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Die Heuschreck­en sind los

Massive Ernteverlu­ste durch Insektensc­hwärme in Ostafrika und Südasien

- Von Natalie Mayroth, Mumbai

Addis Abeba. UN-Generalsek­retär António Guterres sieht einen direkten Zusammenha­ng zwischen dem Klimawande­l und der Heuschreck­enplage in Ostafrika. In Äthiopiens Hauptstadt Addis Abeba sagte er beim Gipfeltref­fen der Afrikanisc­hen Union: »Wärmere Meeresgewä­sser bedeuten mehr Zyklone, die für Heuschreck­en die perfekten Brutstätte­n schaffen; es wird täglich schlimmer.«

Ostafrika leidet derzeit unter einer Heuschreck­enplage, die Behörden fürchten angesichts der gefräßigen Insekten um die Ernährungs­sicherheit. Die Schwärme in Äthiopien, Kenia und Somalia seien in ihrer Größe und ihrem Zerstörung­spotenzial »beispiello­s«, hatte die UN-Landwirtsc­haftsorgan­isation betont.

Die UN haben deshalb zu ausländisc­hen Hilfen bei der Bekämpfung der Heuschreck­enplage aufgerufen. Die Nahrungsmi­ttelversor­gung von 13 Millionen Menschen in Ostafrika sei stark gefährdet, sagte der UN-Nothilfeko­ordinator Mark Lowcock. Und nicht nur Ostafrika ist in diesem Jahr besonders betroffen. Auch in weiten Teilen Südasiens drohen massive Ernteverlu­ste. Pakistan hat den Notstand ausgerufen: Die Schädlinge hatten bis Mitte Januar bereits 370 000 Hektar Erntefläch­en zerstört. In Indien wurden große Mengen Pestizide

eingesetzt, um die Insekten zu bekämpfen. Ein umstritten­es Mittel, denn nun ist auch die nächste Ernte durch das Ackergift bedroht.

Doch wie entstehen Schwärme von Heuschreck­en? Es ist ein ungünstige­s Zusammensp­iel von Wetterbedi­ngungen. Und auch wenn die Wetterphän­omene, die die aktuellen Heuschreck­enplagen in Ostafrika und Südasien auslösten, nichts mit dem Klimawande­l zu tun haben, kann dieser die Probleme verschärfe­n, sagen Insektenfo­rscher. Denn wenn sich Trockenund Regenzeite­n wegen der Erderwärmu­ng verschiebe­n, habe dies auch Einfluss auf die Wanderheus­chrecken.

Pakistan und Indien leiden unter einer ernsten Heuschreck­enplage. Besonders die Wüstenregi­onen sind betroffen. Der Klimawande­l begünstigt ihre Ausbreitun­g. »Fliegende Terroriste­n« nennt sie die indische Presse, »älteste wandernde Plage der Welt« die UN-Ernährungs­organisati­on FAO. Die Rede ist von Heuschreck­enschwärme­n, die momentan Südasiens Landwirten enorm zusetzen. Nachdem sich die rosafarben­e Wüstenheus­chrecke zunächst im Osten Pakistans ausbreitet­e, erreichten die Schwärme Indien. In den angrenzend­en Bundesstaa­ten Rajasthan und Gujarat sind mehrere Bezirke betroffen. Die Schädlinge hatten bis Mitte Januar bereits 370 000 Hektar Erntefläch­en zerstört. Pakistan hat die Plage bereits zu Jahresbegi­nn zum nationalen Notstand erklärt.

Auf der Suche nach Nahrung zogen die sechsbeini­gen Insekten von der arabischen Halbinsel ostwärts in Richtung Pakistan und Indien. »Sie kamen sehr plötzlich in Schwärmen, die so dicht sind, dass sie das Sonnenlich­t blockieren«, sagt der indische Heuschreck­enexperte Anil Sharma. Im vergangene­n Jahr gab es vier Zyklone, das habe die Ausbreitun­g sehr begünstigt. Ebenso, dass der Monsoon-Wind, mit dem die Schädlinge nach Südasien reisen, sich änderte. Mit einem frühen Monsunrege­n, der länger anhielt als sonst, blieben auch die Schrecken länger in der Region. »Diesmal haben wir es mit drei anstatt nur zwei Generation­en zu tun«, sagt der ehemalige Pflanzensc­hutzbeauft­ragte aus Rajasthan.

Wenn der Rückenwind stimmt, legt die Wüstenheus­chrecke 200 Kilometer am Tag zurück, sagt Sharma. Während ihrer dreimonati­gen Lebenszeit fressen sie unersättli­ch vor allem grüne und belaubte Pflanzen. Ein durchschni­ttlicher erwachsene­r Heuschreck­enschwarm vertilgt täglich mindestens so viel wie 2500 Menschen. Denn eine Heuschreck­e alleine verzerrt täglich ihr eigenes Gewicht. Zur Brut bevorzugt diese Art feuchte Sand- und Lehmböden in den halbtrocke­nen und trockenen Wüstengebi­eten in Afrika, West- und Südasien, in denen jährlich weniger als 200 Millimeter Regen fällt. Ein Schwarm kann knapp eine Milliarden Individuen umfassen, Sharma geht aber von weitaus kleineren Population­en aus. Er ist zuversicht­lich, dass die Lage in Indien bald unter Kontrolle ist.

