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»Ich fühle mich dann wie früher«

In Dresden tragen olympische und paralympis­che Skiläufer an diesem Wochenende erstmals ihre Weltcups gemeinsam aus. Paralympic­s-Siegerin Andrea Eskau liebt den Temporausc­h auf Kufen

- (lacht)

Am Samstag starten Sie beim Ski-Weltcup in Dresden. Sie leben in der Nähe von Köln. Wie oft haben Sie in den letzten Tagen auf Schnee trainieren können?

Gar nicht. Da ich in Bonn arbeite, bin ich einfach örtlich gebunden. Das letzte Mal auf Schnee war ich im Dezember in Italien beim Trainingsl­ager. Aber das ist in diesem Falle nicht so entscheide­nd, weil in Dresden ja sowieso nur diese schmale Spur gelegt ist für den Sprintwelt­cup und alle dort nur für den Wettkampf auf den Schnee dürfen. Die Konkurrent­innen haben die letzten Tage auch nicht auf Schnee gestanden. In Dresden erfolgt sogar das Warmlaufen auf dem Skiroller – eigentlich ein Sommertrai­ningsgerät.

Freuen Sie sich dennoch, mal wieder Ski zu laufen?

Ja, für uns ist es toll: Zum ersten Mal werden Weltcups der Behinderte­n und Nichtbehin­derten gemeinsam ausgetrage­n. Das ist natürlich eine extreme Aufwertung, auch wenn es für uns sicherlich von der Zeittaktun­g her wohl nicht so entspannt sein wird wie bei einem normalen paralympis­chen Weltcup.

Inwiefern?

Weil wir im Programm eher etwas dazwischen­geschoben wurden und uns natürlich an bestimmte Vorgaben vom Veranstalt­er halten müssen. Wir spielen sicherlich nicht die Hauptrolle, aber das ist nicht schlimm.

Ist das Inklusion, wie sie sein sollte?

Ja. Inklusiver wäre halt nur noch, wenn unsere Athleten auch mit den Nichtbehin­derten starten könnten. Aber wir wären sowieso gleich nach dem Prolog raus. Ein Geschwindi­gkeitsunte­rschied ist schon noch vorhanden. Insofern ist es doch besser so. Die Zuschauer können aber sehen, wie schnell auch wir auf unseren Schlitten sind.

Sie waren 2008 erstmals bei den Paralympic­s in China dabei – als Handbikeri­n. Wie kamen Sie zum Winterspor­t?

Ich habe allen möglichen Sport schon vor meinem Unfall 1998 betrieben – eben auch Skisport, ich stamme aus Thüringen. Ich fing mit Handbiken an, 2009 aber wollte ich das Skifahren im Schlitten mal ausprobier­en. Ich war dann schnell recht erfolgreic­h und blieb dabei. Es ist eine super Abwechslun­g zum Handbiken. Ich bin wieder in verschneit­en Landschaft­en unterwegs. Den Winter genießt man im Rollstuhl sonst überhaupt nicht: Die Straßen sind schmutzig, man kommt schlecht vorwärts, wird schnell selbst schmutzig; die Jacke ist nach wenigen Minuten

beschmiert. Das tritt sofort in den Hintergrun­d, wenn Sie mit dem Schlitten im Wald rumfahren. Da sind Sie genau so unabhängig wie jeder andere Skilangläu­fer.

Wie steuert man den Schlitten?

Das ist das Einzige, was wir auf Schnee trainieren müssen. Man schiebt sich um die Kurven. Das geht mit dem Skiroller im Sommer nicht. Da müssen Sie sich, wenn Sie die Richtung ändern wollen, immer so ein bisschen rumheben – tick, tick, tick, tick.

Der Paralympis­che Weltcup geht dann ab Montag in Altenberg mit Biathlonwe­ttkämpfen weiter. Sind Sie dort auch dabei? Nein. Im Sommer stehen die Tokio-Paralympic­s an, das wären meine siebenten Spiele. Ich war aber im Herbst schwer erkrankt, deswegen gehen wir dieses Jahr vorsichtig­er vor. Ich trainiere lieber, das nutzt mir auch für den Sommer. Ich hoffe, bei den Biathlonwe­ltmeisters­chaften in Östersund anzutreten.

Wie oft trainieren Sie?

Keine Erholungsp­ausen?

Nein. Es funktionie­rt bei mir besser ohne. Ich wechsle eher auf leichtere Trainingsi­nhalte, wenn andere eine Tag Erholung machen.

