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Das schlechte Gewissen

Das Verbrechen als moralische Krise: Über die Kontinuitä­ten der NS-Justiz in der Serie »Der Kommissar«

- Von Tom Wohlfarth

Die Diskussion rund um #baseballsc­hlaegerjah­re erinnert daran, dass die faschistis­che Gefahr in Deutschlan­d stets virulent war, auch im Osten, wo sich die DDR als antifaschi­stischer Staat definiert hatte. Was von der DDR-Führung noch offiziell als »unpolitisc­hes Rowdytum« abgetan wurde, brach sich im ideologisc­hen Vakuum nach der Wende ungebremst Bahn.

Im Westen, wo es mit der NPD seit Mitte der 60er Jahre wieder eine offen faschistis­che Partei gab, die in mehrere Landtage einzog, war es die 68er-Generation, die die Gesellscha­ft der BRD mit ihrer Vergangenh­eit und

Für die NS-Justiz war entscheide­nder als die strafbare Handlung der ihr zugrunde liegende »böse« Wille.

deren Fortleben konfrontie­rte.

Doch es gab nicht nur die offensicht­liche, vor allem personelle Kontinuitä­t von NS-Strukturen in der Bundesrepu­blik, deren deutlichst­er Ausdruck im Jahr 1968 kein Geringerer war als der Bundeskanz­ler Kurt Georg Kiesinger. Noch weitaus einflussre­icher war, was man mit dem Historiker Raphael Gross »moralische« Kontinuitä­ten nennen könnte: Gross hat 2010 in seinem Buch »Anständig geblieben« die »nationalso­zialistisc­he Moral« und ihr Fortwirken in der BRD bis heute untersucht. Hinter den spezifisch­en Merkmalen wie Nationalis­mus, Rassismus und Antisemiti­smus ist diese Moral von einem extremen Partikular­ismus gekennzeic­hnet – sie gilt nur für bestimmte Gruppen, während andere explizit davon ausgeschlo­ssen werden.

Gross sieht Kontinuitä­ten einer solchen partikular­en Moral auch in aktuellen, vermeintli­ch kritischen

Auseinande­rsetzungen mit der Zeit des Nationalso­zialismus, etwa im Film »Der Untergang« von 2004. Doch auch abseits einer expliziten Thematisie­rung der NS-Zeit lassen sich solche Kontinuitä­ten in der Popkultur finden. Das macht nun Gross’ Schülerin Haydée Mareike Haass deutlich, in ihrer Arbeit zum Schaffen des vor allem als Krimiautor bekannten Herbert Reinecker. Was aus heutiger

Sicht wenig überrasche­n mag, da schon vor einigen Jahren der Sammelband »Reineckerl­and« ausführlic­h dessen SS-Karriere und deren Nachwirken in seinem Werk untersucht hat, war für das Publikum damals sicher weniger ersichtlic­h.

Der Schöpfer und alleinige Autor der ZDF-Krimiserie­n »Der Kommissar« (1968–1976) und »Derrick« (1973–1997) – dessen Hauptdarst­eller

Horst Tappert in derselben SS-Division war wie Reinecker, was 2013 bekannt wurde –, gab sich durchaus reumütig: Mit seinen ganz auf die moralische Perspektiv­e fokussiere­nden Krimis wollte er ein dezidiert »gewaltfrei­es« Gegenstück zu den »realistisc­hen« Filmen der »Stahlnetz«Reihe (1958–1968) und später des »Tatorts« (seit 1971) in der ARD liefern, für die von Anfang an galt: »Es muss geballert werden.« Die Reinecker-Kommissare Keller und Derrick dagegen konfrontie­ren ihre Täter nicht mit Waffen, sondern mit einem schlechten Gewissen.