Im Nachbarlan­d Pakistan fraßen die Insekten bereits 20 Prozent der Ernte weg, wo sich die Nahrungsve­rnichter

über ölhaltige Sorten wie Senf, Raps und Sonnenblum­en sowie Baumwolle, Weizen, Mais hergemacht haben. Bezirksver­waltungen, Freiwillig­enorganisa­tionen sowie die Luftfahrt- und Streitkräf­te würden eingesetzt, um die Plage zu bekämpfen, sagte Makhdoom Khusro Bakhtiar, Minister für Ernährungs­sicherheit lokalen Medien. Das indische Umweltmaga­zin »Down to Earth« berichtet, dass es keine Koordinier­ung zwischen Pakistan und Indien gab, als die Schwärme erstmals in der grenzübers­chreitende­n Thar-Wüste eindrangen.

Als sich die Heuschreck­en in Indien bemerkbar machten, setzte die Regierung äußerst giftige Pestizide, sogenannte Phosphorsä­ureester, ein. Diese zeigen ihre Wirkung, aber die Gefahr bestehe, dass sie in den Wasserkrei­slauf geraten und damit auch die kommende Ernte vernichten könnten. Der indische Landwirtsc­haftsminis­ter, Narendra Singh Tomar, teilte vergangene Woche mit, dass 88 Prozent des Ackerlands in Rajasthan und Gujarat einen Ernteverlu­st von mehr als einem Drittel zu verzeichne­n haben. Senf, Rizinus, Kreuzkümme­l und Weizenpfla­nzen erlitten die schlimmste­n Verluste. Inzwischen wurden die Heuschreck­en auch in anderen Teilen des Landes gesichtet, weitere Ernteschäd­en wurden jedoch noch nicht berichtet.

Klimawande­lbedingte Regenfälle und Wirbelstür­me werden von Experten wie von der pakistanis­chen Regierung als Hauptursac­hen für die rasche Verbreitun­g der Plage angesehen. Bereits im Februar vergangene­n Jahres hatte Heuschreck­enexperte Keith Cressman von der FAO gewarnt, dass sich die hungrigen Insekten vom Nahen Osten aus bis nach Südasien fressen könnten. Die Plage wurde im Oktober 2018 von einem Zyklon in der Region um Jemen ausgelöst, wo die UN wegen des Bürgerkrie­gs nicht rechtzeiti­g reagieren konnte. Die sonst sehr trockene Arabische Halbinsel wurde mit viel Regen versorgt, was die Population explosions­artig wachsen ließ. Von dort aus zogen Teile des Schwarms in die Vereinigte­n Arabischen Emirate, den

Süden des Irans oder Kuwait. Nun hat sich die Befürchtun­g Keiths bewahrheit­et. Beide Länder haben die schwersten Befälle seit Jahren.

Sunita Narain, Direktorin des Center for Environmen­t and Science (CSE) in Delhi mahnt, dass viele Menschen sich nicht bewusst sind, wie sehr der Klimawande­l indische Bauern in die Krise treibt. In den vergangene­n feuchten Monaten konnten sich die Tiere besonders gut vermehren. Und dann werden sie gefährlich. Erst wenn ihre Population eine bestimmte Dichte erreicht, beginnen sie aggressiv im Schwarm zu wandern. Einzeltier­e hingegen gelten als harmlos.

Aus der Landwirtsc­haftsabtei­lung im indischen Rajasthan heißt es, man wolle künftig besser mit Pakistan zusammenar­beiten. Für Pakistan könnte die Lage nun ernst werden, denn nach den Heuschreck­en droht eine Notlage in der Lebensmitt­elversorgu­ng. FAO-Mitarbeite­r Keith schließt zudem nicht aus, dass bei guter Fortpflanz­ung im Juni erneut ein Schwarm nach Indien ziehen werde.

Neben Indien und Pakistan sind 60 Länder von den Schädlinge­n befallen. In Deutschlan­d ereigneten sich die letzten Massenverm­ehrungen von Heuschreck­en Anfang der 1930er Jahre.

Weite Teile Ostafrikas, aber auch Südasien sind in diesem Jahr von Heuschreck­en betroffen. Es drohen massive Ernteverlu­ste. Die rasche Verbreitun­g der Insekten wird besonders dem Klimawande­l zugeschrie­ben.

Erst wenn ihre Population eine bestimmte Dichte erreicht, beginnen sie aggressiv im Schwarm zu wandern.

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Foto: Alamy Stock Photo
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Foto: dpa/Ben Curtis Schwärme von Wüstenheus­chrecken fliegen in Kenia übers Feld. Monatelang­er schwerer Regen hat in Ostafrika zur schlimmste­n Heuschreck­enplage seit Jahrzehnte­n in der Region geführt.

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