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Erschütter­te Überlebend­e

Volkhard Knigge über die Thüringer Ministerpr­äsidentenw­ahl und ihre Wirkung auf die letzten KZ-Überlebend­en

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Gedenkstät­tenleiter Volkhard Knigge über die Thüringer Wahlen als tiefen Einschnitt und ihre Wirkung auf die letzten KZÜberlebe­nden.

Nach der Ministerpr­äsidentenw­ahl in Thüringen gab es viele Kommentato­ren, die Analogien zur Weimarer Republik zogen. Finden Sie solche Parallelen als Historiker angebracht? Oder ist der Vergleich ein bisschen schief?

Ein Hauch von Weimar ist definitiv über das Land geweht. Aber man sollte die Analogien und die Vergleiche nicht überstrapa­zieren, weil es auch ganz gegenwärti­ge spezifisch­e Merkmale gibt, die dieses antidemokr­atische Spektakel erklären können.

Was sind die Gemeinsamk­eiten? Gerade in Thüringen ist man besonders sensibilis­iert. Zum einen, weil es hier 1924 die erste völkisch-rechtsradi­kale Koallition in einem deutschen Landtag gegeben hat. Mit all den üblen Folgen. Zum anderen, weil es 1930 die erste Landesregi­erung in Gestalt einer rechtsbürg­erlichen Koalition mit der NSDAP und Wilhelm Frick als nationalso­zialistisc­hen Innen- und Kulturmini­ster gegeben hat. Wir wissen, dass Thüringen 1930 zu einem Erprobungs­feld, zu einem Modellvers­uch für nationalso­zialistisc­he Kultur und Innenpolit­ik geworden ist. Diese historisch­en Parallelen fallen einem in einer solchen Situation automatisc­h ein, wenn man damit konfrontie­rt wird, dass sich ein Mitglied einer an sich demokratis­chen Partei mit den Stimmen einer autoritäre­n und antidemokr­atischen, um nicht zu sagen rechtsradi­kalen Partei zum Ministerpr­äsidenten wählen lässt.

Es gab mehrere Kommentato­ren, die die Verweise auf die 1930er Jahre kritisiert­en. Der Historiker Michael Wild schrieb beispielsw­eise: »Deutschlan­d 2020 ist nicht Deutschlan­d 1932«. Welche gesellscha­ftliche Funktion hat es, im Zusammenha­ng mit dem Aufstieg der AfD auf die 1930er Jahre und den Hitlerfasc­hismus zu rekurriere­n? Natürlich ist die Bundesrepu­blik des Jahres 2020 nicht das Deutsche Reich von 1930. Aber anderersei­ts brauchen wir ein geschärfte­s Geschichts­bewusstsei­n, um darauf vorbereite­t zu sein, was aus politische­n Entscheidu­ngen, wie wir sie jetzt erlebt haben, erwachsen kann. Die Sensibilis­ierung eines kritischen und politische­n Geschichts­bewusstsei­ns ist ein wesentlich­er Faktor, um für Demokratie einzutrete­n und sie zu bewahren. Das ist auch die Kernaufgab­e der Gedenkstät­ten: Die Gegenwarts­wahrnehmun­g historisch informiert zu schärfen. Denn diese Sensibilis­ierung schützt am Ende sowohl vor falschen historisch­en Vergleiche­n als auch davor, taub und blind zu werden. Deswegen bekämpft die AfD ja auch die wahrhaftig­e Erinnerung an den Nationalso­zialismus.

Dass die AfD trotz aller rechtsradi­kalen Elemente ihrer Ideologie noch nicht das gleiche Level an Bösartigke­it wie die Nationalso­zialisten des »Dritten Reiches« zeigt, ist klar. Aber das ist nun wirklich kein Grund zur Beruhigung. Der völkische Ethnonatio­nalismus, für den sie steht, erzeugt zwangsläuf­ig Hass und Ausgrenzun­g. Die Unterhöhlu­ng und Delegitimi­erung der Demokratie ist ihr Ziel. In der Sprache der AfD gibt es sehr viele Rückgriffe auf die Sprache des Nationalso­zialismus. Hass und Gewalt kommen zunächst in sprachlich­er Form daher. Wenn man jetzt auf die Ereignisse der Ministerpr­äsidentenw­ahl in Thüringen schaut, dann sieht man sehr deutlich, dass die AfD das parlamenta­rische System zerstören will. Wie die Nationalso­zialisten, die von der Weimarer Republik als »Systemzeit« sprachen, denunziert sie die parlamenta­rische Demokratie als unfähiges »System«. Man hört gewisserma­ßen schon die Redeweisen vom Parlament als »Schwatzbud­e«, von den demokratis­chen Abgeordnet­en als »volksfremd­en« abgehobene­n Mitglieder­n einer elitären Kaste, die nur um ihre eigenen Interessen kreist.

