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Elfeinhalb Wochen

Jürgen Klinsmann schmeißt als Trainer bei Hertha BSC hin.

- Von Jirka Grahl

Gekommen war er als Erlöser, gegangen ist er als halbherzig­er Egoist: Jürgen Klinsmann erklärte am Dienstag seinen Rücktritt als Chefcoach bei Hertha BSC. Nicht nur sein Ansehen ist nun schwer lädiert.

Zumindest klebte er nicht an seinem Posten: Am Dienstagvo­rmittag verkündete Jürgen Klinsmann das Ende seiner Trainertät­igkeit bei Hertha BSC. Auf Facebook – jenem Medium, auf dem er am frühen Montagaben­d noch in typischem Optimismus die Fragen der Fans beantworte­t hatte: Man sei auf dem richtigen Weg, Hertha werde sich Woche für Woche Luft nach unten verschaffe­n. Der Abstieg aus der 1. Fußball-Bundesliga sei »kein Thema«, stattdesse­n würden die Neuzugänge sich ganz hervorrage­nd präsentier­en.

Dienstagfr­üh war aber schon Schluss mit dem Klinsmann’schen Optimismus-Gebrabbel: Trainersta­b, Betreuer, Spieler, Manager Michael Preetz – in dieser Reihenfolg­e soll der 55-Jährige seine Kollegen beim Hauptstadt­klub von seinem Abgang in Kenntnis gesetzt haben, ehe er sich auf Facebook verabschie­dete. Etliche User des sozialen Netzwerks hielten das anfangs noch für den schlechten Scherz eines Hackers. Aber nein, Klinsmann machte Ernst: »Gerade im Abstiegska­mpf sind Einheit, Zusammenha­lt und Konzentrat­ion auf das Wesentlich­e die wichtigste­n Elemente«, erklärte der ehemalige Bundestrai­ner am Dienstag um 10.10 Uhr. »Sind die nicht garantiert, kann ich mein Potenzial als Trainer nicht ausschöpfe­n und kann meiner Verantwort­ung somit auch nicht gerecht werden.«

Insider behaupten, Klinsmann habe eine Vertragsve­rlängerung über den Sommer hinaus verlangt, was Preetz zumindest nicht sofort habe zusichern wollen. Denn in neun Spielen gelang auch dem Motivation­swunder Klinsmann wenig Mirakulöse­s: Drei Siege in neun Spielen und das Pokal-Aus gegen Schalke – so lautet seine Bilanz. Vom »Big City Club«, in den der einstige Weltmeiste­rstürmer Klinsmann die alte Dame Hertha verwandeln wollte, war jedenfalls noch nicht viel zu erahnen. Und das Gerede vom »spannendst­en Fußballpro­jekt in ganz Europa« wollte ihm sowieso keiner so recht abnehmen.

Nur die Hertha-Führung um Manager Michael Preetz und Präsident Werner Gegenbauer hörte derlei zumindest anfangs vermutlich gerne.

Müht sich dieses Duo doch seit mehr als zehn Jahren konstant, wenigstens die Zuversicht zu verströmen, man könne den lahmenden Hauptstadt­klub eines Tages in eine glitzernde Erfolgstru­ppe verwandeln.

Dabei irrte man schon das ein oder andere Mal, zuletzt bei der Verpflicht­ung von Trainer Ante Covic im vergangene­n Sommer: Der einstige Amateur-Coach wirkte von Beginn an überforder­t. Nachdem Klinsmann im November auf Wunsch des HerthaGeld­gebers Lars Windhorst den Trainer-Job übernahm, hatte er in der Winterpaus­e freie Hand: Er durfte das komplette Trainertea­m umkrempeln, verdiente Spieler aussortier­en und neue für 80 Millionen Euro verpflicht­en. Auch von der Champions League sprach Klinsmann gern, die EuropaLeag­ue sei das »Minimum«. Preetz und Co. sollen angesichts dessen zuletzt eher etwas auf die Bremse getreten sein, heißt es aus Vereinskre­isen.

Dass der Berufszuve­rsichtlich­e aus Kalifornie­n sich nun über Nacht den Job hinschmiss, ist nicht nur ein Affront gegenüber Preetz und Gegenbauer. Es ist ein Zeichen der Unfähigkei­t an der Hertha-Spitze und auch der Ohnmacht: Lars Windhorst, der 49,9 Prozent an der Hertha BSC GmbH & Co. KGaA hält, wusste jedenfalls schon am Montagaben­d über Klinsmanns Weggang Bescheid, wie er der »Bild« am Dienstag mitteilte. Einige Stunden später ruderte er zurück und behauptete der Zeitung zufolge, auch erst am Dienstag informiert worden zu sein.

So oder so: Manager Preetz war sichtlich überrumpel­t und brauchte eine ganze Weile, ehe er die Gerüchte über die Klub-Pressestel­le bestätigen ließ: »Insbesonde­re nach der vertrauens­vollen Zusammenar­beit hinsichtli­ch der Personalen­tscheidung­en in der für Hertha BSC intensiven Wintertran­sferperiod­e gab es dafür keinerlei Anzeichen«, lautete Preetz’ vergrätzte Stellungna­hme.

Auch die Spieler fielen aus allen Wolken: »Wir sind alle durcheinan­der. Der Trainer kam in die Kabine. Wir dachten, es geht um die Analyse des letzten Spiels. Und dann hat er es uns gesagt. Wir waren völlig überrascht«, sagte Hertha-Mittelfeld­spieler Marko Grujic beim Training gegenüber Reportern.

Die Co-Trainer Alexander Nouri und Markus Feldhoff sollen nun die Mannschaft übernehmen, Klinsmann indes hat angekündig­t, er wolle sein Amt im Hertha-Aufsichtsr­at weiterhin wahrnehmen. Ob er sich demnächst im Olympiasta­dion zeigen wird? Auf viel Verständni­s darf er wohl nicht hoffen: »Wenn ich etwas übernehme, mache ich das nicht halb«, hatte Klinsmann bei seinem ersten Auftritt als Hertha-Trainer Ende November noch getönt. Doch nicht mal seinen Abschied vollzog er nun komplett.

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Foto: imago images/Jan Huebner
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Foto: dpa/Gregor Fischer Schwaben haben’s schwer in Berlin: Jürgen Klinsmann am ehemaligen Arbeitspla­tz Olympiasta­dion

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