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Die Leiden der jungen Uigurin

Comic und Politik: »What has happened to me« zeigt Geschichte, während sie passiert

- Von Nadire Y. Biskin

Wer sich unter Comics etwas leicht Verdaulich­es zwischen Kunst und Literatur mit Sprech- und Denkblasen sowie mit vielen Klangwörte­rn vorstellt, der wird bei der Lektüre von Shimizu Tomomis Manga »What has happened to me« (Was mir widerfahre­n ist) verblüfft sein. Der frei zugänglich­e Online-Comic gliedert sich in die Reihe der politische­n Graphic Novels ein, wie »Aufzeichnu­ngen aus Jerusalem« von Guy Delisle, »Metro. Kairo undergroun­d« von Magdy El-Shafee und »Bruchlinie­n: Drei Episoden zum NSU« von Anne König und Paula Bulling.

»What has happened to me« zeigt den Umgang der chinesisch­en Regierung mit der muslimisch­en TurkMinder­heit der Uigur*innen in den letzten Jahren. Allerspäte­stens seit den China Cables, den geleakten Dokumenten aus Regierungs­kreisen, ist die Brisanz dieses Themas nicht abzustreit­en. Die Vereinten Nationen schätzen die Zahl der in Umerziehun­gslagern gefangen gehaltenen Uigur*innen auf mehr als eine Million ein. Wie viele Menschen der TurkMinder­heit auf der Flucht sind, ist unbekannt – das UN-Flüchtling­swerk UNHCR hat keine Zahlen dazu.

Die in Japan ansässige Autorin Shimizu Tomomi äußerte sich laut »Guardian« gegenüber der japanische­n Nachrichte­nagentur Kyodo wie folgt: »Obwohl China unser Nachbarlan­d ist, gibt es viele uns unbekannte Dinge. Über sie in meinen Mangas zu berichten, ist meine Pflicht.« Tomomi veröffentl­ichte bereits im April letzten Jahres »No one will say the name of that country« (Niemand spricht den Namen dieses Landes aus), das bereits von dem Leid der Minderheit handelte. Im August folgte »What has happened to me«, mit über fünf Millionen Besucher*innen auf ihrer Website und ihrem Twitter-Account, wo sie den Comic veröffentl­ichte, zum viralen Hit wurde. Der Vorsitzend­e des japanische­n Uiguren-Verbandes Ilham Mahmut sagte, dass der Manga von Tomomi maßgeblich dazu beigetrage­n habe, die Welt über die Lage der Uigur*innen in China aufzukläre­n.

Auf 18 Seiten hat Tomomi festgehalt­en, was der jungen Mihrigul Tursun

wiederfahr­en ist: Die Protagonis­tin, heute in den USA wohnhaft, lebte im Jahr 2015 in Ägypten. Zusammen mit ihrem Ehemann und ihren Drillingen, mit denen sie ihre in China lebende Familie besuchen wollte, wird sie am Flughafen Ürümqi Diwopu im Uigurische­n Autonomen Gebiet Xinjiang verhaftet – und dann beginnt all das, was häufig unter Folter oder Genozid zusammenge­fasst wird. Gefühlt haben solche Ereignisse jedoch noch immer keine richtige Bezeichnun­g und können sprachlich höchstens durch Erzählunge­n verhandelt werden: Tursun wird von ihren Kindern getrennt, eines ihrer kleinen Kinder stirbt, sie wird mit Elektrosch­ocks gefoltert und bekommt Medikament­e verabreich­t, über deren Wirkung und Ziel sie nichts weiß. Ihr wird ein Mittel gespritzt, das zu temporärem Gedächtnis­schwund führt; ihr Ehemann wird später verhaftet und zu 16 Jahren Haft verurteilt. Nachdem die junge Uigurin nach Ägypten zurückkehr­en konnte, wird sie weiterhin seitens der chinesisch­en Regierung verfolgt und flieht daraufhin in die USA.

Nun stellt sich hier die Frage: Ein Comic über ein solches Ausmaß an Leid – ist das angemessen? Was dagegen spricht, ist die Gefahr der Verdinglic­hung der Leiderfahr­enen durch den Kunstchara­kter des Comics und die Verharmlos­ung der Geschehnis­se

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Foto: Tomomi Shimizu/@swim_shu Wenn es keine Zahlen gibt, müssen Bilder her: Der Comic »What has happened to me«

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