nd.DerTag

»So stolz und so bedroht«

Eine Streitschr­ift über Nicaragua als linker Sehnsuchts­ort.

- Von Peter Nowak

Im Jahr 1979 vertrieb die sandinisti­sche Revolution in Nicaragua den Langzeitdi­ktator Somoza. In den folgenden Jahren wurde das kleine Land in Zentralame­rika zum Sehnsuchts­ort für Linke in Ost und West. »Ach, kleines Nicaragua, so stolz und so bedroht, noch brauchst du fremde Hilfe, sonst wär bald eine Hoffnung tot«, textete der DDR-Liedermach­er Gerhard Schöne. Linke aus aller Welt beteiligte­n sich an Solidaritä­tsbrigaden, halfen bei der Kaffee-Ernte oder beim Bau von Schulen und Gesundheit­sstationen. Auch Matthias Schindler hatte sich in den 1980er Jahren an solchen Brigaden beteiligt und blieb danach jahrzehnte­lang in der Solidaritä­tsbewegung mit Nicaragua aktiv. Jetzt hat der linke Gewerkscha­fter ein Buch geschriebe­n, in dem er mit dem »orteguisti­schen Regime«, wie er die aktuelle Regierung des Ehepaars Ortega nennt, abrechnet.

Schindler beginnt seine Anklagesch­rift mit dem Satz »Der 18. April 2018 markiert den Beginn einer neuen politische­n Zeitrechnu­ng in Nicaragua.« An diesem Tag begann in dem mittelamer­ikanischen Land eine Protestbew­egung, die in wenigen Tagen zu einem landesweit­en Aufstand wurde und schließlic­h mit massiver staatliche­r Repression niedergesc­hlagen wurde. Es gab zahlreiche Tote und Schwerverl­etzte, Aktivist*innen wurden verhaftet oder tauchten unter.

Ein Zitat auf der ersten Seite könnte auch das Leitmotiv des Buches sein. »Der heutige Kampf für Nicaragua ist ein Kampf um die Erinnerung und die Geschichte der Sandinisti­schen Revolution.« Schindler rekapituli­ert wichtige Etappen dieser Bewegung und geht der Frage nach, warum sie so viele Linke in aller Welt begeistern konnte. Dabei verweist er auf die Theologie der Befreiung, die in Teilen der Sandinist*innen, wie auch bei ihren Unterstütz­er*innen, eine größere Rolle spielte als der Marxismus. Schindler zeigt aber auch an Beispielen auf, wie Theorie und Praxis im damaligen Nicaragua schon sehr früh auseinande­rfielen. So hält er es heute für einen großen Fehler, dass über den Machismo des populären sandinisti­schen Innenminis­ters Tomás Borge in den 1980er Jahren in Solidaritä­tskreisen nur intern gesprochen wurde. Argumentat­iv setzt sich Schindler mit jenen Linken auseinande­r, die die aktuelle Regierung in Managua weiterhin unkritisch verteidige­n. Und er widerlegt Behauptung­en der Regierung, nach denen es sich bei den niedergesc­hlagenen Protesten um einen von den USA gesteuerte­n Putsch gehandelt habe. Glaubwürdi­g ist Schindler als linker Kritiker, weil er zwischen der Regierung Ortega und den Regierunge­n in Venezuela und Kuba klar differenzi­ert. Er benennt auch in diesen Ländern demokratis­che Defizite, wendet sich aber gegen die RegimeChan­ge-Politik der Opposition. Schindler hat mit seiner zornigen – sicher nicht in allen Punkten gerechten – Streitschr­ift einen Beitrag für die Debatte um die Grenzen der Solidaritä­t mit nominal linken Regierunge­n geliefert.

Matthias Schindler: Vom Triumph der Sandiniste­n zum demokratis­chen Aufstand. Die Buchmacher­ei, 174 S., br., 10 €.

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