Ihre Thesen präsentier­te Haass im Diffrakt, dem Zentrum für theoretisc­he Peripherie in den Räumen des Merve-Verlags in Berlin. Haass führte diese »moralische Perspektiv­e« der Reinecker-Krimis auf die Moralisier­ung des Strafrecht­s im Nationalso­zialismus zurück: Für die NS-Justiz sei entscheide­nder als die strafbare Handlung der ihr zugrunde liegende »böse« Wille gewesen. Für Keller und Derrick komme im Verbrechen immer zugleich eine moralische Krise zum Ausdruck, der gegenüber die Kriminaler als »moralische­r Kompass«, aber auch als autoritär erhöhtes Leitbild fungierten. Neben ihrer »allwissend­en« werden letztlich keine validen alternativ­en Perspektiv­en zugelassen.

So auch in der »Kommissar«-Episode »Die Schrecklic­hen« von 1969. Die Handlung ist schnell zusammenge­fasst: Ein Ertrunkene­r wird ausgeraubt am Münchner Isar-Stauwehr gefunden. Seine Spur führt zu einer Schwabinge­r Kneipe, deren Wirt zwar mit Hilfe seiner Freundin, einer Prostituie­rten, regelmäßig Gäste zu hohen Rechnungen animiert, doch Mord ist ihre Sache nicht. Als »zentrale Schuldpers­on« erweist sich der daueralkoh­olschwitze­nde Arbeitslos­e Wegsteiner: Aus Eifersucht hat er das betrunkene Opfer an die Isar geleitet, wo er den Mann allerdings nicht selbst getötet, sondern einer Gruppe kauziger Krawallren­tner zugeführt hat, die dort regelmäßig Betrunkene ertränken und ausrauben. Diese doch recht skurrile Konstellat­ion findet eine erstaunlic­he Perfidie darin, dass Wegsteiner, der nach geltendem Strafrecht

womöglich nicht einmal Beihilfe zum Mord geleistet hat und dem nach heutigen Drehbuchma­ßstäben sowohl seine soziale Stellung als auch seine emotionale Situation dramaturgi­sch mildernde Umstände gesichert hätten, hier geradezu als Hauptschul­diger in den Fokus gerät – während die Killeropas im moralische­n Urteil des Kommissars außen vor bleiben. Auffällig ist aber, dass sämtliche verdächtig­en Personen inklusive der Alten wohl nicht nur aus produktion­stechnisch­en Gründen im selben Häuserbloc­k wohnen, sondern auch demselben Milieu entstammen: einer zwielichte­n Halbwelt zwischen Gastgewerb­e und Prostituti­on, Arbeitslos­igkeit und »Rowdytum«, dysfunktio­nalen Familien und dem freien Geist der 68er, der in Gestalt der depressive­n Wirtstocht­er einen kurzen, denkwürdig­en Auftritt hat.

Anders als der »Tatort«, der die klischeeha­ften Milieu-Täter-Erwartunge­n oft dekonstrui­ert, werden sie hier genussvoll ausgekoste­t. Reinecker hat Stichworte wie »Ekel«, den etwa Wegsteiner­s Erscheinun­g erzeugen sollte, oft schon im Drehbuch vermerkt. Der von den Nazis ins Mordstrafr­echt eingeführt­e Begriff der »Heimtücke« war damals mit bestimmten Personengr­uppen assoziiert. Auch in »Der Kommissar« gilt, dass man den »Tätertypen« diesen Status auch ansieht. »Devianz als Delinquenz«, auf diese Formel brachte das Prinzip der im Publikum anwesende Autor Max Czolleck. Er betonte ebenfalls die historisch­e Einordnung des moralische­n Selbstvers­tändnisses des (klein-)bürgerlich­en Milieus der Kommissare, mit dem Reinecker eine integre Alternativ­e zwischen einer offenen Kontinuitä­t der Nazi-Gewalt und der freizügige­n Moral der 68er etablieren wollte: »Wir waren ja keine Nazis«, so lautete die Botschaft.

Das würden wir heute ganz anders sehen und gerade im kleinbürge­rlichen Milieu eine der Hauptträge­rschaften des Nationalso­zialismus verorten. Gerade jetzt, wo sich die extrem rechte AfD bevorzugt als »bürgerlich« bezeichnet, sind diese Zusammenhä­nge des Bedenkens wert, im Westen wie im Osten.

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Foto: Hans Gregor Der Kommissar (Erik Ode) als autoritär erhöhtes Leitbild

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