Graswurzeln mit Revolutionspotenzial
Vetiver heißt ein bis zu drei Meter tief wurzelndes Gras aus Asien. In Peru soll es helfen, Erdrutschen vorzubeugen. Aber noch ist Überzeugungsarbeit notwendig.
Schon aus der Ferne ist der grüne Schimmer zwischen den Betonsäulen zu sehen. »Da drüben habe ich meine Station für Setzlinge«, erklärt Alois Kennerknecht mit einem Grinsen. Er weiß genau, dass niemand darauf kommen würde, in Villa El Salvador eine derartige Oase zu suchen. Zwei genau genommen, denn direkt gegenüber vom Garten der Schule »Los Caminantes« befindet sich die von Sträuchern umgebene Dependance des Wasserbetriebs Sedapal. Die beiden grünen Inseln muten wie Oasen in der Wüste an, denn Villa El Salvador ist ein von gräulich-beigen Sand, schnell hochgezogenen Backsteinbauten und Unrat dominiertes Armenviertel am Rande des Stadtzentrums der peruanischen Hauptstadt Lima.
Für Pflanzen haben die Leute hier zwar durchaus etwas übrig, aber Wasser ist chronisch knapp und teuer. Zudem wächst auf dem sandigen, staubigen Boden nur mit viel Engagement und eben Wasser etwas. Letzteres steht bei dem staatlichen Wasserunternehmen Sedapal reichlich zur Verfügung, und dort haben die Gärtner ein kleines Paradies mit Obstbäumen, Palmen und Sträuchern angelegt. Auf der anderen Seite sind hingegen vor allem buschige Gräser mit dicken Halmen zu sehen. »Vetiver heißt das Gras, ist genügsam, hält den Boden fest und ist eine echte Pionierpflanze«, erklärt Alois Kennerknecht.
Das buschige Süßgras, das ursprünglich aus den tropischen Regionen Nord-Indiens stammt, hat viele Facetten. Vetiveria zizanioides lautet der wissenschaftliche Name, und die robuste Pflanze wird in ihrer Herkunftsregion überall dort angepflanzt, wo es gilt Erosion zu vermeiden. Ursprünglich an feuchten Standorten in Nordindien, Bangladesch und Myanmar heimisch, ist das Süßgras mittlerweile in den meisten tropischen Regionen rund um den Globus als Kulturpflanze mit vielfachem Nutzen anzutreffen.
»Die Erfahrungen in Asien lassen sich auf Südamerika übertragen, und ich habe auch gute Erfahrungen mit Vetiver in Klärbeeten weiter oben in Villa El Salvador gemacht«, so Kennerknecht. Nachgewiesen ist auch, dass die meterlangen Wurzeln den Boden feucht halten und ihn auch bis zu einem gewissen Grad entgiften können. »Diese Eigenschaften machen das Gras für die gesamte Region interessant, denn hier gibt es von Abraumhalden des Bergbaus bis zu Hügeln und Berghängen, die bei viel Regen ins Rutschen kommen können, etliche Einsatzoptionen«, schildert der ehemalige Mitarbeiter der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) seine Erfahrung aus rund dreißig Jahren in Peru.
»Huaicos« werden die Gerölllawinen genannt, die immer wieder nach schweren Regenfällen im Zuge des El-Niño-Phänomens auftreten. Zuletzt 2017 in Peru in bisher ungekanntem Ausmaß. Es ist deshalb sinnvoll, Hänge und Wegbegrenzungen mit Vetiver zu bepflanzen, meint Kennerknecht. »Ich zeige Ihnen auch weshalb«, sagt der deutsche Agraringenieur und weist den Weg zu einer Grube. Fünf Meter reicht sie hinunter, und vom Rand aus ist gut zu sehen, wie weit die Wurzeln in den beigefarbenen, sandigen Boden reichen. »Mehr als drei Meter. Das sorgt für Halt«, argumentiert Kennerknecht, der es gewohnt ist, Kunden überzeugen zu müssen.
Meist sind es Privatleute, die zu ihm kommen, weil sie von dem Alemán gehört haben, der mit Kompoströhren aus Beton, den Silos Ecológicos, die in den Boden eingelassen sind, genauso gute Erfahrungen vorzuweisen hat wie mit dem tropischen Süßgras. »Vetiver ist eine Alternative, die für Städte wie Lima ideal ist, denn die Pflanze überlebt auch mal 140 Tage ohne Wasser«, so der agile 75-jährige. Lima, mitten in der Wüste gelegen, ist abhängig vom Wasserzufluss aus den Anden – und der wird knapper. Ein Argument für das Süßgras, denn bisher werden die Grünstreifen in den besseren Vierteln Limas mit Tankwagen täglich gesprengt. In Armenviertel wie Villa El Salvador oder Camas hinter dem internationalen Flughafen von Lima wird ein derartiger Aufwand nicht betrieben.
