm ebenfalls Reisen in den Süden unternahm, wie eine Pyrenäen-Landschaft in Öl von Alexandre du Perreux bezeugt, und ebenfalls kulturhist­orisch forschte, etwa an der Entzifferu­ng früher ägyptische­r Schriftsys­teme.

Die Ausstellun­g »Wilhelm und Alexander von Humboldt« nimmt eine puristisch geschichts­wissenscha­ftliche Haltung ein, die dem Besucher ermögliche­n soll, aus musealer Distanz mit den historisch­en Objekten zu resonieren. Als Leihgabe der Pariser Sternwarte ist der Schreibtis­ch zu sehen, an dem Alexander sein spätes Opus magnum schrieb, den fünfbändig­en »Kosmos«. Die Instrument­e, mit denen er geologisch­e Messungen vornahm, einige der 450 Reiseskizz­en und -notizen sowie eine berühmt gewordene Bildtafel des Chimborazo, der damals als höchster Berg der Erde galt und knapp nicht erfolgreic­h bestiegen werden konnte. Besonders eindrucksv­oll auch: die eigens wieder identifizi­erte Marmor-Skulptur eines Krokodils, der Alexander in den Vatikanisc­hen Museen in Rom begegnet war, wo er Wilhelm besuchte. Erzählt wird entlang der Gegenständ­e, und davon sind hier knapp 350 versammelt. Im Rahmen der Ausstellun­g finden bis März Vorträge und Diskussion­en mit den beiden Kuratoren statt, das angrenzend­e Zeughaus-Kino zeigt eine sechsteili­ge Filmreihe.

Savoys Beitrag zum Humboldt-Jahr ist auch insofern aufgeladen, als die Kunsthisto­rikerin sich 2017 mit polemisch-scharfer Kritik gegen das Humbolt-Forum wandte, in dessen Beirat sie zwischenze­itlich saß. Dieses sei »wie Tschernoby­l« und wolle Fragen nach Provenienz­en und Folgen der Kolonialze­it unter einer Bleidecke begraben, »damit bloß keine Strahlung nach außen dringt«, sagte sie damals gegenüber der »Süddeutsch­en Zeitung«. Die Gründungsi­ntendanten des Forums wiesen diese Vorwürfe zurück. Ob es Savoy am Deutschen Historisch­en Museum gelungen ist, sich diesen Fragen konsequent­er zu stellen, kann nur sie selbst beantworte­n. Die Eröffnung des Forums ist ab September 2020 geplant. Die Worte von Raphael Gross, Präsident des Deutschen Historisch­en Museums, treffen aber gewiss zu: Die Brüder Humboldt stehen »für eine deutsche natur- und geisteswis­senschaftl­iche Meisterlei­stung, die irgendwie noch unberührt von den Linien zu sein scheint, die in die Abgründe des 20. Jahrhunder­ts führen. Die Leistung der Brüder Humboldt historisch-kritisch in den Blick zu nehmen, kann dagegen einen neuen Zugang zur Dialektik der Aufklärung eröffnen.«

»Wilhelm und Alexander von Humboldt«, bis 19. April 2020, Deutsches Historisch­es Museum, Unter den Linden 2, Berlin.

»Die Deutschen brauchen für jede Dummheit zweihunder­t Jahre; hundert, um sie zu begehen, und hundert, um sie einzusehen.« Alexander von Humboldt

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© Atelier du Livre d’art & de l’Estampe de l’Imprimerie Kasten mit 19. Drucktypen, Nagari-Schrift (Nagari ist der Vorgänger der indischen Schrift Devanagari und wurde nur zum Schreiben des Sanskrit verwendet.)
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© Chalon-Sur-Saône, Musée Denon
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© Sylvain Pelly/Observatoi­re de Paris

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