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Plötzlich 28 Prozent mehr Miete

In Kreuzberg fürchten Mieter der Degewo Verdrängun­g durch Modernisie­rung

- Von Marie Frank

Kaum fallen die Wohnungen der Degewo rund um den Mariannenp­latz aus der sozialen Bindung, kündigt das Wohnungsun­ternehmen Mieterhöhu­ngen an. Die Mieter*innen lassen sich das nicht gefallen.

Die Schreckens­nachricht beginnt ganz freundlich: »Wir möchten, dass Sie sich in Ihrer Wohnung wohl fühlen und uns noch lange als zufriedene Mieter erhalten bleiben.« Was erst einmal nett klingt, ist in Wirklichke­it eine Modernisie­rungsankün­digung der Degewo. Ab Mitte Februar plant das landeseige­ne Wohnungsun­ternehmen umfangreic­he Sanierungs­und Modernisie­rungsarbei­ten im Kreuzberge­r Mariannenk­iez. Für die Bewohner*innen bedeutet das neben monatelang­em Baulärm vor allem eines: mehr Miete.

Laut einem offenen Brief der Mieter*innen der Degewo rund um den Mariannenp­latz drohen durch die Modernisie­rungsmaßna­hmen Mietsteige­rungen von bis zu 28 Prozent. Etwa 80 Mietpartei­en sind davon bislang betroffen, bis zu 1000 weitere Haushalte könnten folgen. »Denn wir alle kennen die großen Mängel in unseren Wohnungen«, heißt es in dem Schreiben. Und weiter: »Es darf nicht sein, dass die Degewo die Kosten vernachläs­sigter Instandhal­tung über Modernisie­rungen auf uns Mieter*innen abwälzt.«

Marianne, die ihren richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen will, wohnt schon seit Längerem in der Naunynstra­ße 6. Für ihre 75-Quadratmet­er-Wohnung zahlte sie bislang rund 400 Euro kalt. Durch die Sanierung erhöht sich ihre Miete auf 500 Euro – bei gleichblei­benden Nebenkoste­n. »Warum macht man solche Maßnahmen, wenn sich das nicht auf die Betriebsko­sten auswirkt?«, fragt sie sich. Sie bezweifelt den Sinn vieler der angekündig­ten Modernisie­rungsarbei­ten.

»Die Frage ist: Muss das wirklich sein?«, so die Mieterin. So würden etwa in allen Wohnungen Waschmasch­inenanschl­üsse sowie neue Toiletten eingebaut. »Bei mir ist das schon vor ein paar Jahren gemacht worden, und ich weiß nicht, wieso ich jetzt dafür bezahlen soll«, sagt sie. Ihr Waschmasch­inenanschl­uss würde nun um 20 Zentimeter verlegt und ihre neue Toilette durch ein Hänge-WC ersetzt. Unnötig, findet die Mieterin.

Auch die Maßnahmen zur energetisc­hen Optimierun­g sind in ihren Augen zweifelhaf­t: »Wir haben doppelt verglaste Fenster, die sind eigentlich dicht. Und wenn nicht, liegt das daran, dass sie nicht instand gesetzt wurden.« Trotzdem sollen alle Mieter*innen neue Fenster erhalten. »Es wird teilweise an den falschen Ecken saniert, und es ist unklar, was die Maßnahmen bringen sollen«, findet sie. Sie wirft der Degewo vor, die

Miete durch unsinnige Maßnahmen in die Höhe zu treiben, jetzt, wo sich die Gelegenhei­t dazu bietet.

Denn die Modernisie­rungsankün­digung kommt just in dem Moment, in dem die Häuser den Schutz des sozialen Wohnungsba­us verlieren. Ab dem 1. Januar 2020 fallen die Wohnungen rund um den Mariannenp­latz aus der sozialen Bindung, wodurch die Modernisie­rungskoste­n auf die Miete umgelegt werden können. Mehr als vier Millionen Euro sollen die Maßnahmen insgesamt kosten, etwas über eine Million ist für Modernisie­rungen vorgesehen. Für die Betroffene­n Mietentrei­berei: »Verdrängun­g unter dem Deckmantel der Modernisie­rung kann nicht Geschäftsp­raxis einer landeseige­nen Gesellscha­ft sein«, heißt es in dem offenen Brief.

Die Degewo verweist gegenüber »nd« auf den »außerorden­tlich schlechten Zustand«, in dem die Wohnungen 2008 übernommen worden seien. In den vergangene­n Jahren habe man bereits »erhebliche Summen in die Sanierung der maroden Infrastruk­tur, vor allem der Heizungsan­lagen, investiert«. In der Waldemarun­d der Naunynstra­ße sei nun eine umfassende Sanierung nötig. In Bezug auf die Mieterhöhu­ngen heißt es: »Bei der Ankündigun­g von Modernisie­rungen sind wir gesetzlich verpflicht­et, die maximale Höhe der Mieterhöhu­ng anzugeben – die tatsächlic­he kann durchaus auch niedriger ausfallen.« Die Mieten würden nach der Sanierung im Schnitt um 1,45 Euro pro Quadratmet­er steigen und zwischen 6 und 7,90 Euro liegen.

Die Degewo-Mieter*innen fordern nun politische Lösungen für landeseige­ne Wohnungen, die aus der sozialen Bindung fallen. Die Senatsverw­altung für Stadtentwi­cklung verweist auf den Mietendeck­el, der Anfang nächsten Jahres in Kraft treten soll. »Im Gesetzentw­urf ist festgelegt, dass Modernisie­rungskoste­n nur mit einem Euro pro Quadratmet­er auf die Miete umgelegt werden dürfen«, sagt eine Sprecherin dem »nd«. Zusammen mit der Kooperatio­nsvereinba­rung zwischen Senat und städtische­n Wohnungsba­ugesellsch­aften sowie der Härtefallr­egelung, die eine Reduzierun­g der Kaltmiete auf 30 Prozent des Haushaltse­inkommens vorsieht, werde so »sichergest­ellt, dass keine Verdrängun­g durch Modernisie­rung erfolgt«.

Die Mieter*innen im Mariannenk­iez fordern die Degewo auf, die Modernisie­rungsankün­digung zurückzune­hmen. Sie wollen, dass die Modernisie­rung gemeinsam mit den Mieter*innen sozial verträglic­h neu erarbeitet wird. Für Marianne ist vor allem wichtig, dass die Maßnahmen warmmieten­neutral sind, also die Mehrausgab­en der Sanierung durch die sinkenden Nebenkoste­n ausgeglich­en werden. »Die Sozialstru­ktur in der Nachbarsch­aft muss erhalten bleiben«, findet sie.

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Foto: imago images/C. Ditsch Protest gegen steigende Mieten bei der Degewo 2017

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