Geliebter Angstgegner
Nach dem 34:23 bei ihrem EM-Auftakt gegen die Niederlande müssen die deutschen Handballer am Sonnabend schon gegen den Titelverteidiger Spanien ran.
Spanien. Kein Gegner hat den Weg der deutschen Handballer in den vergangenen Jahren derart geprägt wie die spanische Mannschaft. Gegen die Iberer gab es Triumphe und Tragödien. »Wenn ich an Spanien denke, habe ich positive und negative Erinnerungen«, sagt Julius Kühn. Der Rückraumspieler der MT Melsungen war beim EM-Sieg vor vier Jahren dabei, als die Deutschen die Iberer im Endspiel demontierten, und litt mit, als die Auswahl des Deutschen Handballbundes vor zwei Jahren sang- und klanglos gegen die Spanier aus dem EM-Turnier flog.
Am Samstag (18.15 Uhr) spielen die Deutschen bei der Europameisterschaft in Trondheim erneut gegen den geliebten Angstgegner. Mit einem Sieg können die
Kein Team verfügt über mehr Erfahrung als Spanien, dessen Kader bereits beim EM-Sieg vor zwei Jahren eine Ansammlung von Routiniers war. 13 von 16 Spielern sind auch 2020 dabei.
Schützlinge von Christian Prokop die Tür zum Halbfinale bereits weit aufstoßen.
Besonders für den Bundestrainer weckt das Duell gegen den amtierenden Europameister Erinnerungen – an den schwersten Moment seiner Amtszeit. Nach dem blamablen Aus bei der EM 2018 in Kroatien, das durch die fatale Niederlage gegen Spanien besiegelt wurde, schien die Entlassung des gerade erst ins Amt berufenen Prokop beschlossen zu sein. Es überraschte, dass der heute 41-Jährige seinen Job behielt und deshalb in Norwegen die Chance erhält, das Trauma von 2018 zu überwinden. Im vergangenen Jahr bei der Weltmeisterschaft im eigenen Land bekamen es Prokop und die deutsche Mannschaft ebenfalls mit den Spaniern zu tun, standen vor dem Aufeinandertreffen aber bereits im Halbfinale, sodass der 30:29-Erfolg nicht taugte, um die Schmach von 2018 zu überwinden. Damals in Varazdin hatten sich die Deutschen in der zweiten Halbzeit wehrlos ihrem Schicksal ergeben und damit für ein kleines Erdbeben in Handball-Deutschland gesorgt.
Die Erinnerungen trägt Trainer Prokop in sich und schiebt sie doch zur Seite, um im Hier und Jetzt mit einem Erfolg gegen die Spanier einen großen Schritt machen zu können. Der Leipziger weiß, wie schwer es wird. Einerseits offenbarte seine Mannschaft beim letztlich ungefährdeten 34:23Erfolg gegen die Niederlande Schwächen, als die Niederländer Hektik auf dem Feld verbreiteten. Andererseits sind die Spanier meisterhaft darin, Hektik zu verbreiten. »Die werden provozieren mit Täuschen und Sinken in der Abwehr«, ist sich Kapitän Uwe Gensheimer sicher. »Die wollen, dass man nicht mit vollem Tempo auf die Hütte kommt.«
Gerade nach den vielen verletzungsbedingten Absagen bei der deutschen Mannschaft vor dem Start der Europameisterschaft ist der eklatanteste Unterschied zwischen der DHB-Auswahl und ihrem Gegner die Routine. Kein Team besitzt mehr Erfahrung und Abgeklärtheit als Titelverteidiger Spanien, dessen Kader bereits beim EM-Sieg 2018 eine Ansammlung von Routiniers war. Seither hat sich die Mannschaft kaum verändert, 13 von 16 Akteuren stehen immer noch im Aufgebot von Jordi Ribera.
Deshalb erwartet die Deutschen ein Stresstest – und es wird spannend zu beobachten sein, ob die Mannschaft in der Lage ist, diesen zu bewältigen. »Wir müssen mit viel Energie und Tempo spielen«, fordert Prokop. Der Bundestrainer weiß, dass sich sein Team im Vergleich zum Auftritt gegen die biederen Niederländer steigern muss. Prokop ist überzeugt, dass seine Mannschaft dazu in der Lage ist. Vor allem die erste Garde
wird überzeugen müssen, um die Spanier schlagen zu können. Die Rückraum-Achse Julius Kühn, Paul Drux und Kai Häfner muss im Angriff funktionieren. In der Defensive werden die Deutschen das Niveau erreichen müssen, das sie im vergangenen Jahr ins WMHalbfinale führte.
Alles steht aus Sicht von Andreas Wolff in Trondheim aber (noch) nicht auf dem Spiel. »Ich denke nicht, dass es ein Do-or-Die-Spiel ist«, sagt der Torhüter. »Wir haben 2016 in der Vorrunde gegen sie verloren und sind anschließend Europameister geworden«, erinnert er sich an den Triumph vor vier Jahren zurück. Im Endspiel, auch damals ging es gegen Spanien, überragte der Keeper mit seiner Leistung. Wie etliche Kollegen hat auch er nicht nur negative Erinnerungen an Spanien – den geliebten Angstgegner.