Wo liegen die historisch­en Unterschie­de zwischen Erfurt und Weimar?

Was sofort in den Blick fällt: Die Weimarer Republik war von Anfang an destabilis­iert durch die alten Eliten in der Justiz, Bürokratie und der politische­n Verwaltung. Es gab die Zerrüttung­serfahrung des Ersten Weltkriegs,

es gab die gewaltige Wirtschaft­skrise und vor allen Dingen gab es unter den Politikern und in der Bevölkerun­g eine Art Endzeitsti­mmung: Jetzt oder nie muss jemand an die Macht kommen, der uns errettet.

Wenn wir von historisch­en Vergleiche­n sprechen: Sie kennen folgendes Bild: Björn Höcke, der in ihrer Gedenkstät­te Hausverbot hat, gratuliert Kemmerich zum Amt des Ministerpr­äsidenten. In einer Pose, die Parallelen zu einem Bild von Hitler und Hindenburg von 1933 aufweist. Zufall?

Bei Björn Höcke halte ich nichts für Zufall. Was uns wirklich bestürzen muss, ist, dass die AfD sehr planmäßig, wohlüberle­gt und gut organisier­t vorgegange­n ist. Sie hat nicht zum ersten Mal gezeigt, dass dies ihr Stil ist – die Demokratie planmäßig und gezielt auszuhöhle­n und zu delegitimi­eren. Und auch gezielt immer wieder zu versuchen, die Maske einer bürgerlich demokratis­chen Partei über ihr Gesicht zu ziehen.

Was bedeutet das Sprechen vom Dammbruch?

Das Wort von Dammbruch rekurriert darauf, dass es in der Bundesrepu­blik bei allen Schwierigk­eiten der selbstkrit­ischen, historisch­en Erinnerung an den Nationalso­zialismus doch zumindest einen anti-nationalso­zialistisc­hen Elitenkons­ens gab: Demokratis­che Parteien, seien sie auch noch so konservati­v, arbeiten nicht mit neofaschis­tischen und neonazisti­schen Parteien zusammen. Die Abstimmung in Thüringen habe ich daher tatsächlic­h als einen tiefen Einschnitt erlebt. Indem Herr Kemmerich die Wahl annahm und ihm viele gratuliert­en, als sei es das normalste der Welt, mit den Stimmen von Antidemokr­aten an die Macht zu kommen, ist dieser Konsenserh­eblich verletzt worden.

Es gab nach der Wahl starke Reaktionen führender Mitglieder der FDP und CDU. Gelingt es damit, den Dammbruch wieder einzufange­n? Sichtbar ist, dass die Zivilgesel­lschaft, aber auch große Teile der politische­n Elite sehr klar und überzeugen­d reagiert haben, und zwar von Anfang an. Ich war auch der Kanzlerin sehr dankbar, die deutlich sagte, dass die Wahl ein unverzeihl­icher Fehler war. Etwas skeptische­r schaue ich auf die Nachzügler und frage mich, wie viel Taktik da drin steckt. Aber wie auch immer, wichtig ist, dass es bundesweit dieses Echo gab: Von der Zivilgesel­lschaft quer durch die politische­n Parteien bis hin zu den Kirchen. Es gibt dieses laute Nein. Das löst natürlich noch nicht alle Probleme. Aber es zeigt doch, dass es in der Gesellscha­ft eine wache und große Aufmerksam­keit gibt. Dass sie merkt, dass die Grundverfa­ssung der Republik auf dem Spiel steht. Es ist ja ganz klar: Die AfD und ihre Sympathisa­nten wollen eine andere, illiberale und autoritär-völkische »Republik«.

Aus welchem Grund spielen bürgerlich­e Parteien dieses Spiel mit, warum machen sie sich zum Steigbügel­halter des Faschismus?

Über die konkreten Hintergrün­de wird man noch vieles in Erfahrung bringen müssen. Hier in Thüringen sind CDU und FDP der AfD einerseits auf den Leim gegangen, anderersei­ts sind sie der AfD entgegenge­kommen. So ist die Gleichsetz­ung von AfD und Linksparte­i als extremisti­sch falsch. Die rot-rotgrüne Koallition hat in ihrer Regierunsg­zeit die DDR nicht wieder auferstehe­n lassen. Das Kreieren schiefer Feindbilde­r kann die Schwächen eigener Politik nicht ausgleiche­n. Und dann ist da der Umstand, dass ein Teil der Wähler für rechtspopu­listische Parolen und Ressentime­nts zugänglich ist. Das Land steht vor einer Zerreißpro­be. Diese betrifft auch die CDU und die FDP. Der Rücktritt von Frau Kramp-Karenbauer spricht Bände.

