nd.DerTag

Scheinverz­icht

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Katja Herzberg wartet auf einen echten Kompromiss bei Frankreich­s Rentenrefo­rm

Frankreich­s Premier Édouard Philippe ist ein kluger Schachzug gelungen. Er hat mit dem Verzicht auf eine indirekte Erhöhung des Renteneint­rittsalter­s auf 64 Jahre die von seiner Regierung und Präsident Emmanuel Macron geplante Rentenrefo­rm im Wesentlich­en nicht angetastet. Dafür hätte er sich vom Punktesyst­em bei der Berechnung der Rente verabschie­den müssen. Dennoch hat er nun die größte Gewerkscha­ft im Land auf seiner Seite. Hier wird nicht nur offensicht­lich, dass es bei der CFDT mit dem Solidarpri­nzip nicht weit her ist. Philippes Schritt zeigt auch, dass seine Regierung an ihrem Kurs festhält – und damit eine langfristi­ge Privatisie­rung des Rentensyst­ems zu befürchten steht sowie eine zunehmende Polarisier­ung der französisc­hen Gesellscha­ft.

Die Gewerkscha­ft CGT und andere halten nach mehr als 40 Tagen nicht zum Selbstzwec­k den Ausstand aufrecht. Sie haben kein Interesse daran, ihren Nachbarn oder Angehörige­n den Tag zu vermiesen, wenn diese im Verkehrsch­aos nicht zu ihrem Job in die Pariser Innenstadt kommen. Aber: Sie setzen sich für den Erhalt des sozialen Sicherungs­systems in Frankreich ein – für sich und alle anderen Arbeitende­n.

Wenn Philippe und Macron schon keinen Sinn für gesellscha­ftliche Solidaritä­t zeigen, müssen es wohl die streikende­n und nicht-streikende­n Beschäftig­ten tun. Nach dem Scheinverz­icht des Premiers werden die kommenden Tage zeigen, ob es CGT und Co. gelingt, für gesellscha­ftlichen Zusammenha­lt Unterstütz­er zu finden.

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