Etwas Grün lässt sich aber auch mit weniger Einsatz gewinnen wie das Beispiel des Schulgartens, aber auch die Erfahrungen, die
Kennerknecht in anderen Stadtteilen gemacht hat, zeigen. »Vetiver speichert Wasser, gibt es ans Umfeld ab, hält den Boden feucht. Eine optimale Pflanze, um andere Pflanzen im Umfeld zu versorgen«, wirbt Kennerknecht für das Süßgras mit dem immensen Potenzial. Zudem ist das Öl aus den VetiverWurzeln als Duftstoff in der Parfümindustrie begehrt und wird dafür längst auch in Mittelamerika und der Karibik angebaut.
Vielfältige Optionen, die dazu geführt haben, dass sich nicht nur in Peru Experten und Fans der Pflanze in Netzwerken organisiert haben, um für die Anpflanzung des Grases zu werben. Einige Unternehmen in Costa Rica haben bereits kommerziellen Erfolg mit der Zucht des Grases. In Peru, wo mit Joachim Böhnert ein weiterer ehemaliger GIZMitarbeiter das Netzwerk koordiniert, das im vergangenen Sommer in Lima zum VetiverSymposium lud, ist man davon noch weit entfernt. Ein Widerspruch, denn die UN-Ernährungsorganisation FAO wirbt in einer gerade erschienenen Studie des kanadischen Bodenforschers Dan Pennock von der University of Saskatchewan für den Einsatz des Süßgrases in erosionsgefährdeten Regionen. In Peru ist von dem Ansatz bisher anscheinend wenig in der Politik angekommen.
Die Gründe dafür sind für Kennerknecht, der mit seinen Setzlingen schon in zahlreichen Stadtverwaltungen, aber auch bei internationalen Kooperationspartnern vorgesprochen hat, nicht ganz klar. »Vetiver müsste eigentlich für alle Akteure wie ein Sechser im Lotto sein. Das Süßgras bindet Kohlendioxid und auch Kadmium, braucht wenig Wasser, ist erosionshemmend und versorgt auch noch andere Pflanzen mit – was will man mehr?«, fragt der umtriebige Pensionär und hält eine Folie mit Zahlen zu CO2-Einsparungen durch das Süßgras in die Höhe. 5,2 Kilogramm pro Quadratmeter sind es laut besagter FAO-Studie. Auch das spricht für die Pflanze, aber die Resonanz ist mau.
Der 75-jährige hat seine Vermutungen über die Gründe: »Ich denke, dass Vetiver schlicht billiger ist als Beton, und genau da beginnt das Problem. Es lässt sich nicht genug abzweigen«, sagt er und hält symbolisch die Hand auf. Dass bei öffentlichen Bauprojekten systematisch Geld in andere Kanäle umgelenkt wird, ist in Peru ein offenes Geheimnis. Die Korruptionsskandale, die vor allem im Jahr 2018 publik wurden und das politische System in Frage stellten, sind dafür Beleg genug. Ein weiteres Indiz ist auch die Tatsache, dass Perus renommierte Agraruniversität La Molina nicht in die Erforschung von Vetiver eingestiegen ist, meint Kennerknecht kopfschüttelnd und pflückt ein paar Brombeeren vom Strauch, der im Garten der Schule »Los Caminantes« wächst. Vor allem Schulen und Gärten in Armenvierteln von Lima versorgt der VetiverPionier mit Setzlingen des Süßgrases, die er auf einer drei bis vier Hektar großen Fläche hinter der Schule »Los Caminantes« zieht. »Ich setze auf Überzeugungsarbeit von unten. Irgendwann spricht sich das Potenzial der Pflanze rum, und die Politiker werden von ihren eigenen Wählern darauf aufmerksam gemacht werden. Dann könnte sich endlich auch in Peru etwas tun«, hofft Kennerknecht. Die Parlamentswahlen am 26. Januar sind auch aus dieser Perspektive für ihn ein kleiner Hoffnungsschimmer.
gehen tief in den Boden.