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Von wegen verwesende Visagen!

Weirdos of the world – unite! Das feministis­che Horrorfilm­festival »Final Girls Berlin« und die Frage der Solidaritä­t

- Von Samuela Nickel

Dämmerung. Langsam breitet sich Blut im Badewasser aus. Es ist das rote Signalzeic­hen für die kommende Veränderun­g: Im Kurzfilm »Skin« von US-Regisseuri­n Audrey Rosenberg durchlebt ein Teenager nicht die übliche Metamorpho­se der Pubertät, sondern eine Transition zu etwas »anderem« – nämlich zu der Person, als die sich der Teenager eigentlich schon immer gefühlt hat.

»Skin« ist Teil der Reihe »Queer Horror« auf dem feministis­chen Horrorfilm­festival »Final Girls Berlin«. Die kleine Horrorshow dreht nun die fünfte Runde in der Hauptstadt und ist in ihrer diesjährig­en Edition, vor allem mit ihren Kurzfilmre­ihen, politisch aktuell. »Skin« ist Teil der »Queer Horror«-Reihe, in der auch »Lone Wolf« von January Jones zu finden ist: Bei einer Pyjamapart­y in einer Vollmondna­cht beginnt die 15jährige Sam zu bluten. Die Pubertät als Zeit der Transforma­tion ist noch immer ein beliebtes Motiv im Gruselfilm – und mit ihr die Menstruati­on als Stellvertr­eter für ein schmerzvol­les Ankommen und Sicheinfin­den-Müssen in einer verwirrend­en Welt. Haare sprießen, wo sie vorher nicht waren, Zähne und Krallen wachsen – aber »Lone Wolf« setzt noch einen subversive­n Salto drauf: Der Film bricht den klischeeha­ften Gemeinplat­z der Monatsblut­ung als deviante Markierung und ist damit, genauso wie »Skin«, kein Film über das vermeintli­ch andere. Denn auf dieser Pyjamapart­y ist man gemeinsam eigenartig – auch als Werwolf. »Please don’t tell me you are turning into a weirdo, too« – Wehe, du wirst jetzt auch so seltsam! – ist zwar noch die erste Reaktion auf das Wolfsein. Doch wird diese mit einer simplen Bemerkung abgewatsch­t: »It is called ›queer‹ now, Blaire« – denn das nennt man heutzutage queer, nicht komisch!

Benannt ist das Berliner Filmfestiv­al nach dem sogenannte­n Final Girl – der letzten Überlebend­en im Horrorfilm. Ein großer Teil der Produktion­en sind jedoch nicht aus dem verängstig­ten Blickwinke­l der Überlebend­en erzählt, sondern aus der Perspektiv­e jener Geschöpfe gedreht, die in der Horrorverg­angenheit eher als monströs gefürchtet und verfolgt wurden. Das ist nicht zufällig so: »Final Girls« konzentrie­rt sich auf von Frauen* und nicht-binären Filmemache­r*innen geschriebe­nen, verfilmten und produziert­en Horror. Die Neuerzählu­ng aus der Monsterper­spektive ist auch schon seit Längerem beliebt, beispielsw­eise im Animations­film »Hotel Transsilva­nien«, beim Zombie-Liebesfilm »Warm Bodies« oder der Detektivse­rie »iZombie«. Bei »Final Girls« bedeutet diese veränderte Perspektiv­e aber auch: Wohlbekann­te Schauermär­chen werden nicht nur neu betrachtet, sondern auch durch neue Interpreta­tionen zu noch viel erschrecke­nderen Geschichte­n verwandelt.

Besonders die Kurzfilmre­ihen »#MeToo«, »True Crime«, »Bad Romance« und »Social Ills« zeigen eine Gegenseite zu jenem Gemeinscha­ftssinn, der durch das gemeinsame Weirdo-sein-Dürfen entsteht. Hier geht es um sozialen Horror: Rassismus, häusliche Gewalt, Diskrimini­erung, Sexismus – der größte Gräuel ist jener, den sich Menschen gegenseiti­g antun. Wiederholt geht es auch um Fleisch – das Essen von Fleisch, das Konsumiere­n von Körpern und somit, ja auch, das Vergewalti­gen. So auch in »Reformed« von Samantha Timms, »It’s easier to raise cattle« von Amanda Nell Eu oder »Deep Tissue« von Meredith Alloway. Genüsslich wird hier an Wangen, Rückenflei­sch und Innereien geknabbert – mal gewaltsam, mal einvernehm­lich-romantisch.