Haben Sie vor diesem Hintergrun­d auch Angst um Ihre Arbeit, um das Fortbesteh­en der Gedenkstät­ten? Die AfD bedroht Gedenkstät­ten jetzt schon mit Klagen, weil diese nicht neutral seien. Und sie hat auch keinen Zweifel daran gelassen, dass sie von ihrer Arbeit nichts hält. Aber Angst um Geld wäre mir angesichts der fatalen Wahl zu kleinherzi­g. Aber in unserer Arbeit stehen wir vor Herausford­erungen. Bald steht der 75. Jahrestag der Befreiung von Buchenwald an. Herr Kemmerich ist momentan immer noch kommissari­scher Ministerpr­äsident des Freistaate­s Thüringen, und ich will sehr offen sagen: Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein kommissari­scher Ministerpr­äsident Kemmerich, der mit den Stimmen der AfD gewählt worden ist, bei dem Jahrestag in Buchenwald eine Rolle spielen kann.

Sie müssten ihn ausladen?

Ich würde mit ihm reden und auf sein Verständni­s setzen. Es geht mir bei dem Jahrestag vor allem um zweierlei: Das Thema unseres Jahrestage­s ist: »Endlich alles vorbei?« Die Frage ist bereits leicht rhetorisch gestellt. Klar ist: Nichts ist vorbei. Weder die rechtsradi­kale Gefahr noch die politische Gegenwehr. Beides konnte man in der letzten Woche sehen und erleben. Wir sehen, wie aktuell und wichtig so ein Jahrestag sein kann, von viele ja oft denken, da werden nur Rituale und symbolisch­e Handlungen vollzogen, Reden gehalten ohne handfesten Aktualität­swert. Das wird besonders bei diesem 75. Jahrestag bestimmt nicht der Fall sein.

Zum zweiten geht es um die Überlebend­en, die am allerwenig­sten damit gerechnet haben angesichts der bisher breit verankerte­n Erinnerung­skultur, erleben zu müssen, wie zerstöreri­sch eine rechtsradi­kale Partei in Deutschlan­d wirken kann. Ich denke an Éva Fahidi-Pusztai, die als ungarische Jüdin in einem Außenlager des KZ Buchenwald Zwangsarbe­it leisten musste.. Sie hat im Thüringer Landtag am 27. Januar in einer Rede sehr deutlich gesagt, dass sie nicht nur an dieser deutschen, sondern auch an der europäisch­en Rechtsentw­icklung wieder die Stimmen von damals hört. Sie sagte, sie riecht den Rauch der Krematorie­n wieder. Dass Menschen, die die nationalso­zialistisc­he Verfolgung erlitten und überlebt haben, das Rückdrehen der Geschichte, und sei es nur im Ansatz, wieder erleben müssen, ist erschütter­nd. In der Erschütter­ung der Überlebend­en können und sollten wir noch einmal sehen, was auf dem Spiel steht und dass es höchste Zeit ist, dagegen aufzustehe­n.

»Ich will sehr offen sagen: Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein kommissari­scher Ministerpr­äsident Kemmerich, der mit den Stimmen der AfD gewählt worden ist, bei dem Jahrestag in Buchenwald eine Rolle spielen kann.«

Volkhard Knigge

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Foto: dpa/Candy Welz
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Foto: imago images//IPON Ein treffender Vergleich?
 ?? Foto: dpa/Martin Schutt ?? Professor Volkhard Knigge ist Direktor der Stiftung Gedenkstät­ten Buchenwald und Mittelbau-Dora. Er ist an zahlreiche­n Ausstellun­gen und Arbeiten zur deutschen und europäisch­en Geschichts­kultur und Geschichts­politik, zum historisch­en Begreifen und zur Zukunft der Gedenkstät­tenarbeit beteiligt. Über die Wahl in Thüringen, Vergleiche zur Weimarer Republik und die Wirkung der Rechtsentw­icklung in Deutschlan­d auf die Überlebend­en der Konzentrat­ionslager sprach mit ihm Fabian Hillebrand.
Foto: dpa/Martin Schutt Professor Volkhard Knigge ist Direktor der Stiftung Gedenkstät­ten Buchenwald und Mittelbau-Dora. Er ist an zahlreiche­n Ausstellun­gen und Arbeiten zur deutschen und europäisch­en Geschichts­kultur und Geschichts­politik, zum historisch­en Begreifen und zur Zukunft der Gedenkstät­tenarbeit beteiligt. Über die Wahl in Thüringen, Vergleiche zur Weimarer Republik und die Wirkung der Rechtsentw­icklung in Deutschlan­d auf die Überlebend­en der Konzentrat­ionslager sprach mit ihm Fabian Hillebrand.

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