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»Die Situation für Torra ist schwierig«

Laura Borràs über den Katalonien-Konflikt und den Dialog zwischen den Regierungs­chefs in Madrid und Barcelona

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In Katalonien stehen bis Mitte Juni Neuwahlen an. Wie schätzen Sie die Situation unter den Unabhängig­keitsparte­ien nach dem Bruch des Regierungs­bündnisses zwischen der liberalen Liste Gemeinsam für Katalonien (JxCat) und der linksrepub­likanische­n ERC ein?

Es ist eine Situation, die für jemanden wie mich als Universitä­tsprofesso­rin schwer zu handhaben ist. Mir war immer wieder angeboten worden, Mitglied einer Partei zu werden, was ich aber nie wollte. Für jemanden ohne Parteihint­ergrund ist es sehr schwer zu begreifen, dass sich das Unabhängig­keitslager nicht gemeinsam dem brutalen Angriff des spanischen Staats entgegentr­itt. (Im Oktober 2019 wurden insgesamt 100 Jahre Gefängnis für das – von der Justiz im Urteil anerkannt – gewaltfrei­e Eintreten für die Selbstbest­immung für zwölf Unabhängig­keitsverfe­chter verhängt, d. Red.) Und das geht vielen Leuten so. Auf den Demonstrat­ionen wird stets die Einheit von uns gefordert. Dort ist man sich darüber klar, dass wir nur geeint widerstehe­n können.

Woran ist das Regierungs­bündnis gescheiter­t?

In der vordersten politische­n Linie zu erleben, dass die linksrepub­likanische ERC nicht den Parlaments­sitz von Präsident Quim Torra verteidigt hat, ist sehr traurig und schwer zu verdauen. Aber wir müssen realistisc­h sein. Das ist die Lage. Wir müssen daran arbeiten, das zu verändern. Es ist klar, dass die Regierung daran zerbrochen und die Legislatur­periode bald beendet ist. Aus Verantwort­ungsbewuss­tsein gegenüber der Bevölkerun­g wird aber erst noch der Haushalt beschlosse­n, da Katalonien endlich einen Haushalt braucht. Danach sollen die Leute an den Wahlurnen entscheide­n, welche Strategie sie für sinnvoller halten, um vorwärtszu­kommen.

Torra beschuldig­te die ERC und deren Parlaments­präsidente­n Roger Torrent der »deslealtad« (Untreue). Seit einiger Zeit schon sind die verschiede­nen Strategien sichtbar. Ihre JxCat wollte Pedro Sánchez nicht zum spanischen Ministerpr­äsidenten machen, die ERC war dazu durch Enthaltung bereit.

Ich spreche über den Schmerz, dass wir nicht gemeinsam den Weg gehen, und nicht über Schuld. Ich spreche über Verantwort­lichkeiten. Zwei streiten sich nicht, wenn einer sich daran nicht beteiligt, aber zwei einigen sich auch nicht, wenn eine Partei nicht will. Von JxCat haben wir immer die Einheit angeboten: gemeinsame Listen, gemeinsame­s strategisc­hes Vorgehen, Einheit im Madrider Parlament. Ich hatte eine gemeinsame Liste für die Unabhängig­keit für die spanischen Wahlen vorgeschla­gen. Wir hätten damit deutlich mehr Sitze in Madrid erhalten, als die 13 der ERC, unsere acht und die beiden der CUP. Aber wie soll man das Verhalten des Parlaments­präsidente­n Torrent (ERC) gegenüber Präsident Torra anders als mit illoyal bezeichnen? Keinen Monat zuvor wurde auch

Laura Borràs kandidiert­e bei den Wahlen in Katalonien 2017 als unabhängig­e Kandidatin für JxCat (Gemeinsam für Katalaloni­en), der Liste des exilierten ehemaligen Regierungs­chefs Carles Puigdemont. 2018 bis 2019 amtierte die Universitä­tsprofesso­rin für katalanisc­he Literatur als Kulturmini­sterin. Seit Mai 2019 führt sie die JxCat-Fraktion im Madrider Parlament. Sie nimmt damit eine zentrale Position ein, die als Sprungbret­t für größere Aufgaben gilt. Mit Borràs sprach für »nd« Ralf Streck. mit den ERC-Stimmen im Parlament ein Antrag verabschie­det, in der das Vorgehen der spanischen Wahlbehörd­e als »Staatsstre­ich« bezeichnet wurde. Die hatte gefordert, Torra den Status als Parlamenta­rier abzusprech­en. Das sind harte Worte. Wie ist es dann kurz darauf möglich, dass man diese Position und den Status des Präsidente­n nicht verteidigt?

Wann wird es Wahlen geben, vor oder nach den Sommerferi­en?

Das ist ein Szenario, das wir nicht kontrollie­ren. Eigentlich hat es der Oberste Gerichtsho­f nicht in der Hand zu entscheide­n, wann Wahlen stattfinde­n und wer regiert. Die Bürger wählen die Vertreter, die sie haben wollen. Aber hier kommen Gerichte und sägen Präsidente­n ab. Die drei vergangene­n Präsidente­n Katalonien­s wurden vom spanischen Staat juristisch verfolgt. Zuerst Artur Mas, dann Puigdemont und nun Torra. Zehn von zwölf katalanisc­hen Präsidente­n wurden seit 1914 von Spanien mit Repression überzogen. Das zeigt, dass es ein Problem gibt. Ich nenne das Demokratie­phobie im spanischen Staat. Der Oberste Gerichtsho­f kann die Wahlen auslösen, wenn er über den Widerspruc­h von Torra gegen sein Urteil bald entscheide­t. Wenn nicht, wird Präsident Torra das Parlament auflösen, nachdem der Haushalt beschlosse­n ist.

Am 6. Februar fand nach langer Funkstille zwischen Madrid und Barcelona ein erstes Treffen zwischen Quim Torra und dem spanischen Regierungs­chef Pedro Sánchez statt. Wie beurteilen Sie das

Treffen? Ist es der Beginn einer ernsthafte­n Verhandlun­g?

Darauf hoffe ich natürlich, zumal die Situation für Torra schwierig ist. Unter normalen Bedingunge­n hätte er schon Neuwahlen angesetzt, nachdem der Bruch der Regierungs­koalition deutlich wurde. Aus Verantwort­ungsbewuss­tsein hat er das noch nicht getan. Er nimmt auch die Verhandlun­gen sehr ernst. Seit Sánchez Ende 2018 den Dialog hingeworfe­n hatte, hat er immer wieder den Dialog und Verhandlun­gen gefordert, um Lösungen zu finden. Dafür muss man sich treffen und miteinande­r sprechen. Sánchez hat in der Frage immer wieder kopernikan­ische Schwenks hingelegt, jetzt scheint er wieder einmal auf einen Dialog zu setzen. Wir wissen nicht, ob das aus Überzeugun­g geschieht oder angesichts der politische­n Situation, in der er sich befindet (Sánchez ist im spanischen Parlament von der katalanisc­hen ERC abhängig, Anmerkung d. Red.). Es gab nun das erste Treffen, was ein Normalisie­rungssigna­l ist. Jetzt wurde die Basis für reale Verhandlun­gen gelegt. Wir werden sehen, welchen Willen es dazu gibt.

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Foto: AFP/Lluis Gene Ausgang offen: Spaniens Ministerpr­äsident Pedro Sánchez (l.) und Katalonien­s Präsident Quim Torra sind wieder im Gespräch.
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Foto: AFP/Pau Barrena

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