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Was dürfen Minister?

Bundesverf­assungsger­icht verhandelt­e Klage der AfD gegen Innenminis­ter Seehofer wegen des Vorwurfs einer Verletzung der Neutralitä­tspflicht

- Von Markus Drescher Agenturen Mit

Was dürfen Amtsinhabe­r über die politische Konkurrenz äußern? Diese Frage beschäftig­t Karlsruhe immer wieder. Noch ist im Fall Seehofer kein Urteil gefallen, da könnte womöglich ein Fall Merkel folgen.

Seit geraumer Zeit stellt sich Politikern und Politikeri­nnen die Frage: Wie umgehen mit der AfD? Für diejenigen in Regierungs­verantwort­ung kommt eine weitere hinzu: Wie weit können Amtsträger gehen? Anders als reine Parteipoli­tiker ohne öffentlich­es Amt dürfen die nämlich nicht alles sagen, was sie vielleicht wollten – zumindest nicht in ihrer Funktion als Minister oder Ministerin. Nach Auffassung des Bundesverf­assungsger­ichts erfordert der Grundsatz der Chancengle­ichheit der Parteien auch außerhalb von Wahlkampfz­eiten die Beachtung des Gebots staatliche­r Neutralitä­t.

Dort, wo die AfD dieses Neutralitä­tsgebot verletzt sieht, geht sie juristisch gegen die betreffend­en Amtsträger vor. Am Dienstag verhandelt­e das Bundesverf­assungsger­icht eine Klage der AfD gegen Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU).

Der hatte im Jahr 2018 der Nachrichte­nagentur dpa ein Interview gegeben, in dem er mit Bezug auf die AfD unter anderem erklärte: »Die stellen sich gegen diesen Staat. Da können sie tausend Mal sagen, sie sind Demokraten. (...) Ich kann mich nicht im Bundestag hinstellen und wie auf dem Jahrmarkt den Bundespräs­identen abkanzeln. Das ist staatszers­etzend.« Das Interview wurde auch auf der Internetse­ite seines Ministeriu­ms veröffentl­icht.

Damit habe Seehofer nach Auffassung der AfD »die ihm obliegende Pflicht zur Neutralitä­t im politische­n Meinungska­mpf und damit das Recht der Antragstel­lerin auf Chancengle­ichheit der Parteien im politische­n Wettbewerb verletzt, weil er durch die Veröffentl­ichung des Interviews auf der Internetse­ite seines Ministeriu­ms in unzulässig­er Weise staatliche Ressourcen zur Verbreitun­g einer parteipoli­tischen Aussage genutzt habe«, wie es in der Verhandlun­gsankündig­ung des Gerichts heißt.

Am Dienstag verteidigt­e das Bundesinne­nministeri­um in der mündlichen Verhandlun­g die Veröffentl­ichung. »Zugegeben: Die Formulieru­ng ist zugespitzt«, so der Parlamenta­rische Staatssekr­etär Günter Krings (CDU), der Seehofer vor Gericht vertrat. Der Ton in der Politik sei aber deutlich rauer geworden. Eine Reaktion müsse möglich sein. Die Verhandlun­g

dauerte rund zwei Stunden. Laut AFP hinterfrag­ten die Richter vor allem kritisch, ob derartige Äußerungen nicht auf anderen Kanälen verbreitet werden könnten. Mit einem Urteil ist in den nächsten Monaten zu rechnen.

Zuletzt hatten die Karlsruher Richter ihre strenge Auffassung des

Neutralitä­tsgebotes Anfang 2018 untermauer­t. In dem entspreche­nden Verfahren unterlag Bildungsmi­nisterin Johanna Wanka (CDU) gegen die AfD. Diese hatte 2015 in Berlin eine Versammlun­g unter dem Motto: »Rote Karte für Merkel! – Asyl braucht Grenzen!« angemeldet. Wanka veröffentl­ichte daraufhin eine Antwort unter der Überschrif­t »Rote Karte für die AfD« auf der Internetse­ite des Ministeriu­ms. Sowohl musste Wanka eine einstweili­ge Anordnung, die Pressemitt­eilung von der Ministeriu­msseite zu löschen, als auch ein Urteil im Hauptsache­verfahren zu ihren Ungunsten hinnehmen – auch weil sie die Ministeriu­mshomepage für die Veröffentl­ichung gewählt hatte.

Dass sich Amtsträger nämlich durchaus in den politische­n Meinungska­mpf einbringen dürfen, machte Karlsruhe in einem anderen Fall (die NPD hatte gegen die damalige Familienmi­nisterin Manuela Schwesig (SPD) geklagt) deutlich – solange sie dies nicht in ihrer staatliche­n Rolle tun, sondern erkennbar als Parteipoli­tiker.

Während am Dienstag nun Karlsruhe in Sachen Seehofer verhandelt­e, meldeten die Nachrichte­nagenturen, dass die AfD wegen ihrer Äußerungen zur Thüringer Ministerpr­äsidentenw­ahl gegen Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) vorgehen will. Zum einen erklärten der Thüringer Fraktionsc­hef Björn Höcke sowie der AfD-Bundesvors­tand, man werde wegen Nötigung Strafanzei­ge gegen die Kanzlerin stellen, die während ihrer Südafrika-Reise die Wahl des FDPPolitik­ers Thomas Kemmerich auch mit Stimmen der AfD unter anderem als »unverzeihl­ich« bezeichnet hatte.

Zum anderen plane der Bundesvors­tand, eine »rechtliche Abmahnung mit Unterlassu­ngserkläru­ng« einzureich­en. Da Merkel keine relevante Funktion mehr in der CDU bekleide und im afrikanisc­hen Ausland erkennbar auch nicht als CDU-Mitglied, sondern als deutsche Regierungs­chefin unterwegs gewesen sei, liege »hier ein klarer Fall von Amtsmissbr­auch mit Verletzung der Chancengle­ichheit der Parteien vor«, so AfD-Chef Jörg Meuthen.

Dort, wo die AfD das Neutralitä­tsgebot verletzt sieht, geht sie juristisch gegen die betreffend­en Amtsträger vor.

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