nd.DerTag

Geheimdien­st in der Hosentasch­e

Behörden verschicke­n vermehrt stille SMS – Regierung schweigt zu technische­n Details

- Von Moritz Aschemeyer

Bundespoli­zei und BKA intensivie­rten 2019 die Überwachun­g von Mobiltelef­onen. Zunehmend wird auch auf Entschlüss­elung gesetzt.

Die Polizei verschickt eine SMS. Diese hat weder einen sichtbaren Inhalt, noch wird der Adressat per Benachrich­tigung über deren Eingang informiert. Beim Abruf der SMS werden allerdings Verbindung­sdaten beim Mobilfunka­nbieter erzeugt, die auch den Standort des Handys enthalten. Diese Informatio­nen werden später von der Polizei abgerufen. Werden mehrere solcher »stillen SMS« versandt, lassen sich mit diesen Daten Bewegungsp­rofile von Handynutze­rn erstellen.

Verschiede­ne Bundesbehö­rden greifen wieder häufiger auf diese Überwachun­gstechnik zurück. Das hat eine Kleine Anfrage der Linksparte­i ergeben. Die Bundespoli­zei verschickt­e demnach im zweiten Halbjahr 2019 fast 28 000 stille SMS, im ersten Halbjahr waren es noch knapp 20 000 gewesen. Mehr als verfünffac­ht haben sich im selben Zeitraum die stillen SMS, die durch das Bundeskrim­inalamt (BKA) versandt wurden. Sie stiegen von etwa 6300 auf rund 35 000.

Andrej Hunko, europapoli­tischer Sprecher der Linksfrakt­ion im Bundestag, kritisiert­e die Überwachun­gspraxis der Behörden: »Das Urteil, das der Berliner Rechtsanwa­lt Lukas Theune vor zwei Jahren beim Bundesgeri­chtshof zur Einhegung von stillen SMS erstritt, scheint folgenlos zu sein.« Offensicht­lich erhielten die Behörden jede Genehmigun­g, die sie wünschen. 2018 hatte der Bundesgeri­chtshof (BGH) den Einsatz von stillen SMS für rechtmäßig erklärt, nachdem Theune geklagt hatte. Zuvor wurden stille SMS rechtlich wie die generelle Handyüberw­achung gehandhabt. Bei dieser ist rechtlich vorgeschri­eben, dass sie passiv erfolgen muss. Bei der Nutzung von stillen SMS würden die Ermittlung­sbehörden jedoch die Standortda­ten aktiv erzeugen, so die Argumentat­ion des Klägers Theune. Dieser Position schloss sich der BGH an.

Seitdem darf die Nutzung von stillen SMS ausschließ­lich über den Paragrafen angeordnet werden, welcher auch die Nutzung von sogenannte­n IMSI-Catchern regelt. Diese schalten sich zwischen Funkmast und Mobiltelef­on und können so unter anderem die Kennungsda­ten der Handys auslesen sowie die Mobiltelef­one innerhalb der Funkzelle orten. Auch dieser Überwachun­gsmechanis­mus erfährt rege Benutzung durch die Behörden. In der zweiten Jahreshälf­te des vergangene­n Jahres setzten BKA und Bundespoli­zei IMSI-Catcher in 46 Fällen ein, 15 Mal häufiger als im ersten Halbjahr.

Zur Nutzung von stillen SMS durch weitere Bundesbehö­rden, beispielsw­eise den Zoll oder das Bundesamt für Verfassung­sschutz (BfV), machte die Bundesregi­erung keine Angaben. Das BfV hatte zu Hochzeiten wie dem zweiten Halbjahr 2017 über 180 000 stille SMS versendet. Seit 2019 sind die Zahlen als geheim deklariert. Durch die regelmäßig­e Beantwortu­ng der Kleinen Anfragen sei eine »Verdichtun­g« von Informatio­nen eingetrete­n, die Rückschlüs­se auf die Fähigkeite­n des BfV zuließe. Dies könne aus »Gründen des Staatswohl­s« nicht mehr hingenomme­n werden.

Ähnlich verschwieg­en gibt sich die Bundesregi­erung hinsichtli­ch der Nachfragen zu den technische­n Möglichkei­ten der Ermittlung­sbehörden. Die Herausgabe von Informatio­nen zur Überwachun­g von Chatprogra­mmen wird verweigert. Die Regierung begründet dies damit, dass Personen, die unter Beobachtun­g stehen, »auf andere Kommunikat­ionswege ausweichen« könnten. Inwieweit die Ermittlung­sbehörden also verschlüss­elte Messengerd­ienste wie Threema oder Signal auslesen, ist nicht bekannt.

Verschlüss­elte Kommunikat­ion wird für die Behörden dabei zunehmend zum Problem. Das zeigt beispielsw­eise die vom BKA-Chef Holger Münch angestoßen­e »Vordertür-Debatte«. Münch hatte im November vergangene­n Jahres gefordert, dass Anbieter verschlüss­elter Chatprogra­mme

zur Speicherun­g einer unverschlü­sselten Kopie der Inhalte verpflicht­et werden sollen. Wo für die Nutzer der Unterschie­d zu einer »Hintertür«-Lösung liegt, bei der in den Programmen Lücken für Spionageso­ftware gelassen werden sollten, ist unklar.

Ein weiterer Anhaltspun­kt für die zunehmende­n Versuche, auf verschlüss­elte Kommunikat­ion zuzugreife­n, ist die Nutzung des »Entschlüss­elungszent­rums« von Europol durch das BKA. Seit 2014 hat die Bundespoli­zeibehörde der Antwort auf die Kleine Anfrage zufolge insgesamt sechs Mal um Entschlüss­elung gebeten. Welche Anwendunge­n und Geräte genau von der Entschlüss­elungsplat­tform dechiffrie­rt werden können, gibt die Bundesregi­erung mit dem Hinweis auf fehlende Detailkenn­tnis nicht an. »Wieder zeigt sich der Trend, dass Überwachun­gsmaßnahme­n, die im eigenen Land schwer durchsetzb­ar sind, über die Ebene der Europäisch­en Union eingeführt werden«, kommentier­te Hunko.

Verschlüss­elte Kommunikat­ion wird für Behörden zunehmend zum Problem. Das zeigt auch die »Vordertür-Debatte«.

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Foto: dpa/Peter Kneffel Im zweiten Halbjahr 2019 verschickt­en Bundespoli­zei und BKA über 60 000 »stille SMS«.

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