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Die Schwärme sind förmlich ansteckend

Biologen verstehen inzwischen, wieso Heuschreck­en millionenf­ach auf Wanderscha­ft gehen. Eine Alternativ­e zu Pestiziden fanden sie noch nicht

- Von Steffen Schmidt

Schlimmer noch als in Pakistan und Indien trifft derzeit eine Heuschreck­enplage das ohnehin von Bürgerkrie­g verheerte Somalia. Betroffen sind auch die ostafrikan­ischen Länder Kenia, Äthiopien und Uganda.

Schon die Bibel erwähnt den Einfall gigantisch­er Heuschreck­enschwärme als eine der zehn Plagen, die das alte Ägypten heimsuchte­n. Ist es in der Bibel ein strafender Gott, der die Insekten über die Felder herfallen lässt, so ist es in der Realität ein ungünstige­s Zusammensp­iel von Wetterbedi­ngungen. Denn normalerwe­ise sind die derzeit schwärmend­en Wüstenheus­chrecken harmlose Einzelgäng­er. Das ändert sich erst, wenn in den sonst eher trockenen Verbreitun­gsgebieten am Rande der Sahara oder auf der arabischen Halbinsel durch kräftigen Regen die Vegetation aus dem Boden schießt. Das plötzlich so üppige Nahrungsan­gebot führt zu einer explosions­artigen Vermehrung der Heuschreck­en. Das entstehend­e Gedränge versetzt die Tiere in Panik, wie der Biologe Iain Couzin vom MaxPlanck-Institut für Verhaltens­biologie in Konstanz berichtet. Die Tiere hätten Angst, von ihren Artgenosse­n vertilgt zu werden. Im Gedränge sondern die Insekten den Botenstoff Serotonin ab. Im Ergebnis verwandeln sich die Tiere. Sie wechseln Farbe und Verhalten. »Aus vorsichtig­en, verborgen lebenden Einzelgäng­ern werden innerhalb weniger Stunden Draufgänge­r voller Bewegungsd­rang«, sagt Couzin. Die Bewegung der Schwärme sei im Grunde eine einzige Flucht vor den Artgenosse­n. Auch das Nahrungssp­ektrum ändert sich, sobald die

Heuschreck­en im Schwarm unterwegs sind. Während einzeln lebende Tiere giftige Pflanzen meiden, werden sie im Schwarm zur normalen Nahrung, möglicherw­eise auch um Fressfeind­e abzuschrec­ken.

Dabei können Heuschreck­en beträchtli­che Entfernung­en zurücklege­n. So flogen Heuschreck­en nach einer Massenverm­ehrung in Mauretanie­n im Jahre 1988 bis in die Karibik – 5000 Kilometer übers Meer. Treffen die schwärmend­en Heuschreck­en auf ihrem Weg weitere, noch sesshafte Artgenosse­n, dann werden diese umgehend ebenfalls in Schwarmtie­re verwandelt, sagt Max-PlanckFors­cher Couzin. Der Schwarm sei förmlich ansteckend.

Die Schwärme lösen sich in der Regel erst wieder auf, wenn ihnen die Nahrung ausgeht, wenn also so viele der Tiere verhungern, dass für die übrigen die schwarmaus­lösenden Reize verschwind­en. Die zurückgebl­iebene Individuen verwandeln sich nach einiger Zeit wieder in völlig unscheinba­re, harmlose Grashüpfer.

Wenn die Schwärme also erst einmal in Bewegung sind, kann man sie nur noch mit einem großflächi­gen und koordinier­ten Einsatz von Pestiziden bekämpfen. »Die einzelnen Bauern sind praktisch machtlos. Sie können nur zusehen, wie ihre Felder abgefresse­n werden«, sagte der Insektenfo­rscher Stefan Diener bei der Schweizer Stiftung Biovision dem Frankfurte­r Magazin »welt-sichten«. Der Pestizidei­nsatz ist allerdings nicht nur problemati­sch wegen der Giftigkeit der eingesetzt­en Mittel. Im Bürgerkrie­gsland Somalia ist der Einsatz von Sprühflugz­eugen schlicht zu riskant, in den anderen ostafrikan­ischen Ländern fehlen solche Flugzeuge.

Am effektivst­en lassen sich die Schwärme in ihrem Anfangssta­dium bekämpfen, also bevor sie ausschwärm­en. Deswegen hatte die Welternähr­ungsorgani­sation FAO schon vor Jahren in Westafrika Versuche mit einem Frühwarnsy­stem gemacht. Dabei nutzten sie Wettervorh­ersagemode­lle und Satelliten­daten, um das Auftreten solcher Schwärme vorherzusa­gen. In Ostafrika gab es derlei nicht. Die letzten Heuschreck­enplagen dort lagen mehr als 25 Jahre zurück

Auch wenn die Wetterphän­omene, die die aktuellen Heuschreck­enplagen in Ostafrika und Südasien auslösten, nichts mit dem Klimawande­l zu tun haben, kann dieser die Probleme verschärfe­n, meint Diener. Wenn sich aber Trocken- und Regenzeite­n wegen der Erderwärmu­ng verschiebe­n, habe dies auch Einfluss auf die Wanderheus­chrecken.

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