Auszug aus den Städten
Im Handwerk fehlen Fachkräfte, Meisterbetriebe und bezahlbare Gewerberäume
Handwerk ist nicht gleich Handwerk. Zu groß sind die Unterschiede zwischen den Gewerbegruppen. Fast überall fehlt es aber an Nachwuchs. Jetzt hat die Politik endlich Gerhard Schröder korrigiert. 26 Handwerkerinnen und Handwerker traten die Flucht nach vorne an. Auf den Mangel an bezahlbaren Werkstätten reagierten sie mit der Gründung der Genossenschaft Kolbenwerk eG. Der Zusammenschluss sollte ihre Existenz in der Millionenstadt Hamburg sichern. Im Sommer bezogen die Genossen dann eine ehemalige Produktionshalle mitten in einem der begehrtesten Stadteile. Die Genossenschaft, jubeln die Initiatoren, habe dadurch eine innerstädtische Immobilie einer deutschen Großstadt »vom Markt entkoppelt«, um Flächen für das Kleingewerbe zu einem günstigen Mietpreis zur Verfügung zu stellen.
In allen größeren Städten kennen Handwerk und Gewerbe das Problem, kundennahe Flächen zu verträglichen Preisen zu mieten. Der Flächenfraß durch Wohnungsbau, Bürokomplexe und Logistikzentren lässt immer weniger Raum für kleine Handwerksbetriebe. Viele Firmen ziehen daher notgedrungen vor die Tore der Städte, was lange Autofahrten zu den Kunden zur Folge hat.
Die Raumfrage ist nicht die einzige Herausforderung für das Handwerk. Der Beschäftigungsaufbau kam 2019 annähernd zum Erliegen, heißt es in dem in der vergangenen Woche veröffentlichten »Handwerksbericht« des RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung. In den kommenden Jahren sind »erhebliche Herausforderungen zu bewältigen«. Hierzu gehört unter anderem, genügend Fachkräfte zu gewinnen – trotz abnehmender Ausbildungsbereitschaft und eines insgesamt rückläufigen Arbeitskräfteangebots in Deutschland.
Außerdem muss das klassische Handwerk Marktanteile gegenüber Wettbewerbern sichern. Im zulassungsfreien Handwerk sind nur noch ein Viertel der Betriebsleiter Meister. Im Jahr 2004 hatte die rot-grüne Bundesregierung von Kanzler Gerhard Schröder (SPD) und Joschka Fischer (Die Grünen) die sogenannte Meisterpflicht für viele Gewerke aufgehoben. Schröder und Fischer versprachen sich davon mehr Wettbewerb
und eine Stärkung der Verbraucher. Studien legen jedoch nahe, dass die Liberalisierung auf Kosten der Qualität der Arbeit ging, weil sich Billiganbieter in den Markt drängten und kaum noch Nachwuchs ausgebildet wurde. Darauf hat die Politik endlich reagiert: Anfang 2020 wurde für zwölf Gewerke die Meisterpflicht wieder eingeführt.
Die Wirkungen dieser neuerlichen Regulierung dürften aber zunächst überschaubar bleiben, so das RWI in Essen. Der Anteil der »rückvermeisterten« Gewerke an den gesamten Handwerksumsätzen fällt mit rund drei Prozent relativ gering aus. Außerdem genießen die seit 2004 ohne Meister gegründeten Betriebe Bestandsschutz.
»Weite Teile des deutschen Handwerks haben in den kommenden Jahren große Herausforderungen zu bewältigen, um weiter wachsen zu können«, meint RWI-Wissenschaftler Jochen Dehio. Insgesamt sieht er die wirtschaftliche Lage allerdings »ausgesprochen positiv«. 2019 seien die Umsätze nach vorläufigen Zahlen zwischen vier und fünf Prozent auf etwa 630 Milliarden Euro gestiegen und damit deutlich stärker als die Gesamtwirtschaft. Dahinter stehen aber kräftige Preiserhöhungen – bei gleichzeitig erhöhten Löhnen für die abhängig Beschäftigten und steigenden Kosten für Vorleistungen. Mehr als fünf Millionen Erwerbstätige produzieren ein Zehntel der gesamten Wirtschaftsleistung in der Bundesrepublik.
Entsprechend gut ist die Stimmung. Laut einer Umfrage des Handwerksverbandes ZDH schätzten im Herbst 93 Prozent aller Betriebe ihre Geschäftslage als befriedigend oder gut ein, das ist der bis dahin höchste Wert. Dies schlägt sich in einer zunehmenden Investitionsbereitschaft nieder, wobei die hohen Auftragsbestände kein baldiges Ende des Aufschwungs erwarten lassen.
Es gibt aber große Unterschiede zwischen den Gewerbegruppen. So hat insbesondere das Baugewerbe mit 750 000 Beschäftigten wieder kräftige Umsatzsteigerungen erzielt. Die Geschäfte der Handwerke für den gewerblichen Bedarf (1,3 Millionen Beschäftigte) laufen dagegen aufgrund der Schwäche der Industrie weniger gut. Vor allem die personenbezogenen Dienstleister tun sich eher schwer. Das Gesundheitsgewerbe (200 000 Beschäftigte) wächst kaum, und Handwerke für den sonstigen privaten Bedarf (370 000 Beschäftigte), wie Schuhmacher und Friseure, weisen sogar Umsatzrückgänge auf. So stehen große Teile des Handwerks in den kommenden Jahren vor erheblichen Herausforderungen, die nicht leicht zu bewältigen sein werden.