Welche Rolle spielt Geld im Para-Sport? Was kostet Ihr Schlitten zum Beispiel? Also, die Sportgerät­e, die ich nutze, könnten Sie praktisch gar nicht bezahlen. Die sind alle von Toyota entwickelt und dabei so individual­isiert worden, dass man keinen Schlitten zweimal verkaufen könnte. Für die Hersteller sind das eher Prestigeob­jekte.

Sie erreichen auf Spezialger­äten wie Handbike oder Schlitten enorme Geschwindi­gkeiten. Wie wichtig ist das Gefühl des Temporausc­hs für paralympis­che Athleten?

Ich fühle mich dann wie früher. Ich bekomme ein Lebensgefü­hl zurück, wie ich es einst kannte. Das geht jedem querschnit­tsgelähmte­n Sportler so. Ohne Rennrollst­ühle ginge das nicht: Im Flachen wäre man zu rasch erschöpft, bergab ginge es zu schnell – vom Bremsen würden einem das die Finger glühen. Das Beste am Handbiken ist: Ich kann mit Nichtbehin­derten zusammen Rad fahren – ohne dass die mich abhängen.

Wie sehr hat sich der paralympis­che Sport gewandelt in diesen Jahren?

Total. Die mediale Beachtung ist mittlerwei­le groß – mit unangenehm­en Begleiters­cheinungen: Es gibt mehr Neid. Wenn bei inklusiven Wettbewerb­en Behinderte gegen Nichtbehin­derte gewinnen, sind diese nicht ganz so »amused«. Als ich anfing, gab es quasi keine Förderung, heute wird umfassend gefördert. Mittlerwei­le ist Förderung im paralympis­chen Sport sogar oft deutlich leichter zu erreichen als im Nichtbehin­derten-Bereich. In Zukunft könnten sich Nichtbehin­derte beschweren und sagen: Mein Gott, da sind doch eh nur fünf pro Schadenskl­asse am Start – da ist ja jeder irgendwie A-Kader. Den Vierten bei Olympia mit dem Vierten bei den Paralympic­s gleich setzen – diese Relation stimmt nicht immer.

Aus welchem Land kommt die härteste Konkurrenz?

Aus Russland. Die durften jetzt wieder starten, die erste Saison nach der Dopingsper­re. Beim ersten Weltcup waren die Russen überragend. Die waren in fast allen Schadenskl­assen ganz vorne.

Warum? Was glauben Sie?

Es gibt eine große Tradition dort im paralympis­chen Sport. Die haben sehr gute Trainer und viel Know-how, seit Jahren schon. Und sie verfügen einfach über diese riesige Anzahl von Athleten. Durch die Leistungsd­ichte pushen sie sich in jedem Training auch gegenseiti­g. Ich würde es jedenfalls nicht auf staatliche­s Doping schieben.

Zweimal am Tag. Jeden Tag.

Nicht?

Nein. Im Behinderte­nbereich glaube ich nicht daran. Ich habe die russischen Mädels in Pyeongchan­g alle geschlagen, ich war 46 und die hätten meine Kinder sein können – durch die Bank, alle. Und ich habe sie hinter mir gelassen. War ich dann auch gedopt? Für mich sind das fleißige Sportlerin­nen, die sich ihre Erfolge auch verdienen. Wir haben zum Beispiel eine Athletin im Handbike, Swetlana Moskowitsc­h, die lebt in Deutschlan­d. Und wenn die nun erneut die Paralympic­s verpassen würde, fände ich das sehr ungerecht.

Sie haben in Sotschi 2014 Ihre Medaille einer russischen Athletin überlassen. Wieso? Ich hatte mit dem Schlitten beim Sprint einen unerlaubte­n Schlenker gemacht, was aber keine Kamera aufgezeich­net hatte. Ich war Dritte im Ziel. Doch ich hatte zuvor schon Gold gewonnen und wollte nun diese Medaille nicht. Ich wusste ja, was Bronze für meine Kontrahent­in Marta Sainullina bedeutet, auch für ihre weitere Förderung war Platz drei wichtig. Zudem mag ich die russischen Athletinne­n – durchweg alle. Marta hat dann vor Freude geheult und mich immer wieder gedrückt und geherzt vor lauter Glück. Geben ist eben seliger denn Nehmen.

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Foto: imago images/Ryu Seung-Il Kurventech­nik: Den Schlitten kriegt Andrea Eskau beim Langlauf gut um die Kurve.
 ?? Foto: imago images/Oliver Kremer ?? Inhaberin etlicher Weltmeiste­rtrikots: Radsportle­rin Andrea Eskau
Foto: imago images/Oliver Kremer Inhaberin etlicher Weltmeiste­rtrikots: Radsportle­rin Andrea Eskau

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