Von wegen verwesende Visagen!
Weirdos of the world – unite! Das feministische Horrorfilmfestival »Final Girls Berlin« und die Frage der Solidarität
Dämmerung. Langsam breitet sich Blut im Badewasser aus. Es ist das rote Signalzeichen für die kommende Veränderung: Im Kurzfilm »Skin« von US-Regisseurin Audrey Rosenberg durchlebt ein Teenager nicht die übliche Metamorphose der Pubertät, sondern eine Transition zu etwas »anderem« – nämlich zu der Person, als die sich der Teenager eigentlich schon immer gefühlt hat.
»Skin« ist Teil der Reihe »Queer Horror« auf dem feministischen Horrorfilmfestival »Final Girls Berlin«. Die kleine Horrorshow dreht nun die fünfte Runde in der Hauptstadt und ist in ihrer diesjährigen Edition, vor allem mit ihren Kurzfilmreihen, politisch aktuell. »Skin« ist Teil der »Queer Horror«-Reihe, in der auch »Lone Wolf« von January Jones zu finden ist: Bei einer Pyjamaparty in einer Vollmondnacht beginnt die 15jährige Sam zu bluten. Die Pubertät als Zeit der Transformation ist noch immer ein beliebtes Motiv im Gruselfilm – und mit ihr die Menstruation als Stellvertreter für ein schmerzvolles Ankommen und Sicheinfinden-Müssen in einer verwirrenden Welt. Haare sprießen, wo sie vorher nicht waren, Zähne und Krallen wachsen – aber »Lone Wolf« setzt noch einen subversiven Salto drauf: Der Film bricht den klischeehaften Gemeinplatz der Monatsblutung als deviante Markierung und ist damit, genauso wie »Skin«, kein Film über das vermeintlich andere. Denn auf dieser Pyjamaparty ist man gemeinsam eigenartig – auch als Werwolf. »Please don’t tell me you are turning into a weirdo, too« – Wehe, du wirst jetzt auch so seltsam! – ist zwar noch die erste Reaktion auf das Wolfsein. Doch wird diese mit einer simplen Bemerkung abgewatscht: »It is called ›queer‹ now, Blaire« – denn das nennt man heutzutage queer, nicht komisch!
Benannt ist das Berliner Filmfestival nach dem sogenannten Final Girl – der letzten Überlebenden im Horrorfilm. Ein großer Teil der Produktionen sind jedoch nicht aus dem verängstigten Blickwinkel der Überlebenden erzählt, sondern aus der Perspektive jener Geschöpfe gedreht, die in der Horrorvergangenheit eher als monströs gefürchtet und verfolgt wurden. Das ist nicht zufällig so: »Final Girls« konzentriert sich auf von Frauen* und nicht-binären Filmemacher*innen geschriebenen, verfilmten und produzierten Horror. Die Neuerzählung aus der Monsterperspektive ist auch schon seit Längerem beliebt, beispielsweise im Animationsfilm »Hotel Transsilvanien«, beim Zombie-Liebesfilm »Warm Bodies« oder der Detektivserie »iZombie«. Bei »Final Girls« bedeutet diese veränderte Perspektive aber auch: Wohlbekannte Schauermärchen werden nicht nur neu betrachtet, sondern auch durch neue Interpretationen zu noch viel erschreckenderen Geschichten verwandelt.
Besonders die Kurzfilmreihen »#MeToo«, »True Crime«, »Bad Romance« und »Social Ills« zeigen eine Gegenseite zu jenem Gemeinschaftssinn, der durch das gemeinsame Weirdo-sein-Dürfen entsteht. Hier geht es um sozialen Horror: Rassismus, häusliche Gewalt, Diskriminierung, Sexismus – der größte Gräuel ist jener, den sich Menschen gegenseitig antun. Wiederholt geht es auch um Fleisch – das Essen von Fleisch, das Konsumieren von Körpern und somit, ja auch, das Vergewaltigen. So auch in »Reformed« von Samantha Timms, »It’s easier to raise cattle« von Amanda Nell Eu oder »Deep Tissue« von Meredith Alloway. Genüsslich wird hier an Wangen, Rückenfleisch und Innereien geknabbert – mal gewaltsam, mal einvernehmlich-romantisch.