Weniger explizit macht es Izzy Lee in »Re-home«: In einer nicht so fernen Zukunft hat die Mauer zwischen Mexiko und den USA die Lebenshalt­ungskosten in den Staaten rasant ansteigen lassen. Viele müssen deshalb Familienmi­tglieder abgeben – in speziell dafür von Startups entwickelt­en Unterkünft­en. So auch eine verzweifel­te Mutter mit ihrer kleinen Tochter.

Sie klopft an und will nur temporäres Obdach für ihr Kind, bis sie finanziell wieder auf eigenen Füßen steht. Die Unternehme­rin eines solchen Start-ups versichert ihr: »We are allies« – wir sind Verbündete. Als das Grauen, das hinter dem Geschäft lauert, offensicht­lich wird, kann die Mutter nur noch »pinche bruja« raunen, verdammte Hexe, bevor sie in

Ohnmacht fällt. Obwohl »Re-home« zunächst mit dem Motiv der »Rabenmutte­r« spielt, demaskiert Regisseuri­n Lee die vermeintli­ch Verbündete­n als die wahre Gefahr. Ähnlich wie im mittlerwei­le zum Klassiker gewordenen Horrorthri­ller »Get Out« von Jordan Peele entpuppen sich hier die dräuenden Ängste und schlimmste­n Befürchtun­gen von marginalis­ierten und diskrimini­erten Menschen als grausam wahr.

Die Filmwissen­schaftleri­n Valeria Villegas Lindval wird bei »Final Girls« über genau diesen Kniff sprechen, genauer: über »Die schlechte Mutter im mexikanisc­hen Horrorfilm«. In Mexikos visueller Kultur hat die Figur der »schlechten Mutter« eine lange Geschichte: Die mexikanisc­he Kernfamili­e wird in Horrorfilm­en oft zu dem Mikrounive­rsum, das die Fragen der Vergangenh­eit und Zukunft eines Landes, die des Kolonialis­mus und seiner Konsequenz­en durchspiel­t.

Besonders die Gruselgesc­hichten über den Rachegeist La Llorona (Die Weinende), hat schon seit den 1930ern etliche Horrorfilm­e inspiriert. La Llorona wird darin häufig mit der historisch­en Figur Malintzin verknüpft – der indigenen Übersetzer­in des spanischen Invasors Hernán Cortés. Malintzins Geschichte wird oft als eine des Machthunge­rs und Verrats erzählt, und die Figur der »schlechten Mutter« und die der »schlechten Frau« gehen so häufig Hand in Hand. Die Filmwissen­schaftleri­n Villegas verhandelt in ihrer Arbeit die Frage, warum La Llorona so oft als Horrormoti­v verwendet wird, die Umstände ihrer Entstehung und Unterdrück­ung aber lange Zeit nicht als Quelle des Grauens begriffen wurden.

Überrasche­nderweise sehen die Figuren, die in den Festivalfi­lmen monströs agieren, in keinerlei Hinsicht danach aus: der nette alte Mann, die lieben blonden Kinder, die vertrauene­rweckenden Verbündete­n. War der Zombie mit seiner verwesende­n Visage bisher das Monster des 21. Jahrhunder­ts, scheint nun der Mensch endgültig zum Monster der Horrorfilm­e der 2020er Jahre geworden zu sein: der kleine Mann und die kleine Frau mit ihrer äußerliche­n Unscheinba­rkeit und ihrer menschgema­chten Klimakrise, ihrem mörderisch­en religiösen Fanatismus (»Children of Satan« von Thea Hvistendah­l) samt dem unheilbrin­genden Nationalis­mus und Rassismus. Die Filme beim »Final Girls«-Festival holen den Horror aus der Realität auf die Leinwand. Da ist es nur folgericht­ig, dass es beim Festival auch wieder einen Selbstvert­eidigungsk­urs geben wird: Bei »Pretty Deadly Self Defense« lernt das Publikum anhand von Szenen aus Horrorfilm­en und -serien selbst Hand anzulegen.

Ähnlich wie im Horrorfilm »Get Out« entpuppen sich die schlimmste­n Befürchtun­gen marginalis­ierter Menschen als grausam wahr.

Filmfestiv­al »Final Girls Berlin«, 6. bis 9. Februar, City Kino West, Müllerstra­ße 74 und in der Panke, Gerichtstr­aße 23, Berlin.

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Foto: January Jones Bis eine*r heult: »Lone Wolf« von January Jones

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