Weniger explizit macht es Izzy Lee in »Re-home«: In einer nicht so fernen Zukunft hat die Mauer zwischen Mexiko und den USA die Lebenshaltungskosten in den Staaten rasant ansteigen lassen. Viele müssen deshalb Familienmitglieder abgeben – in speziell dafür von Startups entwickelten Unterkünften. So auch eine verzweifelte Mutter mit ihrer kleinen Tochter.
Sie klopft an und will nur temporäres Obdach für ihr Kind, bis sie finanziell wieder auf eigenen Füßen steht. Die Unternehmerin eines solchen Start-ups versichert ihr: »We are allies« – wir sind Verbündete. Als das Grauen, das hinter dem Geschäft lauert, offensichtlich wird, kann die Mutter nur noch »pinche bruja« raunen, verdammte Hexe, bevor sie in
Ohnmacht fällt. Obwohl »Re-home« zunächst mit dem Motiv der »Rabenmutter« spielt, demaskiert Regisseurin Lee die vermeintlich Verbündeten als die wahre Gefahr. Ähnlich wie im mittlerweile zum Klassiker gewordenen Horrorthriller »Get Out« von Jordan Peele entpuppen sich hier die dräuenden Ängste und schlimmsten Befürchtungen von marginalisierten und diskriminierten Menschen als grausam wahr.
Die Filmwissenschaftlerin Valeria Villegas Lindval wird bei »Final Girls« über genau diesen Kniff sprechen, genauer: über »Die schlechte Mutter im mexikanischen Horrorfilm«. In Mexikos visueller Kultur hat die Figur der »schlechten Mutter« eine lange Geschichte: Die mexikanische Kernfamilie wird in Horrorfilmen oft zu dem Mikrouniversum, das die Fragen der Vergangenheit und Zukunft eines Landes, die des Kolonialismus und seiner Konsequenzen durchspielt.
Besonders die Gruselgeschichten über den Rachegeist La Llorona (Die Weinende), hat schon seit den 1930ern etliche Horrorfilme inspiriert. La Llorona wird darin häufig mit der historischen Figur Malintzin verknüpft – der indigenen Übersetzerin des spanischen Invasors Hernán Cortés. Malintzins Geschichte wird oft als eine des Machthungers und Verrats erzählt, und die Figur der »schlechten Mutter« und die der »schlechten Frau« gehen so häufig Hand in Hand. Die Filmwissenschaftlerin Villegas verhandelt in ihrer Arbeit die Frage, warum La Llorona so oft als Horrormotiv verwendet wird, die Umstände ihrer Entstehung und Unterdrückung aber lange Zeit nicht als Quelle des Grauens begriffen wurden.
Überraschenderweise sehen die Figuren, die in den Festivalfilmen monströs agieren, in keinerlei Hinsicht danach aus: der nette alte Mann, die lieben blonden Kinder, die vertrauenerweckenden Verbündeten. War der Zombie mit seiner verwesenden Visage bisher das Monster des 21. Jahrhunderts, scheint nun der Mensch endgültig zum Monster der Horrorfilme der 2020er Jahre geworden zu sein: der kleine Mann und die kleine Frau mit ihrer äußerlichen Unscheinbarkeit und ihrer menschgemachten Klimakrise, ihrem mörderischen religiösen Fanatismus (»Children of Satan« von Thea Hvistendahl) samt dem unheilbringenden Nationalismus und Rassismus. Die Filme beim »Final Girls«-Festival holen den Horror aus der Realität auf die Leinwand. Da ist es nur folgerichtig, dass es beim Festival auch wieder einen Selbstverteidigungskurs geben wird: Bei »Pretty Deadly Self Defense« lernt das Publikum anhand von Szenen aus Horrorfilmen und -serien selbst Hand anzulegen.
Ähnlich wie im Horrorfilm »Get Out« entpuppen sich die schlimmsten Befürchtungen marginalisierter Menschen als grausam wahr.
Filmfestival »Final Girls Berlin«, 6. bis 9. Februar, City Kino West, Müllerstraße 74 und in der Panke, Gerichtstraße 23, Berlin.